Nach zwei Monaten Unterbrechung der Hauptverhandlung aufgrund der Corona-Pandemie wurde die Hauptverhandlung am 12. Mai 2020 fortgesetzt (vgl. auch). Das Gericht hatte im Vorfeld auf Antrag der Verteidigung Gutachten in Auftrag gegeben, die sich mit der Frage der Infektionsgefahr befassen sollten. Zur Erinnerung: An der Hauptverhandlung nehmen in der Regel bis zu 60 Personen teil. Der Saal ist lediglich 200 qm groß, so dass ein Abstand zwischen den Personen von 1,5-2 Metern nicht durchgängig einzuhalten ist. Viele der Verfahrensbeteiligten gehören außerdem zu Risikogruppen, bei denen ein besonders schwerer Verlauf einer Covid-19 Erkrankung zu erwarten ist. Der Senat ließ mobile Plexiglasscheiben aufstellen und ordnete eine Maskenpflicht an. Die Gutachter kamen zu dem Schluss, dass eine Verhandlung unter diesen Bedingungen kein erhöhtes Infektionsrisiko im Vergleich zum allgemeinen Ansteckungsrisiko, z.B. in öffentlichen Verkehrsmitteln, darstelle. Dass derzeit jedoch viele Menschen – v.a. aus Risikogruppen – gerade nicht die öffentlichen Verkehrsmittel benutzen und man dort auch nicht fünf oder mehr Stunden verbringt, störte weder die Gutachter noch den Senat. Ebenso wenig wurde der Umstand berücksichtigt, dass es bei so vielen Menschen und in einer dynamischen Hauptverhandlung zwangsläufig zu einer Unterschreitung von Abstandsregeln kommt. Dass der Raum fensterlos ist, also nur durch eine Klimaanlage gelüftet werden kann, spielte ebenfalls für die Gutachter keine wesentliche Rolle. Der Senat nahm seine Fürsorgepflicht, insbesondere gegenüber den Angeklagten in der Hauptverhandlung ebenfalls nicht ernst: Dies zeigte sich u.a. darin, dass der Vorsitzende Verfahrensbeteiligten, die Anträge stellen oder Erklärungen abgeben wollten, das Tragen der Masken anheimstelle. Dies führte zur ernsthaften Sorge der Verteidigung, dass ein ernsthaftes und erhöhtes Ansteckungsrisiko im Gerichtssaal besteht. Einen entsprechenden Antrag der Verteidigung vom 12. Mai 2020, die Hauptverhandlung wegen des Infektionsrisikos zu unterbrechen, lehnte der Senat ab. Offensichtlich hat der Senat nur das Ziel, das Verfahren schnellstmöglich zu beenden, auch um den Preis der Gesundheitsgefährdung. 

Ebenfalls nimmt der Senat zur scheinbar schnelleren oder sicheren Beendigung des Verfahrens Einschränkungen der Verteidigungsrechte von Müslüm Elma in Kauf. Wie bereits berichtet, wurde Müslüm Elma grundlos und gegen seinen Willen ein durch das Gericht ausgesuchter dritter Pflichtverteidiger beigeordnet. Dieser Zwangsverteidiger kann auch gegen den Willen von Herrn Elma im Verfahren aktiv werden und z.B. Anträge stellen und Erklärungen abgeben. Diese Beiordnung kann nicht anders verstanden werden, als ein Versuch des Gericht, Herrn Elma und seine bisherige Verteidigung unzulässig zu disziplinieren. Ein deshalb gegen das Gericht gestellter Befangenheitsantrag blieb ohne Erfolg. 

So erschien dieser Zwangsverteidiger, ein Rechtsanwalt Joachim Schwarzenau aus Dachau, erstmals am 12. Mai 2020 zur Verhandlung. An diesem Tag beantragte die Verteidigung von Herrn Elma erneut, ihn zu entpflichten. Herr Elma habe keinerlei Vertrauen zu einem Anwalt, der bereit sei, auf Bitten des Gerichts und gegen den Willen des Mandanten nach 213 Hauptverhandlungstagen in ein Verfahren einzusteigen. Auch dieser deutliche Antrag brachte RA Schwarzenau nicht dazu, wenigstens jetzt selbst seine Entpflichtung zu beantragen, obwohl sogar der Vertreter des Generalbundesanwalts beantragte, die Beiordnung rückgängig zu machen, weil sie nicht notwendig sei. Das Gericht hielt an seiner Entscheidung fest. 

Ein weiterer Antrag der Verteidigung Elma befasste sich ebenfalls mit der Einschränkung der Verteidigung. Während der vorangegangenen zweimonatigen Unterbrechung der Hauptverhandlung war der Verteidigung Elma aufgefallen, dass per Post verschickte Verteidigerbriefe nicht oder nur sehr verzögert und geöffnet bei Herrn Elma bzw. seinen Verteidiger*innen eintrafen. Nachforschungen ergaben, dass diese vertrauliche Verteidigerpost noch immer durch einen sogenannten Leserichter kontrolliert wurde, obwohl die entsprechende Anordnung durch den Senat bereits seit April 2018 aufgehoben war. Wie durch einen weiteren Antrag der Verteidigung Elma am 25. Mai 2020 bekannt wurde, erstreckte sich die Kontrolle auf insgesamt 19 Briefe. Dies bedeutet, die Briefe wurden rechtswidrig von einem Ermittlungsrichter am Amtsgericht München, teilweise auch von einem Dolmetscher gelesen und mit erheblicher Verspätung weitergeleitet. Dieser massive Eingriff in die (Verteidigungs-)rechte von Herrn Elma erfolgte, obwohl das Gericht sowohl der JVA als auch dem Ermittlungsrichter mitgeteilt hatte, dass die entsprechende Anordnung aufgehoben worden war. Konsequenzen hatte diese Rechtsverletzung für die Verursacher bisher nicht. Sie erinnert fatal an den Beginn des Verfahrens: Damals wurde bekannt, dass aufgrund der seinerzeit noch bestehenden Anordnung zur Überwachung der Verteidigerpost diese an eine Vielzahl nicht zur Verschwiegenheit verpflichtete Übersetzer gegeben worden war und sie sogar elektronisch an in der Türkei ansässige Übersetzer weitergeleitet worden war, um möglichst billige Übersetzungen zu erhalten. Auch damals hatten diese offensichtlichen Rechtsverstöße keine Konsequenzen. Dieser nachlässige Umgang mit Verteidigerpost zeigt, wie wenig ernst diese sogenannten Leserichter anscheinend ihre Aufgabe nehmen.