„Die Kommunisten verschmähen es, ihre Ansichten und Absichten zu verheimlichen. Sie erklären es offen, dass ihre Zwecke nur erreicht werden können durch den gewaltsamen Umsturz aller bisherigen Gesellschaftsordnung. Mögen die herrschenden Klassen vor einer Kommunistischen Revolution zittern. Die Proletarier haben nichts in ihr zu verlieren als ihre Ketten. Sie haben eine Welt zu gewinnen.“ 

(Manifest der kommunistischen Partei)

ÜBERALL, WO ES AUSBEUTUNG UND UNTERDRÜCKUNG GIBT, GIBT ES AUCH WIDERSTAND. DAS IST EIN GESETZ DES KLASSENKAMPFES, DER DIE MENSCHHEIT VORANBRINGT. GEGEN UNTERDRÜCKUNG, AUSBEUTUNG UND GRAUSAMKEIT ZU KÄMPFEN IST EIN RECHT, EINE PFLICHT UND DIE HISTORISCHE VERANTWORTUNG DES FORTSCHRITTLICH-SEINS, DES PROLETARISCHEN BEWUSSTSEINS. DESWEGEN IST DER WIDERSTAND GEGEN DEN FASCHISMUS, IMPERIALISMUS, FEUDALISMUS UND GEGEN JEGLICHE REAKTION LEGITIM UND KANN NICHT VERURTEILT WERDEN. WIR STÜTZEN UNS AUF DIESE HISTORISCHE LEGITIMITÄT UND MACHEN VON DIESEM RECHT GEBRAUCH. 

Man muss die Leute aufwecken. Ihre Art und Weise, die Dinge zu identifizieren, umkrempeln. Man muss unannehmbare Bilder schaffen. Damit die Leute schäumen. Sie zwingen, zu verstehen, dass sie in einer verrückten Welt leben. In einer Welt, die nichts Beruhigendes hat. Einer Welt, die anders ist, als sie meinen.” 

Pablo Picasso 

Sehr geehrter Herr Vorsitzender, sehr geehrte Senatsmitglieder, sehr geehrter Vertreter der Bundesstaatsanwaltschaft, 

unsere Festnahme liegt über fünf, der Beginn dieses Gerichtsverfahrens über vier Jahre zurück. Seit über fünf Jahren hält uns die Bundesrepublik Deutschland mithilfe der deutschen Justiz als Geiseln. Ich wurde fast drei Jahre im Gefängnis gehalten und jede Woche fahre ich 1.400 Kilometer hin und zurück. Mein ganzes Leben orientiert sich an diesem Verfahren. Und nun fordert die Staatsanwaltschaft eine vierjährige Haftstrafe für mich. Als wäre all diese Zeit nicht genug! Die Begründung: „Terrorismus“! Es gibt ein Zitat, das Woody Allen zugeschrieben wird: „Wenn du Gott zum Lachen bringen willst, erzähle ihm von deinen Plänen.“ Wenn wir diese Worte auf unsere Verhältnisse hier ummünzen sollten, könnten wir sie wie folgt modifizieren: „Wenn du Gott zum Lachen bringen willst, erzähle ihm von den Terrorismus-Prozessen des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz und der deutschen Justiz.“ Ich schätze, es wäre passend mit einem Zitat der linken Bundestagsabgeordneten Sahra Wagenknecht anzufangen. Als im Bundestag über die Terrorismusfrage und den Weltfrieden debattiert wurde, sagte Wagenknecht folgendes: „Die NATO und die westlichen Länder, die terroristische Organisationen gründeten und bewaffneten, Öl-, Erdöl- und Energieregionen destabilisierten, gegen die von ihnen selbst gegründeten terroristischen Organisationen angeblich einen Krieg geführt und den Tod oder die Flucht von Millionen Zivilisten verursacht haben, sollten sich zunächst mit ihrer eigenen Geistesgesundheit auseinandersetzen.“ 

Die Staatsanwaltschaft gibt sich große Mühe, um mich/uns zu „Terrorist*innen“ zu erklären. Als Vorbereiterin eines Verfahrens, das durch einen Beschluss des deutschen Staates/der Bundesregierung eingeleitet wurde, muss sie es auch tun. Die Bundesrepublik Deutschland zählt zu den größten kapitalistisch-imperialistischen Staaten und sie ist der Staat des Finanzkapitals und der Monopolbourgeoisie. Es gibt nichts Verwunderliches daran, dass ein Staat/eine Regierung, der/die sich den Interessen des Finanzkapitals und der Monopolbourgeoisie entsprechend positioniert, gegenüber Kommunist*innen feindlich gesinnt ist; das entspricht der Natur der Dinge. Sie/er handelt ihrem eigenen Klassenbewusstsein und -hass entsprechend. Das ist es, was Freundschaft und Feindschaft bestimmt. Während der ganzen Menschheitsgeschichte gaben die Herrschenden ihren Gegner*innen ähnliche Namen, sie versuchten den Ruf derjenigen, die ihrer Herrschaft widerstanden, mit einer ähnlichen Demagogie, mit Lügen und Listen zu zerstören und sie zu entwerten. Das stellt gleichzeitig einen Versuch dar, ihre eigenen Verbrechen zu verschleiern. Das ist, was sie taten und was sie tun werden. Die demagogischen Begriffe der letzten Jahre sind „Terror“ und „Terrorist*in“. Die TKP/ML als eine „terroristische Organisation“ und uns als „Terrorist*innen“ zu bezeichnen ist zwecklos, da es zu keinem Ergebnis führen wird. Die TKP/ML ist die Vertreterin des internationalen Proletariats in unserem Land. In ihrem würdevollen, widerständigen, sich gegenüber dem Volk verantwortenden Kampf gegen die faschistische Diktatur sind Hunderte ihrer Kämpfer und Kämpferinnen und Kader gefallen; Tausende Kämpfer*innen und Kader der TKP/ML waren mit Folter, extralegalen Hinrichtungen und der Praxis des in Gewahrsam Verschwindenlassens konfrontiert. Trotz alledem konnte sie sich von jenem Wesen, das Sie ihr zuzuschreiben versuchen, fernhalten. 

Und wie beschreibe ich mich, wie beschreiben wir uns selbst? Zuallererst beschreibe ich uns als Kommunist*innen und Revolutionär*innen. Wir vertreten heute das internationale Proletariats und die fortschrittliche Menschheitsfamilie, die ihr eigenes Leben riskieren, um das Rad der Geschichte weiter zu drehen, die von allen Widersprüchen der Menschheitsgeschichte geprägt sind, die unterdrückt, ausgebeutet und ermordet werden, aber dennoch ihren Willen und ihren Glauben an die Zukunft nicht verlieren. Deswegen sind wir einerseits Menschen eines bestimmten Landes, andererseits aber auch Internationalist*innen. 

Wir schöpfen unsere Kraft aus den Tiefen der Geschichte und glauben daran, dass die Menschheitsgeschichte eine Geschichte der Klassenkämpfe ist; wir passen unsere Schritte dem Verlauf der Geschichte an, wir beseitigen das Alte, das Verdorbene, das Überholte und schaffen das Neue. 

Wir sind Vertreter*innen der revolutionärsten Klasse der Geschichte, des Proletariats, das gegen den Imperialismus, den Faschismus, den Feudalismus und jegliche Reaktion aufsteht und außer seinen Ketten nichts zu verlieren hat; und wir vertreten sein Ideal, für die ganze Menschheit eine freie, unabhängige und friedliche Welt ohne Ausbeutung und Kriege zu schaffen. 

Wir sind die Kurd*innen, Türk*innen, Las*innen und Tscherkess*innen unseres Landes. Wir sind die christlichen Völker, die Armenier*innen, Griech*innen, Chaldo-Assyrer*innen unseres Landes. Wir sind die unterdrückten Völker der Türkei und von Türkisch-Kurdistan verschiedenster Nationalität. Wir sind aber gleichzeitig auch diejenigen, die in Europa, in Latein- und Südamerika, im Nahen Osten dagegen Widerstand leisten, als nicht existent behandelt, herabwürdigt, ausgegrenzt, ausgebeutet und unterdrückt zu werden. 

Wir spüren jegliche Unterdrückung, jegliche Gräueltat, die irgendwo auf der Welt begangen wird, in unserem Inneren, in unserem Geiste und betrachten es als gegen uns gerichtet. Denn wir sind Mitglieder einer riesigen Menschheitsfamilie. 

In den Gefängnissen und Folterkellern der Weltreaktion waren wir. Wir waren die Geschwister Scholl, die in Nazi-Deutschland hingerichtet wurden. Wir wurden gemeinsam mit der jungen Partisanin Soja erhängt, die in einem ähnlichen Alter wie die Geschwister Scholl im Vaterland des Sozialismus gegen allerlei Folter der nationalsozialistischen Besatzer*innen Widerstand geleistet und sich mit den Worten verabschiedet hatte: „Wir sind zweihundert Millionen, alle könnt ihr nicht erhängen. Ich kann gehen, aber die Unseren werden kommen. Ergebt euch, solange ihr es noch könnt. Brüder, Schwestern, lebt wohl. Brüder, Schwestern, kämpft bis zum Sieg. Ich höre die Geräusche ihrer Hufeisen; die Unseren kommen!“ 

Wir wurden gemeinsam mit den Pariser Kommunard*innen füsiliert, mit Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht wurden unsere Leichen auf die Straße geworfen. Mit Ibrahim Kaypakkaya, dem kommunistischen Anführer und dem Vertreter des Kommunismus in unserem Lande, der seinen Glauben an die Zukunft mit den Worten „Wir werden vielleicht nicht mehr existieren, aber dieser Stahl wird nicht vergessen, mit welchem Wasser er gehärtet wurde“ ausdrückte, wurden wir in den Folterkellern Diyarbakırs ermordet. Gemeinsam mit Deniz Gezmiş, dessen letzten Worte „Es lebe der Unabhängigkeitskampf des türkischen und kurdischen Volkes!“ waren, wurden wir am Galgen hingerichtet. Mit Mahir Çayan, der sagte: „Wir kamen nicht hierher, um zurückzukehren, sondern um zu sterben“, wurden wir erschossen. Wir waren die vier kurdischen Revolutionäre, die in den Folterkellern Diyarbakırs gegen die Gräueltaten ihre Körper in Feuerbälle verwandelten, um Licht in die Dunkelheit zu bringen. Wir waren diejenigen, die in den Gefängnissen von Diyarbakır, Metris, Bayrampaşa, Ümraniye, Ulucanlar, Buca, Çanakkale… im Todesfasten und Hungerstreik erschossen, verbrannt und durch Folter ermordet wurden. Wir waren die 224 peruanischen Gefangenen, die in den Gefängnissen von Lima und Callao brutal ermordet wurden. Genauso wie wir Bobby Sands waren, der im Widerstand gegen den englischen Kolonialismus, im Long Kesh-Gefängnis im Hungerstreik starb. 

Wir sind wiederum die Armenier*innen, die in der Person Hrant Dinks auf der Straße erschossen wurden. Wir waren diejenigen, die in den Kellergeschossen in Cizre ermordet, verbrannt und zerstückelt wurden; wir waren Hacı Lokman Birlik, dessen Leichnam an einem gepanzerten Polizeifahrzeug durch Şırnak geschleift wurde; wir sind die Kurdin Ekin Van, deren Leichnam nach ihrer Ermordung nackt präsentiert wurde. Wir waren Berkin Elvan, der mit 14 Jahren durch eine Polizeikugel starb; wir waren Uğur Kaymaz, der mit 12 Jahren von 13 Kugeln durchlöchert wurde; wir waren die 10-jährige Cemile Çağırca, deren Leichnam in der Tiefkühltruhe aufbewahrt wurde, damit er nicht verweste; wir waren die Mutter Taybet, deren Leiche man eine Woche lang auf der Straße liegen ließ. 

Wir waren auch die Deutschen, Französ*innen, Belgier*innen und Engländer*innen, die in Paris, Brüssel, Berlin, London und Istanbul durch die islamistisch-faschistischen Banden ermordet wurden, die von Imperialist*innen und ihren Handlanger*innen unterstützt und losgeschickt wurden. Wir waren die jesidischen Frauen, die in Shingal ermordet und als Sklavinnen verkauft wurden. Wir waren Helin und Ibrahim, die Grup Yorum-Mitglieder, die unsterblich wurden, indem sie im Todesfasten gegen die Konzertverbote und den gegen sie gerichteten Staatsterror starben. Wir waren Mustafa Koçak, der während seines Todesfastens mit der Forderung nach einem gerechten Gerichtsverfahren gefoltert wurde und für Gerechtigkeit starb. 

Wir waren die Millionen Jüd*innen, Sinti und Roma, Sozialist*innen und Kommunist*innen, die in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern ermordet wurden; wir waren die deutschen Revolutionär*innen und Kommunist*innen, die gegen den Hitlerfaschismus Widerstand leisteten und kämpften. 

Wir kämpften und verloren in Hamburg, München, im Ruhrgebiet und auf den Barrikaden Madrids; aber wir waren auch diejenigen, die am 17. Oktober 1917 im Winterpalais siegreich waren und in Stalingrad die Armeen Hitlers besiegten. Wir waren es, die in Berlin die rote Fahne hissten. Genauso wie in China, Kuba, Vietnam, Kambodscha, Laos, Bulgarien und Albanien. 

Wir waren diejenigen, die für Arbeiter*innen, Bäuer*innen, Frauen und Völker verschiedener Nationalitäten eine neue Welt errichteten. So wie wir diejenigen waren, die dafür ihr eigenes Leben aufgaben, damit die ganze Menschheit in Frieden und Geschwisterlichkeit leben kann. Wie in den Worten des kommunistischen Anführers Ibrahim Kaypakkaya „Wir werden vielleicht nicht mehr existieren, aber dieser Stahl wird nicht vergessen, mit welchem Wasser er gehärtet wurde“ oder mit den Worten von Rosa Luxemburg, der tapferen Marxistin und Kommunistin des deutschen Volkes: „Wir waren – wir sind – wir werden sein!“ 

Wir strebten weder Ruhm noch individuelle Vorteile an. Wir haben weder jemanden ausgebeutet noch jemanden unterdrückt. Wir schauten, sahen, lernten und marschierten. Wir glaubten an Wissenschaft und lehnten Aberglauben ab. Wir lasen Geschichtliches, Philosophisches und Wirtschaftliches, wir beobachteten und interpretierten das Gegenwärtige, wir hörten denen zu, die mehr wussten als wir selbst, und lernten von ihnen. Weder verkauften wir unsere eigene Vernunft, noch kauften wir die von anderen. Wir waren Menschen und blieben nur solche. 

Wir versuchten den ausgebeuteten, unterdrückten und ausgegrenzten Arbeiter*innen, den Frauen, die für ihre Befreiung vom Patriarchat kämpfen, den LGBTI und Kindern, verschiedenen Nationen und Minderheiten, deren Identitäten verleugnet werden, der geplünderten Natur eine Stimme zu verleihen. Das ist, was wir sind, was wir wollen und was wir tun. Deshalb sagen wir: 

“Eine Schönheit leidenschaftlich lieben / Und kämpfen können um jener Schönheit willen / In der Schönheit eines Kampfes liebte ich dich / Tausend Mal stutzten sie unsere jugendfrischen Äste / Tausend Mal brachen sie sie ab / Wieder sind wir in der Blume, wieder in der Frucht / Tausend Mal erstickten sie die Zeit in Furcht / Tausend Mal töteten sie sie / Wieder sind wir in der Geburt, wieder in der Freude / Nicht zu Ende ist jener Kampf, er geht weiter und wird weitergehen / Bis die Erde zur Erde der Liebe wird / Paläste, Dynastien gehen unter / Das Blut verstummt eines Tages, die Unterdrückung findet ein Ende / Auch Veilchen blühen über uns / Auch Flieder lachen / Übrig bleiben von heute / nur diejenigen, die gen morgen gehen / und nur diejenigen, die um des Morgens willen Widerstand leisten / Hey ihr, die sagen, alles sei vorbei / Ihr, die am Tische der Furcht Verzagtheit essen / Weder die Blumen, die auf Wiesen Widerstand leisten / noch die Wut, die in Städten riesig wird / haben sich noch verabschiedet / Nicht zu Ende ist jener Kampf, er geht weiter und wird weitergehen / Bis die Erde die Erde der Liebe wird!“ 

Deswegen sagen wir: „Die Lage ist gut; denn die Wahrheiten sind revolutionär. Das Schlechte für uns sind nicht die Wahrheiten, sondern sie nicht entdecken zu können. Die Lage ist gut; denn wir beschäftigen uns nicht mit Träumen, sondern mit Wahrheiten. Die Lage ist gut; denn wir sind nicht auf dem Weg der Ausweglosigkeit, der Zersetzung und des Pessimismus, sondern auf dem der Lösung, der Zusammenkunft und der Hoffnung.“ 

Nun kommen wir zu den Vorwürfen: Was ist der eigentliche Vorwurf? Terrorismus! Ein wichtiger und beängstigender Vorwurf – vor allem heutzutage! Dann fangen wir mit einer Geschichte an, die sich auf den Terrorismusvorwurf bezieht. Der kleine Moiz erreichte das Grundschulalter. Als er nach seinem ersten Schultag nach Hause kam, fragte ihn seine Mutter: „Mein Sohn, was hat denn eurer Lehrer euch heute erzählt?“ Moiz antwortete: „Es soll einen Mann namens Moses gegeben haben. Er hatte eines Tages Stress mit einem anderen Mann, der Ramses hieß. Moses nahm seine Leute mit und floh. Sie flohen und flohen, bis sie einen Fluss erreichten. Die Armee von Ramses war hinter ihnen her. Moses nahm sein Handy heraus und rief den Mossad, die CIA, das Militär und alle anderen an. Sofort kamen Hubschrauber und Soldat*innen, die eine Brücke über den Fluss bauten. Moses und seine Leute überquerten den Fluss. Als Ramses und seine Leute auf der Brücke waren, kamen Kampfflieger und bombardierten die Brücke, so dass die ganzen Männer von Ramses ins Wasser fielen und im Fluss ertranken.“ Seine Mutter rief: „Das glaube ich nicht! Hat dein Lehrer es wirklich so erzählt?“ Moiz antwortete: „Ach Mutter, wenn ich dir die Version meines Lehrers erzählt hätte, hättest du die Geschichte erst recht nicht geglaubt!“ 

Sehr geehrter Herr Vorsitzender, sehr geehrte Senatsmitglieder, 

weder ist unser Problem ein Persönliches, noch sind es unsere Entgegnungen und Feststellungen. Hier läuft ein Gerichtsverfahren, dessen Rahmen nach einem theoretischen Verständnis institutionell bestimmt wurde. Ihre persönliche Mentalität hat gewiss einen Einfluss auf diesen Prozess, sie ist aber fern davon, das Wesentliche zu bestimmen. Aus diesem Grund beinhaltet kein einziger Teil meiner Worte Feststellungen über Sie als Einzelpersonen. Während dieses Gerichtsverfahrens lag uns eine das Problem individualisierende Haltung, trotz all der Geschehnisse, fern. Eine individualisierende Herangehensweise würde dazu dienen, die Funktionsweise des Systems zu verschleiern, wäre also eine unwissenschaftliche Herangehensweise. Denn in diesem Saal könnten die Staatsanwaltschaft und der Senat durch andere Menschen desselben Berufs vertreten werden, während an unserer Stelle andere Revolutionär*innen und Kommunist*innen sich auf der Anklagebank befinden könnten – was ja auch geschieht. Bis heute wurden abgesehen von er TKP/ML zahlreiche andere türkische und kurdische Revolutionär*innen unter verschiedenen Namen verklagt. Man versuchte sogar den Mord an Olof Palme, dessen Mörder vor Kurzem festgestellt wurde, kurdischen Revolutionär*innen in die Schuhe zu schieben. Ich versuche hier von einem Zustand des Macht-Seins, des Regierens und des Gegen-seine*n-Gegner*in-Vorgehens zu sprechen. Die Geschichte schreitet voran, die Regierenden in einem Staat ändern sich, die Alten werden durch Neue ersetzt, aber das herrschende Denken und die herrschende Mentalität bleiben intakt. Während unserer Festnahme wurde das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz durch X vertreten, heute wird es durch Y vertreten. Gestern erklärte der derzeitige türkische Außenminister Abdullah Gül nach den Razzien in kurdischen Institutionen in Deutschland gegenüber der türkischen Presse: „Ich schrieb meinem Kollegen und Freund Fischer und verlangte von ihm, dass sie aktiv werden, und er leitete es an den Innenminister Otto Schily weiter. Die Operation bereiteten wir gemeinsam vor.“ Dieser Erklärung antwortete der deutsche Innenminister mit den Worten: „Gegen den Terror haben wir gemeinsam Maßnahmen ergriffen.“ Und heute sagt Erdoğan immer wieder: „Ich habe Merkel vier Tausend Akten gegeben, das Notwendige soll unternommen werden“ (später erklärte er, dass die Anzahl jener Akten auf 4.500 gestiegen ist), und das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz setzte diese Linie mit seinen stetigen Deklarationen wie „NATO-Partnerschaft und gemeinsamer Kampf gegen den Terror“ und „Die Türkei leidet sehr unter dem Terror“ fort. Deswegen sollte hier von einer Mentalität, einer Denksystematik und ihrer Konkretisierung im Bereich der Justiz die Rede sein. Denn infolge dieser Mentalität und dieser Praktiken wurden in der Europäischen Union, vor allem in Deutschland Dutzende Verfahren eingeleitet, Dutzende Menschen verklagt und verurteilt. Denn infolge dieser Mentalität und dieser Praxis wurde mir meine Freiheit seit über fünf Jahren genommen. Fast drei Jahre wurde ich im Gefängnis gehalten und danach wurde ich, wenn auch kurzzeitig, wieder verhaftet und nochmals freigelassen. Da Letzteres aus den Verfahrensakten entfernt wurde, werde ich mich damit nicht tiefgehend beschäftigen und mich damit begnügen, etwas sehr Konkretes und Nachgewiesenes zu sagen. Die Herangehensweise, die bei unserer zweiten Verhaftung an den Tag gelegt wurde, also die „beeindruckenden“ Bemühungen des eines der Hauptelemente dieses Verfahrens darstellenden Polizeiverantwortlichen (also des Herrn Klose, der ja jene Akte zusammengestellt hatte) und die Verfälschung der für diesen Zweck vorbereiteten Dokumente und dass er selbst den Senat manipulierte, sind wichtig in Hinblick darauf, dass sie die aggressive Vorgehensweise deutlich machen. 

Sehr geehrter Herr Vorsitzender, ein türkisches Sprichwort sagt: „Wenn das Fleisch stinkt, liegt die Lösung im Salz. Wenn aber das Salz stinkt, gibt es keine Lösung.“ Dann ist es also vorbei, zu spät! Wenn bei denjenigen, die die Akten über uns zusammengestellt und gegen uns ermittelt, Informationen und Dokumente gesammelt haben, diese Mentalität herrscht, muss ich an dieser Stelle Robert Taft zitieren: „Diesem Gericht haftet der Geist der Rache an, und Rache ist selten Gerechtigkeit.“ 

Wenn wir diesen Prozess von seinem Anfang an betrachten, entdecken wir Dutzende Gründe, um ihn als ein auf politischer Feindchaft beruhendes Verfahren zu bezeichnen. Aus diesem Grund verwundert es mich, dass man sich darüber wundert, dass man dies als ein Gerichtsverfahren ansieht, in dem bezogen auf die TKP/ML, der Vertreterin des internationalen Proletariats in der Türkei und Türkisch-Kurdistan, der Kampf der Menschheit für eine Welt ohne Klassen, Ausbeutung und Unterdrückung verurteilt werden soll. Das Problem dabei hängt nicht unmittelbar damit zusammen, ob einzelne Personen bei der Staatsanwaltschaft oder im Senat Antikommunist*innen sind oder nicht. Alle Mitglieder des Senats und sogar der Staatsanwaltschaft mögen in ihrem Privatleben keine Antikommunist*innen sein; sie mögen sogar Linke sein. Da sich allerdings das Verfahren der Zusammenarbeit zwischen kapitalistischen Staaten und der Selbstverwirklichungsweise der Bundesrepublik Deutschland entsprechend gestaltet, stellt es jenseits des Willens derer, die hier über uns praktisch urteilen, ein antikommunistisches Verfahren dar, das von den Vertreter*innen der kapitalistisch-imperialistischen Welt gegen Menschen eröffnet wurde, die eine andere Welt wollen. Mit anderen Worten, es handelt sich hier um ein Gerichtsverfahren, das den grundsätzlichen Eigenschaften des kapitalistisch-imperialistischen Systems und einer politischen Tendenz, die auf den Interessen des deutschen Kapitals beruht, entsprechend geschaffen wurde. Sind dies große Worte? Es kommt darauf an, aus welcher Perspektive und mit welcher Intention man dies betrachtet. Ich meinerseits spreche dies nicht aus, um große Worte zu sagen, sondern weil ich der Meinung bin, dass diese der Wahrheit entsprechen. Der Vertreter der Staatsanwaltschaft machte sich in seinem Plädoyer über uns lustig, indem er behauptete, wir seien eingebildet und sähen uns als „Auserkorene“, aber auch über die Feststellung, dass der Prozess gegen uns eines der größten Verfahren der deutschen Nachkriegsgeschichte sei, oder es kam mir so vor! 

Erstens, wenn ich für mich sprechen soll, geht es nicht darum, ob ich mich selbst gut finde. Aber meine Weltanschauung und meine durch diese Weltanschauung geprägten Bemühungen, wahrzunehmen, daraus Schlüsse zu ziehen und für die Menschheit eine Perspektive zu entwerfen, finde ich – trotz all ihrer Unzulänglichkeiten – im Wesentlichen natürlich gut. Ich schätze, dasselbe gilt für alle Menschen in diesem Gerichtssaal. Oder gibt es irgendjemanden in diesem Saal, der sagen würde: „Mein Gehirn funktioniert nicht“, „Ich weiß nichts“ oder „Meine Weltanschauung ist sinnlos“? Wenn wir trotz der Möglichkeit für viele von uns, aufgrund unserer Bildungsabschlüsse innerhalb dieses Systems wesentlich bessere Lebensbedingungen zu haben, wie der Herr Staatsanwalt ebenfalls in seinem Plädoyer sagte, ohne unsere persönlichen Interessen im Blick zu haben, ohne eine Verbesserung unserer individuellen Lebensbedingungen anzustreben, die Weisheit gezeigt haben, das Leid Anderer und die Gräuel, die sie erleiden müssen, in unserem Geist, unseren Körpern und Gedanken nachzuempfinden, und aufgrund dieser menschlichen Sorgen einen wichtigen Teil unseres Lebens in Gefängnissen, in Folterkellern und unter Strafverfolgung verbracht haben, ist es dann nicht natürlich, dass wir auf uns selbst „stolz“ sind? Hinzu kommt, dass ich bisher meine Taten niemals als solche bezeichnet habe, die mich zu einem besonderen und privilegierten Menschen machen würden. Der Herr Staatsanwalt unterstrich in seinem Plädoyer eine Behauptung, indem er sagte, dass wir nicht unsere eigenen Interessen im Blick hatten. Das, was ich zu tun versuche, ist natürlich und menschlich. Wer die Menschheitsgeschichte als eine Geschichte der Klassenkämpfe und das Bewusstsein als ein durch diese Realität Gestaltetes betrachtet und den historischen Verlauf und die Gegenwart mithilfe dieses Bewusstseins begreift, lehnt es ab, sich mit seinen*ihren Taten zu brüsten. Außerdem, wenn mir eine Qualität zugeschrieben wird, die nicht zu den meinen zählt, wenn man mich wegen Definitionen, die meinen Werten diametral entgegenstehen, bestrafen will, gibt es dann etwas Selbstverständlicheres als dass ich mich mit all meiner Vernunft und all meinem Wissen dagegen zu wehren versuche? Genauso wie Herr Staatsanwalt mit all seiner Vernunft und all seinem juristischen Wissen versucht, dieses Verfahren zu legitimieren, sage ich, dass dieses Verfahren aus meiner Perspektive nicht legitim ist. Dass es nach bestehendem Strafrecht legitim sein soll und sich in einen Verfassungstext verhüllt, kann mich nicht davon abhalten, zu sagen, dass es nicht legitim ist. Zudem könnte man uns, mit etwas mehr Anstrengung, zu angeblichen „Kindermördern“ erklären. Die „Ermordung politischer Gegner*innen“ zählt weiter zu den grundsätzlichen Beschuldigungen in diesem Verfahren. Was soll ich tun? Soll ich etwas Falsches als richtig anerkennen? 

Außerdem werfen Sie mir nicht nur TKP/ML-Mitgliedschaft vor, sondern ein TKP/ML-Mitglied zu sein, das seine politischen Gegner*innen tötet beziehungsweise ihre Tötung gutheißt, diese Mentalität bis hin zur Tötung von Kindern ausdehnt und sich durch Terrorismus auszeichnet. Das sind zwei Paar Schuhe. Das sind zwei Wesensmerkmale, die sich nicht nur voneinander unterscheiden, sondern sich gegenseitig ausschließen und verurteilen. 

Zweitens, die „Größe“ des Verfahrens ergibt sich nicht durch unsere Behauptung, sondern aufgrund der Worte und Taten der Staatsanwaltschaft. Jahre lang mobilisierte man Kräfte für dieses Verfahren, man betrieb technische sowie physische Überwachung, es wurden dafür Millionenbeträge ausgegeben, Dutzende Beamt*innen des Staates waren und sind involviert, es wurden gegenseitig Gäste empfangen, und, soweit ich verstehe, wurden besondere Richter*innen Deutschlands ausgesucht. Während unserer Haft wurden mehrere Gefangenentransporter und Dutzende Polizist*innen mobilisiert, um uns einzeln in den Gerichtssaal zu bringen… So ein Gerichtsverfahren verdient es selbstverständlich, als ein „Großes“ bezeichnet zu werden. Eigentlich könnte die Staatsanwaltschaft  diese Definition auch annehmen. Wenn dieses Verfahren als eines der größten Gerichtsverfahren gegen Kommunist*innen der letzten Jahrzehnte bezeichnet wird, müssten sich ja auch die Vertreter*innen der Staatsanwaltschaft aus Personen zusammensetzen, die dieser Größe entsprechen, oder? Eigentlich liegt diesem Vorwurf der Gedanke zugrunde, „sie erkennen ja gar nicht ihre Schuld an“. Was sollen wir tun? Etwa lügen? Hieß es nicht, dass wir die Wahrheit aussprechen? Es wird behauptet, dass ich meine politischen Gegner*innen und sogar Kinder töten oder ihren Tod in Kauf nehmen würde, und Sie erwarten von mir, dass ich diese Behauptungen akzeptiere. Sie können sich sicher sein, dass ich heute nicht hier stünde, wenn ich auf diese Weise denken und handeln würde. Seit über vier Jahren sind wir jede Woche mehrere Tage im gleichen Saal und nun kann jeder mehr oder weniger schätzen, wer was mit welcher Intention sagt. Schließlich sprechen wir hier die Wahrheit aus. 

Sehr geehrter Herr Vorsitzender, sehr geehrte Senatsmitglieder, 

Herr Oberstaatsanwalt Heise behauptete in seinem verlesenen Plädoyer im Grunde genommen nach wie vor, dass dieses Verfahren – entgegen unserer Behauptung – nicht infolge gemeinsamer Interessen des türkischen und des deutschen Staates zustande gekommen sei. Hier stünden Terroranschläge der TKP/ML und Führungskräfte und Mitglieder der Organisation, die jene Terroranschläge verübt haben, vor Gericht. Zudem sagte er, hier würden – entgegen unserer Behauptung – nicht kommunistisches Denken und Dasein, sondern Terrorismus vor Gericht stehen. Andererseits, bei der Beschreibung der TKP/ML, sagte er, dass die ganze Organisation von der Basis bis zur Spitze auf der Grundlage der Rechenschaftspflicht voreinander und gegenüber dem Volk basiere. Er drückte also aus, dass die TKP/ML trotz ihrer Illegalität eine ziemlich demokratische und transparente Organisation sei. Lassen wir mal die TKP/ML beiseite. Welche Organisation, Partei oder Gemeinschaft auch immer, in der sich Menschen um ein gemeinsames Ziel herum versammeln, wenn sie auf diese Weise funktioniert, sollte sie wegen ihres stark ausgeprägten demokratischen Charakters gelobt werden. Das gleiche Verhalten wünschen wir doch auch den bürgerlichen Parteien. 

Der Herr Oberstaatsanwalt erzählt das alles natürlich, um etwas Negatives zu beweisen, dabei gibt er aber eben jene Wahrheit zu, von der ich spreche. Andererseits behauptet die Staatsanwaltschaft, dass unsere Behauptungen hinsichtlich der Eröffnung des Verfahrens sowie der Logik seiner Durchführung nicht zuträfen. Was aber passiert wirklich? Oder wie sehr spiegeln die Worte des Vertreters der Staatsanwaltschaft die Wahrheit wider? Um dies richtig begreifen zu können, hat man vor allem den Artikel, der die Grundlage dieses Verfahrens bildet, aber auch die Bedingungen, unter denen die Operation und die Verhaftungen stattfanden, die Sichtweisen, die sich in den Antworten auf einige Anträge der Verteidigung in diesem Verfahren ausdrückten, und die Behandlung von Problemen und die Denkweise anhand bestimmter Beispiele zu untersuchen. 

Ich möchte diese Untersuchung mit der folgenden Geschichte einleiten, die unsere Situation schildert: 

Der Schah vom Iran befahl die Tötung aller Kamele im Land. Der Fuchs flüchtete aus Todesangst auf die Berge. Man fragte ihn: „Der Befehl gilt für Kamele. Warum flüchtest du denn?“ Der Fuchs antwortete: „Bis ich beweisen kann, dass ich kein Kamel bin, würde man meinen Pelz in Teheran zum Verkauf anbieten.“ 

Auch uns ergeht es so oder so ähnlich. 

„Wahrheitssuche“ oder „zur Wahrheitssuche dienen“ – diese Worte waren im Laufe des Verfahrens häufig zu hören. Seit unserer Verhaftung sind über fünf, seit dem Beginn des Verfahrens über vier Jahre vergangen. In dieser Zeit versuchten sowohl die Ankläger als auch die Angeklagten alles in ihrer Hand Liegende zu tun, um jeweils ihre eigene Wahrheit zu definieren. Dabei kamen zwei „Wahrheiten“ heraus, die sich gegenseitig ausschließen und verurteilen, was ja jeglicher „Logik“ widerspricht. Wenn wir ein Ereignis oder Phänomen betrachten und bewerten und dabei auf zwei so verschiedene Ergebnisse wie „schwarz“ und „weiß“ kommen, muss eine der beiden Seiten einen Fehler gemacht, die Wahrheit nach Belieben umdefiniert und ihre eigene Wahrheit geschaffen haben. 

„Es gibt einen einzigen Weg, der zur Wahrheit führt, aber Tausende Wege, die von ihr wegführen.“ Man sagt, der Wahrheit selbst wohne keine ihr eigene Energie inne, deshalb müsse man sie verteidigen. Genau aus diesem Grund haben wir uns darum zu bemühen, zu wissen, zu lernen, wie man die Wahrheit herausfindet, und sie zu unserem Lebensmittelpunkt zu machen. Vor allem, wenn wir für „Gerechtigkeit“ sorgen! 

Was ist aber die Wahrheit in unserem spezifischen Fall und wie können wir sie herausfinden? Mit dem, was uns aufgezwungen, beigebracht wurde, mit dem, was man von uns verlangt zu lernen? 

Oder wie es heißt, man solle ins Wissenschaftliche unvoreingenommen eintauchen – sollen wir der Wahrheit „splitternackt“ begegnen? Dies ist einerseits sehr einfach, andererseits aber auch sehr schwer. Es ist schwer, denn es ist immer schwer, die Wahrheit zu verteidigen und man zahlt dafür einen Preis. Anstatt den Status Quo abzulehnen, das eigene Wohlergehen auf das Spiel zu setzen und sozialen Druck in Kauf zu nehmen, entscheidet man sich oft dafür, dem Bestehenden hinterherzulaufen und zu bejahen. Deswegen entscheiden sich Menschen im Allgemeinen dafür, Teil des Bestehenden zu sein. So kommt man seiner Pflicht nach und wird das Gewissen beruhigt. Auch in diesem Gerichtsverfahren werden Pflichten erledigt und Gewissen gerettet! Wenn dafür das deutsche Strafrecht herhält und, wenn das Strafrecht nicht genügt, Gründe aus dem Grundgesetz herangezogen werden, dann bleibt kein Problem mehr übrig! Genau deswegen spielen das Wesen des türkischen Staates und seine Besatzermentalität keine Rolle; mehrmalige Treffen der deutschen Sicherheitsbehörden mit ihren türkischen Kolleg*innen stellen kein Problem dar; die Beteiligung deutscher Sicherheitskräfte an Verhören in der Türkei wird als normal angesehen; es wird nicht problematisiert, dass Gerichtsunterlagen in die Hände Nichtbefugter gelangen; es ist keine Rede davon – es wird dem sogar zugestimmt – dass die Politik unter der Losung der „Maßgeblichkeit der außenpolitischen Interessen“ über die Justiz herrscht. Denn in den einzelnen Gesetzen und wenn nicht dort, dann im Grundgesetz wird sich bestimmt irgendein Artikel finden, der all das legitimiert. Wenn kein Artikel existiert, der all dem eins zu eins entspricht, wird durch das Interpretieren eine Begründung geschaffen, die einem Recht gibt. 

Sehr geehrter Herr Vorsitzender, sehr geehrte Senatsmitglieder, 

der Bereich der Justiz ist der wichtigste unter denen, auf die sich die Herrschenden stützen, denn Gesellschaften und einzelne Individuen werden durch das Rechtsverständnis und die Gesetze innerhalb des herrschenden Systems gehalten. Aus diesem Grund gestalten die herrschenden Klassen das Rechtsverständnis und natürlich die Gesetze so, dass es das Fortbestehen von ihnen und ihrem System gewährleistet. Welches Land auch immer wir uns anschauen, sehen wir ein Rechtssystem, das auf Klassenunterschieden beruht. Menschen, die Steuern in Höhe von 1.000 Euro hinterziehen oder ohne Fahrkarte in den Bus steigen und die Geldbuße nicht bezahlen, werden festgenommen, vor Gericht gestellt und verurteilt, aber denjenigen, die Millionen-, ja sogar Milliardenbeträge hinterziehen, geschieht nichts. Oder: in jeder Krise gehen kleine Geschäfte pleite, aber – wie wir es auch während dieser Pandemie sehen – gibt der Staat, ohne mit der Wimper zu zucken, den großen Monopolen Milliarden Euro, die aus den Steuern der arbeitenden Bevölkerung stammen. Wieso denn? Weil der Staat nichts als jene großen Monopole ist und alle Mechanismen, Institutionen und jegliche Politik für den Schutz dieser Gruppen konstruiert wurden und werden. Aus eben diesen Gründen hat die Justiz ein Problem mit der Gerechtigkeit. Aus ihrem Wesen heraus fällt es ihr schwer, gerecht zu sein. Während es in normalen Gerichtsverfahren verhältnismäßig einfach ist, Gerechtigkeit zuteil werden zu lassen, ist es in Verfahren, die auf einer politischen Grundlage gehandhabt werden, eine ziemlich schwierige Aufgabe für diejenigen, die auf dem Podium sitzen. Denn in solchen Fällen müsste eine staatliche Institution das Risiko eingehen, den grundsätzlich bestimmenden Institutionen und Politiken des Staates entgegenzutreten. Natürlich ist das ein Entgegentreten, das selten vorkommt. Solche Prozesse gestalten sich vielmehr durch eine Praxis, die das Urteil rechtfertigen und den Gesetzen anpassen soll. Eigentlich ist nichts Absurdes daran; es entspricht der Natur der Dinge. Auch das Gerichtsverfahren, mit dem wir hier konfrontiert sind, entspricht dieser Regel. Im Wesentlichen erkennen wir ein Rechts- und Gerechtigkeitsverständnis, das sich genau diesen Bedürfnissen entsprechend gestaltet. 

Die gegenwärtig im Strafrecht vorherrschende Philosophie ersetzt die göttliche Heiligkeit und die Unanfechtbarkeit göttlicher Befehle und ihre Annahme als absolute Wahrheiten durch die Heiligkeit des Staates und des Kapitals und die Unanfechtbarkeit dessen, was durch die Vertreter des heiligen Kapitals, d.h. dem kapitalistischen Staat und seine Vertreter*innen, hervorgebracht wird. Ist das eine übertriebene Erklärung? Die einzige Möglichkeit, dies zu verstehen, liegt in der Betrachtung des Wesens des Staates und der herrschenden Klasse und ihrer Selbstverwirklichungscodes und darauf beruhenden Reaktionen im Falle der Gefährdung ihrer grundsätzlichen Interessen. Hier zeigen sich der Herrschaftsstil und das Wesen der herrschenden Klasse konkret als „außenpolitische Interessen der Bundesrepublik Deutschland“. Das, was „außenpolitisches Interesse“ genannt wird, folgt unmittelbar aus dem Wesen der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Herrschaftsweise. Auch die Beziehungen zum türkischen Staat sind in diesem Rahmen verortet. Wie es schön heißt: „Sag mir, wer dein Freund ist, und ich sag dir, wer du bist.“ Sie würden sich nicht mit einem Menschen anfreunden, der nicht ähnliche Eigenschaften wie Sie hat, oder? Oder Sie gehen mit den Menschen aus Ihrem Umfeld eine Freundschaft ein, denen sie sich am nächsten fühlen. Das ist eine sehr eindeutige Form des Auswählens. Auch Staaten tun das Gleiche. Sie würden sich darüber wundern, dass selbst Staaten, die von außen betrachtet einander überhaupt nicht ähnlich zu sein scheinen, bei einer näheren Untersuchung eine Vielzahl von Gemeinsamkeiten aufweisen. Zum Beispiel bestehen zwischen Deutschland und der Türkei (wenn man die deutsche Geschichte beiseite lässt) nicht so viele Gemeinsamkeiten. Das eine ist eines der Länder, in denen die bürgerliche Demokratie am weitesten entwickelt ist, das andere eine faschistische Diktatur. Die Vertreter dieser beiden Staaten bauen sich voreinander manchmal derart voreinander auf und kritisieren einander dermaßen hart, dass man sich denkt: „Diese Worte sollte man selbst im Streit nicht in den Mund nehmen!“ und dass sich die Beziehungen nicht mehr so einfach verbessern würden. Aber, bevor man es zu Ende gedacht hat, sieht man, dass Merkel wieder in die Türkei geflogen ist und am Bosporus auf einem Sessel mit Schnitzereien sitzt und gemeinsam mit Erdoğan die Presse anlächelt – oder dass in Deutschland ein Journalist, der Erdoğan kritisierte, wegen Beleidigung verklagt worden ist. Es gibt also etwas Wichtigeres, das sie trotz all dieser gegenseitigen Beleidigungen und Vorwürfe zusammenhält und sie selbst persönliche Beleidigungen schlucken lässt! Es gibt also einen besonderen und grundsätzlichen Punkt, für den beide Seiten empfindlich sind und den beide Seiten in Schutz nehmen, so dass sie dazu gezwungen sind, einen Rückzieher zu machen. Das ist gleichzeitig der Versuch, die Teile, die das eigene Wesen ausmachen, neidisch zu beschützen. Aus diesem Grund werden auch das Recht und die Gesetze dem Schutz und der Legitimierung dieser „neidisch beschützten“ Phänomene entsprechend gestaltet. Vor unser aller Augen und im Gesetzesparagraphenartikel selbst wird diese Wahrheit offen sichtbar. Deswegen bezeichnetenschrieben wir den Gerichtsprozess von Anbeginn an als Umsetzung einer politischen Entscheidung. Diese Feststellung dient nicht zur Agitation. Die Zeit, die seitdem vergangen ist, und die Geschehnisse bestätigen unsere Feststellung. Dagegen haben sSie, die Anklage, ihre anfängliche Haltung beibehalten und darauf bestanden, dass das hier kein politisches Verfahren sei. Laut Ihnen gab es ein „Terrorismus“-Problem und das Verfahren erfolgte doch aus rechtlichen Gründen. Und deswegen galt es uns vor Gericht zu stellen und zu bestrafen. Es war auch irrelevant geworden, dass die erdrückende Mehrheit dieser Menschen in der Türkei wegen Mitgliedschaft in der TKP/ML, die man nun als eine terroristische Vereinigung darzustellen bemüht ist, vor Gericht gestellt, ins Gefängnis geworfen, gefoltert oder gesucht worden waren und aus eben diesem Grund in verschiedenen Ländern Europas einschließlich Deutschlands politischen Asyl erhalten hatten. Wie Süleyman Demirel, der lange Zeit türkischer Minister- und Staatspräsident war, es ausgedrückt hatte: „Gestern ist gestern, heute ist heute.“ Gestern war es rechtlich richtig, uns politisches Asyl zu gewähren, heute ist es eben richtig, uns aus demselben Grund als „Terrorist*innen“ vor Gericht zu stellen! Eines Tages soll ein betrunkener Christ einen Juden, den er an seiner Bekleidung erkannte, am Kragen gepackt und zu schlagen angefangen haben. Auf die Frage des Juden: „Warum schlägst du mich denn?“, antwortete der Christ: „Weil ihr Jesus Christus gekreuzigt habt!“ Nachdem der Jude sagte: „Das war aber doch vor 1500 Jahren!“, hielt der Christ kurz inne und antwortete: „Egal! Ich habe es gerade erfahren.“ Es ähnelt sehr dem Vorgehen des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz und der deutschen Justiz, oder? 

Sehr geehrter Herr Vorsitzender, sehr geehrte Senatsmitglieder, 

während genau zum Zeitpunkt unserer Verhaftung islamistische Banden, die von Imperialisten und von den rückschrittlichen Kräften in der Region, zu denen auch die Türkei zählt, aus dem Boden gestampft, unterstützt und vergrößert wurden, als Menschen verbrannten, zehntausende Menschen mit brutalsten Methoden ermordet wurden, diese Frauen und Kinder vergewaltigten und als Sklaven und Sklavinnen verkauften, weltweit in zahlreichen Ländern einschließlich Deutschland Massaker begingen und aus Ländern, zu denen Deutschland wiederum gehörte, wie mittels einer Reiseagentur tausende Menschen als Kämpfer*innen in Kriegsregionen wie den Irak, Syrien und Libyen gebracht wurden, diese schalten und walten konnten, wie sie wollten, stellten die „kommunistischen Terrorist*innen“, die TKP/ML, auf die sich die Bundesrepublik und die deutsche Justiz fokussieren mussten, die wirkliche Gefahr für Deutschland, Europa und den Weltfrieden dar! Was sollte man also tun? Einem Hollywood-Streifen ähnlich musste man Menschen, deren Wohnungen, Adressen und Arbeitsplätze bekannt waren, mit Unterstützung der Polizei anderer europäischer Länder am gleichen Tag, um die gleiche Uhrzeit festnehmen, damit die „Maßnahme“ der „Gefahr“ würdig war! So erschien die ganze Angelegenheit viel ernster! Das war aber noch nicht genug; wenn sie aus der Sicht der Bundesrepublik Deutschland „am gefährlichsten“, „am ehesten von der Gesellschaft zu isolieren“ waren, konnte man sich nicht mit einer einfachen Verhaftung begnügen. Die Verhafteten sollten eine „Sonderbehandlung“ erfahren. Sie sollten Monate lang keine anderen Häftlinge sehen, geschweige denn einander treffen. Deswegen sollten sie auch die eine Stunde Hofgang am Tag alleine verbringen. Sie hätten ja die anderen Häftlinge mit „Terrorismus“ anstecken können. Das war aber auch nicht genug, zwischen ihnen und ihren Besucher*innen musste es eine Scheibe geben, wobei die Besucher*innen von einem*r Polizist*in und einem*r Dolmetscher*in begleitet wurden. Sonst hätten sie ja miteinander Informationen austauschen können, die einen Einfluss auf das Verfahren haben könnten! Aber auch diese Maßnahmen waren nicht genug; auf die Anwält*innen war auch kein Verlass; auch von ihren Anwält*innen sollten sie durch eine Scheibe getrennt werden (vielleicht ein interessanter Fakt: eine Trennscheibe beim Anwält*innenbesuch und polizeiliche Begleitung beim Familienbesuch gibt es nicht ein Mal in der Türkei). Schließlich hatten die Bundesrepublik und die deutsche Justiz die „RAF-Erfahrung“ hinter sich (ein kleines Detail, das man aber bei alledem vergaß, war, dass das deutsche Volk auch die Erfahrung der nationalsozialistischen Herrschaft und Praktiken gemacht hatte. Das war aber eben „ein kleines Detail“, das längst in Vergessenheit geraten war). Demgegenüber warnte Bundespräsident Walter Steinmeier aber am 8. Mai 2020, dem 75. Jahrestags des Endes des Zweiten Imperialistischen Verteilungskrieges mit folgenden Worten: „Es waren Jahrzehnte, in denen viele Deutsche meiner Generation erst nach und nach ihren Frieden mit diesem Land gemacht haben. Es waren auch Jahrzehnte, die bei unseren Nachbarn neues Vertrauen wachsen ließen, die vorsichtige Annäherung möglich machten (…) Diese Jahrzehnte des Ringens mit unserer Geschichte waren Jahrzehnte, in denen die Demokratie in Deutschland reifen konnte. Und dieses Ringen bleibt bis heute. Es gibt kein Ende des Erinnerns. Es gibt keine Erlösung von unserer Geschichte. Denn ohne Erinnerung verlieren wir unsere Zukunft. Nur weil wir Deutsche unserer Geschichte ins Auge sehen, weil wir die historische Verantwortung annehmen, nur deshalb haben die Völker der Welt unserem Land neues Vertrauen geschenkt. Und deshalb dürfen auch wir selbst uns diesem Deutschland anvertrauen. Darin liegt ein aufgeklärter, demokratischer Patriotismus. Es gibt keinen deutschen Patriotismus ohne Brüche. Ohne den Blick auf Licht und Schatten, ohne Freude und Trauer, ohne Dankbarkeit und Scham. Rabbi Nachman hat gesagt: ‚Kein Herz ist so ganz wie ein gebrochenes Herz.‘ Die deutsche Geschichte ist eine gebrochene Geschichte – mit der Verantwortung für millionenfachen Mord und millionenfaches Leid. Das bricht uns das Herz bis heute. Deshalb: Man kann dieses Land nur mit gebrochenem Herzen lieben. Wer das nicht erträgt, wer einen Schlussstrich fordert, der verdrängt nicht nur die Katastrophe von Krieg und NS-Diktatur. Der entwertet auch all das Gute, das wir seither errungen haben – der verleugnet sogar den Wesenskern unserer Demokratie. ‚Die Würde des Menschen ist unantastbar.‘ In diesen ersten Satz unserer Verfassung ist und bleibt für alle sichtbar eingeschrieben, was in Auschwitz, was in Krieg und Diktatur geschehen ist. Nein, nicht das Erinnern ist eine Last – das Nichterinnern wird zur Last. Nicht das Bekenntnis zur Verantwortung ist eine Schande – das Leugnen ist eine Schande! Doch was bedeutet unsere historische Verantwortung heute, ein Dreivierteljahrhundert später? Die Dankbarkeit, die wir heute spüren, die darf uns nicht bequem machen. Im Gegenteil: Die Erinnerung fordert und verpflichtet uns! ‚Nie wieder!‘ – das haben wir uns nach dem Krieg geschworen.“ 

Woran man sich wirklich erinnern muss, sind meines Erachtens die Zeiten, von denen Steinmeier spricht, und die Mentalitäten, die jene Zeiten wahr werden ließen (Auch wenn er in Bezug auf die Türkei nicht diesem Verständnis entsprechend gehandelt hat!). Natürlich behandelt jede*r das, was ihm*ihr passt, als Geschichte und von jener Geschichte aus blickt er*sie auf die Gegenwart und die Zukunft. Deswegen setzt jede*r seine*ihre eigene Geschichte fort. 

Das folgende Bild habe ich selbst gezeichnet. Es ist die Zelle in München-Stadelheim, in der ich bis zu meiner Freilassung 23 Stunden des Tages verbracht habe. Das ist es also, was man „hoch entwickelte Demokratie“ nennt: 

pastedGraphic.png

Sehr geehrter Herr Vorsitzender, sehr geehrte Senatsmitglieder, 

so  sehen auch wir nochmals praktisch, wie und wonach die Justiz funktioniert. Eben aus diesem Grund sprach Karl Marx von Produktionsweise, Produktivkräften, Produktionsverhältnissen, gesellschaftlicher Emanzipation, Basis und Überbau, Ideologien, Klassen und Klassenkämpfen usw., anstelle von Menschen, dem wirtschaftlichen Subjekt, Bedürfnissen, Diebstahl, Unrecht, Geist und Freiheit, wie die Geschichtsphilosophien es taten. Wenn wir unsere Blicke von „Geschichtsinterpretationen“, die von den herrschenden Kräften konstruiert wurden, abwenden können, kommen wir zu Ergebnissen, die einer richtigen Definition der Wahrheit viel näher kommen; da die Entdeckung der Grundursache für die Geschehnisse in unserer Welt das Verständnis letzterer vereinfachen wird. Man könnte meinen: Ist die Erkenntnis über die Wahrheit mit ihrer Verteidigung gleichzusetzen? Die Antwort auf diese Frage lautet nein; denn Individuen, Klassen und Gruppen betrachten die Problematik anhand ihrer eigenen Interessen. Wenn man es grob zusammenfassen will – jede*r hat eine Denkweise und eine Philosophie, mit deren Hilfe er*sie die Welt interpretiert, und unabhängig davon, ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht, entsprechen diese der Klassenhaltung. Auch das Strafrecht, um das es hier geht, hat eine Philosophie und ohne einen philosophischen Blickwinkel, der es gestaltet, also ohne Philosophie kann es auch keine Strafgesetze geben. Wessen Blickwinkel ist es aber, der vorherrscht? Welche Werturteile, welche Gewissensüberzeugungen, welche Heiligkeiten wohnen ihm inne? Was priorisiert es? Auf welcher Grundlage existieren das Recht, die Justiz und die Gesetze? Was haben sie zum Ziel? Können diejenigen, von denen man behauptet, sie seien dafür zuständig, Gerechtigkeit zuteil werden zu lassen, die dazu einen Schwur abgelegt haben, deren Augen das Rechtssystem repräsentierend gebunden, in der einen Hand mit einer Waage, in der anderen mit einem Schwert, deren Roben gar keine Knöpfe haben, damit sie vor niemandem ihre Roben zuknöpfen, vor niemanden stramm stehen, eine entsprechende Praxis und Identität entfalten? Die Antworten auf alle diese Fragen können wir nicht beim Kaffeetrinken oder in Gesprächen mit Freund*innen erhalten. In solchen Situationen sind die meisten Menschen Demokrat*innen und jede*r ist freiheitlicher, egalitärer und gerechter als der*die andere! Der Bereich, in dem die Wahrheit über die Antworten auf diese Fragen herauskommt, ist in unserem Fall der Gerichtssaal, in dem die Gerichtsverhandlungen stattfinden. Ob man im wahrsten Sinne des Wortes gerecht ist, ob man im wahrsten Sinne des Wortes demokratische Werte vertritt, ob man ein Gewissen hat oder nicht, ob man unabhängig ist oder nicht, wird dort geprüft. 

Das einzige Lebewesen auf der Welt, das seine eigene Wahrheit kreiert, um danach daran zu glauben, ist der Mensch. Was die Wahrheit ist, interessiert die meisten Menschen nicht. Sie sind dazu konditioniert worden, das Einfache und das ihren Interessen Entsprechende zu wählen. Aus diesem Grund ist seit Anbeginn der Geschichte nur eine kleine Minderheit im Besitz der Wahrheit. Denn, um die Wahrheit zu verteidigen, bedarf es eines anderen Bewusstseins und des Mutes, auf jenem Bewusstsein beruhende moralische und gewissensmäßige Verantwortungen zu verteidigen. Die Menschheitsgeschichte schreitet dank der würdevollen, entschlossenen und unbeugsamen Haltung dieser Menschen voran. Von der Wirtschaft über die Politik und Kunst bis hin zur Wissenschaft war es stets so. Auch das Phänomen der Gerechtigkeit ist nicht unabhängig davon. Wenn das Rad der Geschichte sich nicht gedreht hätte, wenn es nicht diejenigen gegeben hätte, die jenes Rad gedreht haben, würde die Menschheit heute immer noch in einer stockdunklen Finsternis leben. Denn da der*die Stärkere, der*die Mächtige immer zum Status Quo hält und sich über den Status Quo verwirklicht, tut er*sie für das Fortbestehen des herrschenden Systems alles in seiner*ihrer Macht Liegende. 

Da die Phänomene des Rechts und der Gerechtigkeit das Alltagsleben der ganzen Gesellschaft unmittelbar betreffen, sind die Auseinandersetzungen, das Suchen nach Alternativen und ihre Ergebnisse lebenswichtig. Deswegen sind Menschen schon immer – sei es philosophisch oder religiös, sei es politisch ausgedrückt – auf der Suche nach einer gerechten Gesellschaft gewesen. Dies ist ein unaufhaltsamer Prozess. Deswegen wird das, was zu einer bestimmten Zeit für indiskutabel richtig gehalten wurde,  später auf den Müllhaufen der Geschichte geworfen. Auch heute geht die Auseinandersetzung zwischen zwei Linien, von denen die eine die Zukunft, die andere die Vergangenheit repräsentiert, und zwei Meinungen, die ihresgleichen um sich herum versammelnd vertreten, weiter. Die Reaktion möchte dank ihrer Kraft das Rad der Geschichte zurückdrehen. Diese Bemühung ist aber vergebens. Auch wenn es langsam und schmerzhaft vonstatten geht, auch wenn es Rückentwicklungen und Backlashes gibt, muss die Geschichte fortschreiten. Denn die Menschheit verdient viel besseres als den wilden Kapitalismus und kämpft weltweit dafür. Das kapitalistisch- imperialistische System ist der Feind von Arbeiter*innen, Frauen, Kindern, unterdrückten Nationen und Völkern, Menschen anderer religiöser Glauben, LGBTI – Personen, der Natur und Umwelt. Es ist ein System, dass alle diese Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten immer wieder reproduziert und reproduzieren muss. Das Gegenteil davon würde seiner Natur widersprechen. Deswegen ist es legitim, gegen dieses menschenfeindliche System zu kämpfen, dieser Kampf darf nicht verurteilt werden. Genauso wie der Kampf gegen den Nationalsozialismus, der sich in Hitler konkretisierte, und den italienischen Faschismus, der sich in Mussolini konkretisierte, legitim, würdevoll und tugendhaft war, ist auch der Kampf gegen die faschistische Diktatur in der Türkei legitim, würdevoll und tugendhaft. Genau aus diesem Grund sage ich: Der Kampf gegen die in der Türkei herrschende menschenverachtende faschistische Diktatur und der Wunsch nach ihrem Untergang sind legitim und können nicht verurteilt werden. 

Wie ich bereits betont habe, stellt der Kampf für die Aufhebung der Zustände, die die Menschheit zum Opfer von Hunger, Armut, nicht enden wollenden Kriegen und kriegerischen Auseinandersetzungen, Staatsterror, Folter, in-Gewahrsam-verschwinden- lassen und Massenhinrichtungen machen, die Natur der unendlichen Profitgier internationaler Monopole unterwerfen und Menschen durch Rassismus zu Feind*innen voneinander machen, die höchste Stufe der menschlichen Werte dar. Aus diesem Grund kommt die Betrachtung von Kommunist*innen, die für eine Welt ohne all das kämpfen, als „Terrorist*innen“ einer Bejahung der für alle ersichtlichen Konsequenzen des wilden Kapitalismus gleich. Ich bejahe dieses wilde kapitalistische System nicht und will, dass es sich ändert. So weit ich kann, versuche ich es zu tun, allerdings mache ich – im Gegensatz zu Ihrer Behauptung und Darstellung – dabei weder Menschen, die nicht für das Wesen des Regimes verantwortlich sind, zur Zielscheibe, noch schüre ich die „Feindschaft zwischen Völkern“. 

Wem aber sollte man eigentlich Terrorismus vorwerfen und warum? 

Die wahren Terrorist*innen und Unterstützer*innen des Terrors sind diejenigen, die das durch diesen wilden Kapitalismus geschaffene menschenverachtende Ausbeutungs- und Unterdrückungssystem verteidigen, zu seinem Fortbestehen beitragen und diejenigen, die gegen all das kämpfen, ermorden, foltern, ihrer Freiheit berauben, nicht einmal die Inanspruchnahme von menschlichen und demokratischen Grundrechten zulassen, Menschen in Gewahrsam verschwinden lassen, in Säurebrunnen vernichten, in Massengräbern begraben, andere Länder besetzen und dadurch den Tod, die Verletzung und Flucht von zehntausenden Menschen verursachen, ihre Häuser und Städte dem Erdboden gleichmachen, viele Teile der Welt unter dem Vorwand der „Demokratie und Menschenrechte“ mit ihren mit hochentwickelten Technologien ausgestatteten Kampfflugzeugen, Raketen, mit ihren offiziellen und Söldner*innenarmeen in Blut und Tränen ersticken, Bündnisse mit Diktator*innen eingehen und selbst ihre Beleidiger*innen vor Gericht stellen, die islamistische und rassistische Reaktion sowohl politisch als auch militärisch unterstützen und sich dadurch dafür verantwortlich machen, dass Frauen und Kinder als Sexsklav*innen verkauft werden, mit denjenigen Freundschaften aufrechterhalten, die sogar für den Tod ihrer eigenen Staatsbürger*innen verantwortlich sind, und trotz ihrer Verantwortung für all das sich zu „Aposteln der Demokratie“ erklären. 

Politische Spiele und interessengeleitete Beziehungen können, wie geschickt auch immer sie konstruiert sein mögen, die Enthüllung der Wahrheiten nicht verhindern. Genauso wie der Kampf gegen die Diktaturen von Hitler, Mussolini, Salazar, Pinochet usw. in der Vergangenheit trotz der gewalttätigen Mittel und Methoden der Widerstandskämpfer*innen als legitim anerkannt wurde, genauso wie die „Oppositionellen“ in Syrien und Libyen als legitime Kräfte anerkannt werden, gilt dies umso mehr für die Kräfte, die gegen die faschistische Diktatur in der Türkei kämpfen. Eine gerechte, konsequente und richtige Haltung erfordert dies. 

Denjenigen, die ermordet, gefoltert, stets ihrer Rechte beraubt, in Gefängnisse geworfen, mitten auf der Straße getötet, in Gewahrsam verschwinden gelassen, vergewaltigt werden, deren Häuser und Städte mit Panzern und Kanonen zerschossen werden, zu sagen, sie sollten keinen Widerstand leisten, sondern Gehorsam zeigen, ist nichts als Parteiergreifung zugunsten der Unterdrücker und eine wenn auch mittelbare Teilnahme an dieser Brutalität. 

Indem die Unterdrückung Gerechtigkeit, die Lüge Wahrheit, die Verherdung Ordnung genannt werden, wird weder die Unterdrückung zur Gerechtigkeit noch die Lüge zur Wahrheit noch die Verherdung zur Ordnung. Will man das in der Türkei herrschende Regime nicht als Diktatur bezeichnen, muss der Mensch entweder blind und taub oder durch seine Interessen erblindet und taub geworden sein. Der Versuch, diejenigen, die in der Türkei, wo eine schlimmere Diktatur als die Assad-Diktatur in Syrien herrscht, gegen den türkischen Staat kämpfen, zu „Terrorist*innen“ zu erklären, ist offensichtlich weder unschuldig noch bewegt er sich im Rahmen rechtlicher Normen. Einerseits von islamistisch- faschistischen Banden und von ihrer Brutalität zu sprechen und internationale Koalitionen gegen diese Banden zu bilden, andererseits aber mit den größten Schutzherren derselben Banden in Syrien, Irak und Libyen „gemeinsam gegen den Terrorismus vorgehen“ zu wollen, ist eine konkrete Unterstützung der islamistischen Banden und eine Parteiergreifung zugunsten ihrer Barbarei und schließlich eine Positionierung gegen den Kampf um Demokratie in der Türkei und für die faschistische Diktatur. 

Sehr geehrter Herr Vorsitzender, sehr geehrte Senatsmitglieder, 

Bertolt Brecht sagt in dem Gedicht „Über die Gewalt“: „Der reißende Strom wird gewalttätig genannt. Aber das Flussbett, das ihn einengt, nennt keiner gewalttätig.“ Diese Worte sind wichtig in Hinblick auf das Verständnis der Selbstverwirklichungs- und Kampfmethoden der Revolutionär*innen aus der Türkei und Türkisch-Kurdistan. Denn dieser Satz weist sehr gut auf das dialektische Verhältnis zwischen Wirkung und Ursache hin. Wie man auch Ihren Ausführungen entnehmen kann, ist eine der Begründungen dafür, dass die TKP/ML eine „terroristische Organisation“ sei, ihre Existenz als eine Bewegung, die sich bereits bei ihrer Gründung als illegal und Gewalt als Teil ihres Kampfes betrachtete. Um in dieser Sache zu einem richtigen Ergebnis zu kommen, muss man folgende Fragen beantworten: Wann und warum haben Revolutionär*innen in der Türkei auch Gewalt als Teil ihres Kampfes akzeptiert? Handelt es sich dabei um eine willkürliche Entscheidung oder wurde ihnen diese Tendenz durch die Bedingungen aufgezwungen? Die TKP/ML gibt sich von Frauen- und Kinderrechten und der Umweltfrage über wirtschaftlich-demokratische Rechte von Arbeiter*innen und das Recht auf wissenschaftliche Bildung bis hin zur Abschaffung der patriarchalen Mentalität, dem Kampf der LGBTI um ihre Rechte und der Gleichberechtigung verschiedener Glaubensgemeinschaften in allen Angelegenheiten Mühe, die die Menschen und ihre Rechte betreffen. Eine Bewegung, die all das nicht macht, kann sich nicht als Teil des Kampfes für eine egalitäre, gerechte und freie Gesellschaft sehen. Natürlich, wenn Sie in diesem Gerichtsverfahren solche Bemühungen in demokratischen Kämpfen als „den Zielen der TKP/ML dienende Tarnorganisationen“ mit einer negativen Bedeutung belegen, schaffen Sie eine weitere ungerechtfertigte Begründung für die Darstellung der TKP/ML als eine Organisation, die sich nur durch Gewalt verwirklicht. Und indem Sie so nur einen Teil des Phänomens nehmen und in den Vordergrund stellen, bedienen Sie sich einer verfälschten Waage, um ihr Ziel zu erreichen. 

Die gesunde Bewertung eines jeden Phänomens, eines jeden Ereignisses kann nur anhand ihrer konkreten Existenzbedingungen und der Ursachen erfolgen, die zu ihrer Existenz beigetragen haben. In allen erdenklichen Dingen können ein richtiges und gerechtes Ergebnis und Meinungsbildung nur mithilfe einer solchen Methode erfolgen; nur so kann man die Wahrheit ausdrücken oder sich ihr annähern. Dass die TKP/ML, andere revolutionäre Organisationen und die kurdische Befreiungsbewegung auch Gewalt als Teil ihres Kampfes akzeptieren, hat nicht damit zu tun, dass ihre Gründer Gewalt „lieben“ oder „verherrlichen“ würden, sondern mit dem Wesen des herrschenden Staates und seiner Haltung gegenüber den Kreisen, die er als seine Gegner*innen ansieht. Während die Lebensbedingungen der Menschen in Berlin, Amsterdam, London oder Paris es erlauben, die Welt durch eine „rosarote Brille“ zu sehen, haben die Menschen in der Türkei, in Türkisch-Kurdistan, Somalia, Irak, Nigeria, Syrien usw., wo sie jeglicher Art von Gewalt ausgesetzt sind, neben der Gewalt des Staates auch den zivilfaschistischen und religiös verbrämten Terror erleben, wo Tausende Menschen in Gewahrsam verschwinden, wo Städte in Schutt und Asche gelegt, Leichen zerstückelt und verbrannt und ihre Teile aus Müllhalden gesammelt werden, nicht den Luxus einer „rosaroten Brille“. Genauso wie die Juden, Sinti und Roma, Homosexuelle, Sozialist*innen usw. nach 1933 in Nazi- Deutschland diesen Luxus nicht hatten! Nur weil wir unsere Augen schließen, hört die Wahrheit nicht auf, Wahrheit zu sein. 

 Wie Sie sehen, gibt es Kontinuität im Staat und Stabilität im Faschismus. So wie es gestern war, ist es auch heute. Was ich damit sagen will, ist: Sie leben in einer „Welt“, wir leben in einer anderen „Welt“! Wenn man diese Realität nicht versteht, haben Ihre Worte überhaupt keine Bedeutung. Warum nicht, das werden wir uns nun anschauen. 

Sehr geehrter Herr Vorsitzender, sehr geehrte Senatsmitglieder, 

die Anklage sagte in ihrer Antwort darauf, dass unsere Anwält*innen das Beispiel der Unterstützung der bewaffneten Gruppen in Syrien gaben, dass „angesichts der politischen Lage in diesen Ländern und des Ziels dieser Gruppen die Willkürlichkeit hier nicht verglichen werden kann“. Wenn wir die Gründe, die uns allen wohl bekannt sind, beiseite lassen, können wir sagen, dass der Grund dafür, dass diese Gruppen von vielen Staaten, zu denen auch Deutschland gehört, mit Waffen, militärischer Ausbildung, praktischer militärischer Unterstützung, Geld und zudem durch Verschaffung politischer Legitimation unterstützt werden, ist, dass das Assad-Regime eine Diktatur darstellt, die fern von internationalen demokratischen Normen und Werten ist. Zusammenfassend beruht die Begründung auf dieser Grundlage. Folglich wird der bewaffnete Widerstand gegen ein solches Regime von Staaten, zu denen auch Deutschland gehört, als ein legitimer Umstand anerkannt. Der Grund dafür, dass diese rassistischen und islamistischen Banden keine „Terroristen“ sein sollen, hängt wohl damit zusammen, dass sie „Freie Syrische Armee“ heißen. Sonst könnten Sie in diesen Banden selbst mithilfe des besten Mikroskops der Welt nicht ein Merkmal und selbst auf der Ebene kleinster Zellen einen Grundbaustein von „Freiheit und Demokratie“ finden. Man sagt aber, diese seien keine „Terroristen“, sondern „Freiheitskämpfer“. Schließlich heißen sie ja auch „Freie Syrische Armee“! Jede dieser Banden ist demnach noch mehr „verliebt in die Freiheit“ als die Anderen! Meines Erachtens heben Sie bei der Unterstützung dieser reaktionär-faschistischen paramilitärischen Kräften, die aus jeglicher Art von Scharia-Anhängern und Gesindel bestehen, einen ihrer Füße hoch. Sie sollen mit diesen Einheiten in Syrien und Libyen demokratischere Regimes errichten als die von Assad und Gaddafi. Da lachen ja die Hühner! Assad ist noch da, aber Gaddafi ist schon weg! Lassen Sie uns das „neue“ und „freie Libyen“ dieser „Freiheitskämpfer“ doch einmal anschauen. Was sehen Sie denn? Wenn Sie nach einer Sache namens Demokratie fragen sollten, – wie die Islamisten es sagen würden – „sie wird kommen inschallah“; wann, kann aber niemand sagen. Ein Land, in dem der türkische Staat faktisch Teil des Krieges ist und aus Syrien bewaffnete dschihadistische Bandenmitglieder, deren Zahl man auf zehntausend schätzt, in dieses transportiert hat und Russland mit seinen Söldnern in den Bürgerkrieg interveniert. Ein Land, das bereits in mehrere Teile gespalten ist, in jedem dieser Teile Scharia-Anhänger und Warlords herrschen. Wenn sie nach dem Wohl des libyschen Volkes fragen sollten: Sie leben demnach in „aller Ruhe und in großem Glück“ angesichts der Bomben und Kugeln, die ihnen tagtäglich Demokratie bringen, und deshalb, weil sie als Sklav*innen verkauft werden. „Diese glückliche und ruhige Atmosphäre“, die geschaffen wurde, machte sie so überglücklich, dass Zehntausende von ihnen samt Kindern, Frauen und Männern Reisewettbewerbe nach Europa veranstalten, um das überschüssige Adrenalin loszuwerden. Und sie denken, dass diejenigen, die dabei im Mittelmeer ertrinken, als untalentierte Teilnehmer es verdienen, aus dem Wettbewerb auszuscheiden! 

Das Wichtigste ist, dass der Diktator Gaddafi weg ist, der nicht jedem Wort der US- amerikanischen und europäischen Imperialisten sofort zustimmte! Im Türkischen gibt es den Ausdruck „die ganze Welt für dumm halten“. Wen man behauptet, diese Freiheitskämpfer“ würden Demokratie bringen, „hält man die ganze Welt für dumm“. Zudem haben die imperialistischen Staaten, allen voran die USA, noch nie bezweckt und werden es auch in der Zukunft nicht bezwecken, dass die Völker in diesen Regionen unter demokratischen Verhältnissen leben. In den USA, die sich der restlichen Welt als „Vertreter der freien Welt“ und als „Land der Freiheiten“ zu verkaufen versuchen, durften bis Mitte der 1960er Jahre die Schwarzen nicht in die gleichen Schulen gehen wie die Weißen. Und im Jahr 2020 kann ein US-amerikanischer Polizist, der Rassist und Trump-Anhänger ist, einen Schwarzen erwürgen. Was ich meine, ist: Herausholen kannst du nur, was du in deiner Tasche hast. Die Imperialisten haben in ihrer Tasche Rassismus, Ausbeutung und das Kapital, das sie durch die Ausplünderung der Arbeit der unterdrückten Völker der Welt angehäuft haben. Sie haben Waffenindustrien, die die Welt in Blut und Feuer ersticken. Sie haben die internationalen Monopole, die das Blut der Welt aussaugen. Sie haben paramilitärische Kräfte, die dafür ausgebildet und ausgestattet wurden, überall auf der Welt zu foltern und zu morden. Sie haben die NATO, die Gladio- Strukturen, islamistische und faschistische Organisationen. Und natürlich die ununterbrochen fortgesetzten Manipulationen. Das sind also die Sachen in ihren Taschen; wie sollen sie etwas, was sie selber nicht haben, Anderen geben? Nach dem Fall der Berliner Mauer hatte die sogenannte „Neue Weltordnung“ begonnen, die „kommunistischen Diktatoren“ waren weg und die Welt soll in das Zeitalter von Demokratie und Freiheiten eingetreten sein. Die Situation ist klar zu sehen. Da es nicht die Geister von Kommunisten waren, die in Somalia, Irak, Syrien und Libyen Kriege anfingen, und die Welt von Imperialisten und den Unterstützern dieser Ordnung regiert wird, soll also das die „Demokratie“ und die „Freiheit“ sein, die propagiert werden. Könnten diejenigen, die Demokratie und ein demokratisches System anstreben, wirklich glauben, dass – lassen wir andere Teile der Welt einmal beiseite – im Nahen Osten die Banden Demokratie bringen werden, die von Katar, Saudi Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten unterstützt werden? In denen nicht ein Mal das kleinste demokratische Recht existiert und Frauen ohne einen männlichen Verwandten nicht einmal auf die Straße gehen dürfen, die die ideologische Quelle des radikalen Islam und finanzielle Unterstützer jeglichen islamistischen Terrors sind und in dieser Hinsicht viel schlimmer als die zur Zielscheibe gewordenen Regimes in Syrien und Libyen sind. Und die von der Türkei, die die vielfältigen Nationalitäten ihrer eigenen Bevölkerung nicht anerkennt und Massaker begeht, unterstützt werden? Die erste Voraussetzung dafür, dass in vielen Regionen der Welt einschließlich der Türkei die Demokratie eingeführt wird oder zumindest fortschrittlichere Lebensstandards als heute entstehen, ist, dass die Imperialisten nicht mehr ihre Finger in diesen Regionen haben und aufhören, ihre dortigen Handlanger und Kollaborateure zu unterstützen. 

Es existiert das Beispiel Afghanistans, das uns in der Vergangenheit „das Ziel dieser Gruppen“ konkret gezeigt hat. Das Beispiel Afghanistans stellt sowohl die gegenwärtigen Unruhen als auch die mit Revolutionär*innen aus der Türkei und der kurdischen Befreiungsbewegung „nicht zu vergleichenden Ziele“ auf indiskutable Weise zur Schau. Gleichzeitig können wir die islamistischen Banden wie den IS, Al Qaida, Boko Haram usw., die heute ein großes Problem für die ganze Welt darstellen, und ihren Ursprung dadurch viel besser verstehen. Die islamistischen Banden fielen nicht vom Himmel. Die wahhabitische Ideologie, mit deren Gründung die Engländer*innen einen Klan beauftragten, bildet ihre Hauptquelle. Es ist bekannt, dass Saudi Arabien bis Ende 2015 für die weltweite Verbreitung dieser reaktionären Ideologie 87 Milliarden Dollar ausgegeben hat. Und diese reaktionäre Ideologie breitete sich von dort in allen anderen Regionen der Welt aus, vor allem in den arabischen Ländern aus. Bücher für religiöse Bildung, das Anbieten von Korankursen, die Gehälter, die den mit der Verbreitung dieser Ideologie beauftragten Imamen bezahlt wurden, der Bau von Moscheen, Zeitungen, Fernseh- und Radiosender, islamische Kulturzentren usw. sind einige der Aktivitäten in diesem Rahmen. Überall steckt hinter den islamistischen Terrororganisationen Saudi Arabien. Wenn wir auf das afghanische Beispiel zurückkommen wollen: Unter der Regierung Nur Muhammad Tarakis, der am 30. April 1978 in Afghanistan an die Macht kam, säkularisierten die sogenannten „Sozialist*innen“ das Regime. Sie brachen den Einfluss des Feudalismus und drängten den religiösen Fanatismus zurück. Die Frauen erhielten die gleichen Rechte wie Männer, Kinderehen wurden verboten und die Gewerkschaften legalisiert. Es wurden Krankenhäuser, Schulen und Straßen gebaut. Sie starteten eine breite Alphabetisierungskampagne. Sie unterstützten die Kleinbäuer*innen. Die USA und die Saudis ließen ein prosowjetisches Regime natürlich nicht überleben. Zunächst wurde ein pro US-amerikanischer Putsch organisiert. Die legitime Regierung verlangte von der Sowjetunion Hilfe und so begann ein Prozess, der Jahre dauern und das Schicksal der Region ändern sollte. Die USA, Saudi Arabien und Pakistan bildeten 35 Tausend islamistische Terroristen aus vierzig verschiedenen Ländern aus und statteten sie mit Waffen aus. Der ägyptische Präsident schickte die Islamisten aus Ägypten mit Bussen nach Afghanistan (Als eine Ironie der Geschichte wurde er selbst wegen seines Israel-Besuchs von diesen Islamisten ermordet!). Der berüchtigte Osama Bin Ladin und seine Freunde befanden sich auch darunter. So verhalf man also den islamistischen Terrororganisationen und dem islamistischen Terror zur Entstehung, dem man seit den 1980er Jahren überall begegnet. Wie es allgemein bekannt ist, wurden diese Banden von Ronald Reagan im Weißen Haus als „Freiheitskämpfer“ empfangen. Also im Westen nichts Neues. Man erinnert sich immer noch an die Worte der ersten pakistanischen Präsidentin Benazir Bhutto: „Passen Sie auf, Sie schaffen einen Frankenstein.“ Auch sie wurde später, im Jahre 2008, von Islamisten samt ihrem Bus in die Luft gejagt. Jene „Freiheitskämpfer“ taten genau das, was heute der IS macht: Sie schnitten den Menschen ihre Ohren und Nasen ab, sie folterten und schnitten denen, die in ihre Hände fielen, sogar die Genitalien ab und enthäuteten sie, um ihren Tod in die Länge ziehen zu lassen. All das war aber nicht bedeutsam! Schließlich waren sie „Freiheitskämpfer“! 

Die sozialistische Regierung wurde gestürzt, die „Besatzung“ beendet; die „Freiheitskämpfer“ gewannen. Was meinen Sie, was sie als erstes getan haben? Die Kräfte, die in ihrer jeweiligen Region stark waren, kämpften sowohl gegeneinander als auch gegen die Taliban. Die Frauen wurden in Burkas verhüllt und in Wohnungen eingesperrt. Selbst das Hören von Musik wurde verboten. Für Männer wurde Bartzwang eingeführt. Jahrtausende alte historische Bauwerke wurden als „Götzenwerk“ zerstört. All das ist in der Vergangenheit passiert. Was heute passiert, ist offen zu sehen. Um zu wissen, was morgen passieren wird, was das „Ziel“ der Banden ist, die in Libyen und Syrien unterstützt werden, reicht es schon, die Blicke auf Afghanistan zu wenden und sich ein wenig mit der Geschichte zu befassen. 

Dass die Mentalität, die in Syrien und Libyen die paramilitärischen, rassistisch- islamistischen Banden legitimiert, nur um die jeweiligen Regierungen zu stürzen, die TKP/ ML und die Revolutionär*innen aus der Türkei als „Terrorist*innen“ betrachtet, entspricht der „Natur der Dinge“. Nicht alle müssen die Ereignisse auf die gleiche Weise beurteilen und die gleichen Schlüsse aus ihnen ziehen. Allerdings befinden wir uns hier nicht in einer Talkshow, in der man über politische Fragen debattiert. All diese Analysen haben Konsequenzen, die uns im Konkreten unmittelbar betreffen. Deswegen müssen Sie gerecht sein. Dass Sie die besagten Banden legitimieren, nur um Ihre Vorwürfe gegen uns zu stärken oder um zu zeigen, dass Sie im Allgemeinen mit Ihren Vorwürfen nicht falsch liegen, ist mehr als nur ein Unrecht, das Sie uns antun. Gleichzeitig ist es ein Unrecht gegen alle Menschen, die wegen jener Banden unglaublich leiden und seit der Besatzung von Afghanistan, Irak, Syrien und Libyen mit Tod und Zerstörung leben müssen. Wir kennen diese islamistisch-rassistischen Gruppen ziemlich gut. In unserem Land sind uns diese Gruppen seit der Positionierung des türkischen Staates entsprechend der von den USA und der NATO ausgehenden „Kommunismusbekämpfungs“strategie als Vorposten der NATO bekannt. In Form von halb-offiziellen, halb-zivilen Konterguerilla-Organisationen von islamistischen Parteien, die von der Partei der Nationalen Ordnung (MSP) über die Wohlstandspartei (RP) bis hin zur Hüda-Partei (HP) reichen, von den türkisch- rassistischen „Schädelmessern“, die von der Nationalistischen Arbeiter und Bauernpartei bis hin zur Partnerin der AKP, der Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) und den Idealistenvereinen und ihrer kleinen Unterstützerin, der Partei der Großen Union (BBP) und den Alperen-Vereinen reichen. Und von ihren Attentaten auf tausende Intellektuelle, Künstler*innen, Revolutionär*innen, Kommunist*innen, fortschrittlichen Kurd*innen, von ihren Massenmorden, davon, dass sie so tief gesunken sind, dass sie schwangeren Frauen den Bauch aufgeschlitzt, Babys gegen Wände schlagend ermordet, Student*innen mit Drähten erwürgt und sogar in Öfen verbrannt haben. 

Die islamistische Bande, die sich heute unter dem Namen Hüda Partei als legale Partei präsentiert, gehört, wie oben bereits erwähnt, zu den raffiniertesten Vertreterinnen der islamischen die Scharia befürwortenden politischen Linie in der Türkei und in Türkisch- Kurdistan, aber diese islamistisch-faschistische Organisation weist noch eine weitere Eigenschaft auf. Die 1990er Jahre waren in der Türkei und in Türkisch-Kurdistan eine Zeit, in der ausnahmslos jeden Tag extralegale Morde stattfanden, Menschen in Gewahrsam verschwanden, ungefähr dreitausend Dörfer niedergebrannt und ungefähr vier Millionen kurdische Bäuer*innen dazu gezwungen wurden, ihr Zuhause zu verlassen. Es gab zwei Organisationen, die in jener Zeit hervortraten und in den Ereignissen die Hauptrolle spielten. Eine davon war die offizielle Mördergruppe des Staates: JITEM (eine aus militärischem Personal und so genannten Aussteigern bestehende Gruppe, deren Existenz lange Zeit vom Staat geleugnet, aber während des „Ergenekon“-Verfahrens wegen des internen Machtkampfes im Staat schließlich doch zugegeben wurde), die andere die islamistische Bande namens Hisbollah. Sie sind für ca. 17.500 Menschen verantwortlich, die man damals in Gewahrsam verschwinden ließ, auf der Straße per Kopfschuss getötet oder in ihren Häusern oder Autos am lebendigen Leibe verbrannt hat. Das Städtedreieck Adapazarı-İzmit-Sakarya stellt das Zentrum dieser Organisierung und der Morde und des In-Gewahrsam-verschwinden-lassens im Westen der Türkei dar. Deswegen ist diese Region auch unter dem Namen „Todesdreieck“ bekannt. Das Hauptbetätigungsfeld dieser Gruppen war allerdings Türkisch-Kurdistan. Während im Westen hauptsächlich bekannte kurdische Geschäftsleute, Revolutionär*innen, Intellektuelle und Journalist*innen zur Zielscheibe wurden, ereignete sich in Türkisch- Kurdistan ein Massakerprozess, der selbst einfache kurdische Bäuer*innen umfasste. Außerdem ergriffen diese beiden Gruppen die Initiative, den damaligen Gendarmariekommandeur Eşref Bitlis, den Polizeipräsidenten von Diyarbakır Gaffar Okan und den DEP-Abgeordneten Mehmet Sincar zu ermorden. Das alles wurde im besagten Prozess infolge der Auseinandersetzungen zwischen herrschenden Kräften vom Staat selbst zugegeben und steht in den Gerichtsakten. In dieser Truppe befanden sich Parlamentarier*innen, Parteivorsitzende, Generäle, Obersten, Hauptmänner, Leutnante, Polizeipräsidenten, Anti-Terror-Polizisten, Gewerkschafter, Mafiosi, Ärzte, Geschäftsleute… kurz, Menschen aus allen gesellschaftlichen Gruppen. Es handelte sich also um eine Konterguerilla-Organisation, wie man sie kennt. Die Hisbollah spielte in diesem Prozess eine Schlüsselrolle, da die Hisbollah-Mitglieder vor allem die Islamist*innen unter den Kurd*innen waren und die PKK als eine „gottlose“ Gruppe betrachteten. Aus diesem Grund sei ihre Ermordung notwendig gewesen. Obwohl die Taten der Hisbollah (und der JITEM) bereits von Kurd*innen und Revolutionär*innen öffentlich dargestellt worden waren, war bis zum internen Konflikt unter den Herrschenden sowohl ihre Existenz als auch ihre Rolle bei den Massakern geleugnet worden. Als der Staat feststellte, dass Hüseyin Velioğlu, der Vorsitzende der Hisbollah, und die ihm treue Fraktion außer Kontrolle geraten waren, und dass gleichzeitig ihre Zeit vorbei war, ergriff er die Initiative und tötete den Hisbollah-Führer in Istanbul-Beykoz. Das war eine klassische Methode des Staates und wurde schon erwartet. Der Staat schaltet solche Gruppen, die er selbst gegründet und vergrößert und mit Morden beauftragt hat, aus, wenn sie nicht mehr gebraucht werden und so entlastet er sich selbst und wäscht sich die Hände sauber. Das ist auch, was damals geschah. Mit der Operation, bei der der Hisbollah-Führer getötet wurde, kamen auch Ereignisse ans Tageslicht, die die ganze Türkei tagelang in Schrecken versetzten. Kellergeschosse von Häusern, die Hisbollah-Mitgliedern gehörten, waren in Gräber verwandelt worden; die von ihnen entführten Menschen waren gefoltert und ermordet und anschließend in den Kellergeschossen ihrer Häuser begraben worden. Als die Leichen ausgegraben wurden, setzte die Menschen vor allem eine Tötungsmethode namens „Schweine-Fesselung“ in Schrecken, die bei noch nicht verwesten Leichen festgestellt werden konnte. Dabei wird der Mensch mit dem Gesicht nach unten auf den Boden gelegt, ein Strick um seinen Hals gelegt und straff an seine Füße gebunden, sodass der auf diese Weise gebundene Mensch sich nach einer gewissen Zeit gezwungenermaßen bewegt und dadurch sich selbst erwürgt. Sie können es auf den folgenden Photos sehen. 

pastedGraphic_1.png

„Die Schweine-Fesselung: Die Foltermethode der Hisbollah“ „Ein mit der Schweine-Fesselung ermordetes Opfer“
„Ihre Familien identifizieren die Mordopfer“
„Partei der Barbarei“ 

Auf dem folgenden Bild sehen Sie ein Massengrab, in dem Dutzende von Kurd*innen, die man entführt und ermordet hatte, begraben wurden, und eine Mutter, die im Grab die Knochen ihres Sohnes gefunden hat. 

pastedGraphic_2.png

 „Nachdem sie das Massengrab lange angeschaut hatte, sagte die kurdische Mutter: Hatte ich euch nicht gesagt, dass diese Berge, diese Erde nach meinem Sohn riechen? In den blühenden Blumen sah ich das Gesicht meines Sohnes.“ 

pastedGraphic_3.png

„Massengrab in der JITEM-Zentrale“ 

pastedGraphic_4.png
pastedGraphic_5.png

„Die bemerkenswerte Aussage in der Akte: Elf Bäuer*innen wurden von der JITEM verbrannt!“ 

Ja, das waren Zivilist*innen und sie taten all das gemeinsam mit dem Staat und im Auftrag und unter dem Schutz des Staates. Die Zivilfaschisten ermordeten Menschen, indem sie sie mit Drähten erwürgten. Eine andere zivilfaschistisch-islamistische Gruppe ermordete Menschen mithilfe der Schweine-Fesselung oder auf der Straße per Kopfschuss. Und die Zivilisten, die der JITEM angehörten, vernichteten die entführten Menschen, indem sie sie in Säurebrunnen warfen oder Flächen einschließlich der Gärten von Polizei- bzw. Gendarmeriestationen als Massengräber benutzten. Diese Gruppen sind Feinde der Menschheit, Feinde von Frauen, Feinde von allen, die sie als „die Anderen“ betrachten; sie sind Feinde von Menschen mit anderen sexuellen Orientierungen, mit anderen religiösen oder konfessionellen Zugehörigkeiten und von Andersdenkenden. Das sind keine Worte, die zur Agitation oder Rechthaberei dienen sollen. Im Internet können Sie all das mit Photos und Einzelheiten sehen, bei denen es jedem Menschen, der den Namen verdient, übel wird. Es würde genügen, wenn Sie an dieser Stelle einen Bruchteil der Entschlossenheit und Mühe zeigen würden, die Sie an den Tag legten, um herauszufinden, dass ein Artikel, auf den unsere Anwält*innen Bezug nahmen, in einer sozialistischen Zeitung veröffentlicht worden war, und – dies negativ betonend – versuchten den Artikel zu neutralisieren . Deswegen sollte niemand davon reden, dass das Ziel dieser Gruppen im positiven Sinne ein anderes sei. Oder Sie sollten Ihr Verständnis von universellen Menschenrechten und menschlichen Werten und Ihr Modell einer demokratischen Gesellschaft in Frage stellen. Die Vertreter dieser Mentalität ließen unter dem Motto, den Halb-Kolonien und Kolonien „Demokratie und Menschenrechte zu bringen“, die Völker dieser Länder „die Hölle auf Erden“ erleben. Wir brauchen diese „Modelle fortschrittlicher Demokratie und Freiheit“ nicht; ich könnte sagen, wer will, kann es in seinem eigenen Land umsetzen, aber die erdrückende Mehrheit der Völker, vor allem ein Großteil des deutschen Volkes, verdient nicht in einem solchen Modell zu leben und dies wäre ein großes Unrecht ihm gegenüber. Denn sie wissen ziemlich gut, was für eine Barbarei diese Mentalität mit sich bringt. Sie haben es erlebt und gesehen. 

Sehr geehrter Herr Vorsitzender, sehr geehrte Senatsmitglieder, 

„Ihr entsetzt Euch darüber, dass wir das Privateigentum aufheben wollen. Aber in Eurer bestehenden Gesellschaft ist das Privateigentum für 9 Zehntel ihrer Mitglieder aufgehoben; es existirt gerade dadurch, daß es für 9 Zehntel nicht existiert. Ihr werft uns also vor, dass wir ein Eigentum aufheben wollen, welches die Eigentumslosigkeit der ungeheuren Mehrzahl der Gesellschaft als notwendige Bedingung voraussetzt.“

(Manifest der kommunistischen Partei) 

Die Staatsanwaltschaft sagt folgendes über die TKP/ML: „Eine Willensbildung des Volkes nach demokratischen Grundsätzen bezüglich der Gesellschaftsordnung, in der es leben wird, sieht die Organisation nicht vor.“ Es bleibt unklar, auf der Basis welcher Fakten diese Feststellung gemacht wurde. 

Wenn damit gemeint sein sollte, dass Imperialisten und diverse internationale Monopole, ihre einheimischen Handlanger und Kapitalgruppen um des größeren Profits willen Menschen brutal ausbeuten, die Natur plündern, Kinder arbeiten lassen, die gerade zu laufen angefangen haben, dass Menschen sich gegenseitig umbringen, Städte niedergebrannt werden, Millionen von Menschen zu Flüchtlingen werden, aber unter- und überirdische Quellen das Kapital vergrößern, während auf der einen Seite für Kosmetika, unnötige Luxusartikel, Hunde- und Katzenfutter jährlich Dutzende Milliarden Dollar ausgegeben werden, auf der anderen Seite Menschen sich tot schuften, um täglich 1-2 Dollar zu verdienen, Millionen Babys sterben, weil sie keinen Zugang zu Medikamenten haben, die nicht ein Mal 1-2 Dollar kosten, dass man allerlei Waffen produziert und für den Konsum des Produzierten weltweit zahlreiche Länder in Blut ersticken lässt, um danach wiederum das Kapital zu vergrößern, indem man es die in Schutt und Asche gelegten Städte wiederaufbauen lässt, dass man jedes Mal, wenn es einem einfällt, das Renteneintrittsalter erhöht, um die Gelder, die man von den Löhnen der arbeitenden Menschen abgezogen hat, nicht zurückzahlen zu müssen, dass man die Wasserquellen an internationale Monopole verschleudert, während Millionen Menschen kein sauberes Trinkwasser finden können, dass man die Natur zerstört, die Menschen dazu zwingt, sich von genetisch manipulierten Nahrungsmitteln zu ernähren, dass man jegliches antidemokratisches Regime unterstützt und sich gegenseitig offiziell nach staatlichem Protokoll empfängt, um danach von Menschenrechten und demokratischen Werten zu sprechen, dass man islamistisch-faschistische Banden unterstützt, bewaffnet und legitimiert, um danach zu schreien: „Woher kamen sie denn?“, dass man Revolutionär*innen unter dem demagogischen Vorwand, man bekämpfe den Terror, „selbst im Schlaf“ abhört, aber die islamistischen Mörder vor den eigenen Augen Menschen rekrutieren und in den Krieg schicken lässt, damit sie dort Menschen enthaupten und vergewaltigen … das alles wird von den Revolutionär*innen aus der Türkei nicht beabsichtigt. Sie haben ein alledem entgegengesetztes Ziel und sehen andere Sachen vor. Aber Sie können sich sicher sein, dass die FSA und ähnliche Banden die oben erwähnten Sachen vorsehen. Genau aus diesem Grund werden sie als „Freiheitskämpfer“ bezeichnet und wir als „Terrorist*innen“ verurteilt! 

Unter dem Strich sagen Sie, dass die Freie Syrische Armee, die Sultan Murad Division, die Ahrar al-Scham und die Banden in Libyen „zum Ziel haben, dass das Volk nach demokratischen Grundsätzen seinen Willen über die Gesellschaftsordnung bildet, in der es leben wird“, die TKP/ML aber nicht! Ein schlechter Witz ist es, ähnlich phantastisch wie wenn man behaupten würde, dass die Frauenrechte in unserer Welt von Erdoğan und dem getöteten IS-Führer al-Baghdadi verteidigt würden! Eine der letzten Taten dieser Freiheitskämpfer ist Folgendes: 

Am 09. Juni 2020 wurde das kurdische Mädchen namens Melek Nebih Halil (16), das am 23. Mai vom Dorf Derweş bei Afrin in Rojava/Syrien von der Sultan Murad Division, die Teil der Nationalen Syrischen Armee bzw. der Freien Syrischen Armee ist, entführt worden war, in einem Garten in der Nähe des Dorfes Firiziye bei Azez tot aufgefunden. Es befanden sich drei Kugeln in Melek Nebih Halils Körper. Sie war zuerst vergewaltigt und danach getötet worden. Hüseyin Naso, Mitglied des Kurdischen Justizrats in Deutschland, erklärte gegenüber Rudaw, dass Melek Nebih Halil von der Gruppe Dschaisch al-Nube, die Teil der Sultan Murad Division ist, entführt worden war. Die Löhne dieser Banden werden vom türkischen Staat bezahlt und diese Region wird momentan von türkischen Sicherheitskräften, Gouverneuren und Bezirksgouverneuren regiert. Auf dem Photo unten können Sie sehen, wie das syrische Volk durch einen „Freiheitskämpfer“ befreit wird. Sie können zudem ein weiteres Photo dieses „Freiheitskämpfers“ mit dem türkischen Innenminister Süleyman Soylu, ebenfalls einem „Freiheitskämpfer“, sehen. Die beiden „Siegeszeichen“, zu denen diese Person ihre Hände formt, zeigen, mit welchen ideologischen Referenzen und mit welcher Staatsräson sie agieren. Das eine dieser Zeichen ist das Symbol des türkischen Rassismus, der „Graue Wolf“-Gruß, das andere das Hochstrecken des Daumens, das Symbol der Islamist*innen, welches so etwas heißt wie „Es gibt nur einen einzigen Gott“. Ein weiteres Detail auf dem Bild ist, dass die Decke, auf der diese Person sitzt, der Türkischen Diyanet Stiftung gehört. Was wir sehen, ist also der türkische Rassismus, der Islamismus, die institutionelle Beziehung des türkischen Staates damit und schließlich der abgeschnittene Kopf eines Syrers. Muss man noch irgendetwas hinzufügen? Diese Person arbeitet nach wie vor in einer AKP-Stadtverwaltung und bedroht andere Menschen. 

pastedGraphic_6.png
pastedGraphic_7.png
pastedGraphic_8.png
pastedGraphic_9.png

„Die Feinde der Kurd*innen töteten alle Menschen, ohne vor Frauen und Kindern haltzumachen. Am 20. Januar begann der Iran mit der Barbarei in Mahabad und der türkische Staat mit der Barbarei in Efrin! Die Türkei verkauft kurdisches Blut und die imperialistischen Staaten ziehen einen großen Profit daraus! Erdoğan hält seine Macht aufrecht, indem er das Blut von Babys vergießt! 

M. Güler“ 

Die stellvertretende Vorsitzende der US-amerikanischen Kommission für Religionsfreiheit, Nadina Maenza, und vier Menschenrechtsexpert*innen, die die Entwicklungen in der Region nahe verfolgen, veröffentlichten am 9. Juni 2020 einen Bericht über die Menschenrechtsverletzungen in einem großen Gebiet einschließlich Afrin, Tall Abyad und al-Bab, das von den türkischen Streitkräften gemeinsam mit der Freien Syrischen Armee besetzt worden war. In dem Bericht hieß es, die Türkei habe „ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen“, indem sie in den von ihr besetzten Gebieten einen Bevölkerungsaustausch durchgeführt habe. „Hunderte Zivilist*innen wurden hingerichtet und jesidische Frauen wurden entführt und versklavt. In Geheimgefängnissen wurden Hunderte Kurd*innen regelmäßig gefoltert.“ Maenza antwortete auf die Frage, ob diese Menschenrechtsverletzungen sich ohne die Kontrolle der türkischen Regierung ereignet haben könnten, mit den Worten, dass jene Menschenrechtsverletzungen „von der türkischen Regierung geleitet und von Personen, die türkische Uniformen trugen, begangen wurden.“ Außerdem sagte Maenza, dass türkische Generäle vor kurzer Zeit die Orte besucht hätten, an denen diese Menschenrechtsverletzungen begangen worden waren, und fügte hinzu, dass die Türkei ohnehin diese Behauptungen nicht ablehne. Maenza sagte außerdem, dass Hulusi Akar, der Verteidigungsminister und ehemalige Generalstabschef der Türkei, die syrische Grenze besucht habe, und in Syrien zwangsweise Türkisch gelehrt werde und dies ein Beweis dafür sei, dass die Türkei „einen offensichtlichen und stetigen demografische Wandel“ zu bewirken versuche. Sie teilte mit, dass die von der Anatolischen Agentur und von den AKP-nahen Medien verbreiteten Nachrichten darüber, wie die Türkei in Nordostsyrien Kirchen habe renovieren lassen und was für Fortschritte hinsichtlich der Religionsfreiheit erzielt worden seien, von den Gemeinden vor Ort dementiert worden seien. 

Diese Feinde der Menschheit, die all das getan haben, haben eine demokratische Gesellschaft zum Ziel, die TKP/ML und wir aber nicht, oder was? Wenn es ironisch gemeint wäre, würde ich sagen, dass es eine kluge Ironie ist, aber leider meinen Sie es nicht ironisch. Über den Wolf hat man gesagt, dass er eine Parole rufen soll. Und er rief: „Nieder mit den Ställen, hoch die Freiheit der Hühner!“ 

Sehr geehrter Herr Vorsitzender, sehr geehrte Senatsmitglieder,
man sagt: „Es macht Spaß, Lügen zuzuhören, wenn du die Wahrheit kennst.“ Man sagt auch, Geschichtsrevisionismus ist nicht ein Problem der Unwissenheit über historische Ereignisse, sondern eine politische Position. Wenn manche Menschen sich nicht überzeugen lassen wollen, ist alles, was man tut, nichts als verlorene Liebesmüh. 

Ein Geisteskranker, der glaubte, dass er tot sei, und aus diesem Grund nicht mehr aß und sich an keiner Lebensaktivität mehr beteiligte, soll in eine psychiatrische Klinik verlegt worden sein. Man konnte ihn trotz aller Versuche nicht davon überzeugen, dass er nicht tot sei. Einer der Psychiater*innen, die für seine Behandlung zuständig waren, fragte den Patienten schließlich, ob Tote bluten würden. Der Patient sagte: Natürlich bluten sie nicht, da alle Lebensfunktionen von Toten beendet sind. Daraufhin nahm der Psychiater eine kleine Nadel und pikste dem Patienten in den Daumen. Nachdem er seinen blutenden Daumen verwundert anschaute, sagte er schließlich: „Oh Mist, anscheinend bluten auch Tote!“ 

Im Gegensatz zu den Ausführungen der Staatsanwaltschaft behaupte ich sehr offen und eindeutig, dass dieses ein politisches Gerichtsverfahren ist und mit den derzeitigen wirtschaftlichen, politischen und geopolitischen Beziehungen zwischen dem türkischen Staat und der Bundesrepublik Deutschland und sogar mit den Interessen der Erdoğan- Regierung eins zu eins zusammenhängt. Hier bediene ich mich weder einer übertriebenen Erzählung, noch sage ich all das aus Agitationsgründen. Wenn man die weltweiten Entwicklungen, vor allem die Beziehungsformen und die Kontakte zwischen der Türkei und Deutschland in den letzten Jahren, noch konkreter, die Ereignisse in der Region um die Türkei (Syrien, Irak, Libyen…) und die Identität des Ansprechpartners ersten Grades der Bundesrepublik Deutschland in der Region betrachtet, wird man besser verstehen, was wir meinen. Wenn wir gleichzeitig die Rolle deutscher Politiker*innen bei der Machterhaltung Erdoğans klarer darstellen, wird das Bild noch eindeutiger. Da diese Wahrheiten, auf die ich unten konkreter eingehen werde, sehr offensichtlich sind, werden die gleichen Behauptungen auch in anderen ähnlichen Gerichtsverfahren thematisiert. Verstehen Sie nicht falsch, was ich mit anderen ähnlichen Gerichtsverfahren meine, ich bediene mich dieser Beschreibung, nur um die Situation zu erklären. Ansonsten gibt es nichts Ähnliches. Vor allem, weil, wenn man die Logik und die Kriterien, die dahinter stecken, beiseite lässt, die TKP/ML sich nicht auf den aktuellen Listen von „terroristischen Organisationen“ befindet – einschließlich derer Deutschlands. Man könnte mir entgegenhalten: „Es mag so sein, aber es muss nicht für immer so bleiben.“ Das könnte als eine logische Antithese behandelt werden, aber im Konkreten ist dem nicht so. Denn, wenn eine Definition verändert werden soll, bedarf es dazu einiger Veränderungen des Phänomens selbst, die eine neue Definition notwendig machen würden. Wenn das Phänomen, dessen Definition verändert werden soll, selbst keine qualitativen Veränderungen aufweist und man trotzdem seine Definition radikal ändern möchte, wäre es zutreffend, zu sagen, dass die Sichtweise derer, die das Phänomen definieren, sich verändert hat. Genau darin liegt das Problem. Die Hinweise darauf, dass dieses Gerichtsverfahren nicht auf einer rechtlichen, sondern auf einer politischen Grundlage basiert, spiegeln sich in den Bemühungen der Bundesrepublik Deutschland wider, die Definition eines Phänomens, dessen Wesen sich nicht geändert hat, plötzlich zu ändern. Dass unter allen EU-Staaten die Bundesrepublik Deutschland sich in diesem Sinne besonders bemüht, könnte als einer der wichtigsten Beweise für unsere Behauptungen betrachtet werden. Wenn man damit argumentieren würde, die deutschen Behörden hätten erst in den letzten Jahren begonnen, die TKP/ML kennen zu lernen, wäre dieses Argument offensichtlich sinnlos. Die bundesdeutschen Behörden kennen die TKP/ML spätestens seit 1980 sehr gut. Nach dem Militärputsch in der Türkei im September 1980 kamen Tausende von Menschen nach Deutschland und in andere europäische Länder und beantragten politisches Asyl. Bis heute setzte sich dieser Umstand fort – wenn auch in sich verändernden Ausmaßen. Unter ihnen befanden sich unter anderem Personen, die als Führungspersönlichkeiten der TKP/ML, als TIKKO- Kommandant*innen und -Kämpfer*innen gesucht oder mit ähnlichen Vorwürfen in der Türkei vor Gericht gestellt wurden, die Jahre lang im Gefängnis saßen, und sogar solche, denen unmittelbare Teilnahme an Aktionen vorgeworfen wurde. Die Asylprozesse basierten auf diesen Akten. Schließlich erlangten Tausende Menschen trotz dieser Behauptungen politisches Asyl und ein Teil von ihnen hat heute die deutsche Staatsbürgerschaft. Außerdem setzten diese Menschen ihre politischen Aktivitäten nach ihrer Ankunft in Deutschland fort und das taten sie sogar viel offener und mit viel größeren Massenveranstaltungen. Wir sprechen hier nicht von einer Organisation, die unsichtbar ist, sich versteckt oder zu klein ist, um von Deutschland bemerkt worden zu seinen. Folglich ist es sehr eindeutig, dass vor allem der Geheimdienst und die Sicherheitskräfte des deutschen Staates die TKP/ML bereits sehr früh sehr gut kannten. Das Gegenteil zu sagen oder zu behaupten, würde bedeuten, dass man den deutschen Staat, der für seine Disziplin und Ordnung bekannt ist, zu einer „Bananenrepublik“ erklärt. Andererseits würde auch das Argument, dass die Situation sich nach dem 11. September und dem 2002er „Anti- Terror-Gesetz“ der EU-Kommission geändert habe, nicht die Wahrheit widerspiegeln. Wenn ich über mich selbst sprechen soll, mein Asylantrag wurde 2004 entschieden und ich besitze bereits einen französischen Pass. Mein Asylprozess basierte auf der TKP/ML-Akte. Außerdem erhielten auch einige Freund*innen, die zu einem ähnlichen Zeitpunkt wie ich aus dem Gefängnis entlassen wurden und heute hier sind, Mitte der 2000er Jahre aufgrund von TKP/ML-Akten Asyl. Das alles steht in den Akten, die uns gegeben wurden, und ist Ihnen bereits bekannt. Eine weitere wichtige Sache ist, dass ich dank Ihnen gelernt habe, dass die „Kaypakkaya-Gedenkabendkomitees“, die „Spendenkampagne“, die „Berichte der Auslandskomiteetreffen“, die in den Verfahrensakten ständig erwähnt werden und die Grundlage dieses Gerichtsverfahrens bilden, existierten und im besagten Zeitraum im Namen der TKP/ML Aktionen stattfanden, aber kein Verfahren eröffnet wurde. Eine einfache Frage: Warum wurden wir nicht damals schon festgenommen, warum hat man das Verfahren nicht schon damals eröffnet, sondern wurde so eine Operation erst im April 2015 beschlossen? Das Bundesjustizministerium und die deutschen Sicherheitskräfte haben wohl nicht plötzlich Nirwana erreicht! Die Gesetze sind dieselben geblieben, aber sie werden unterschiedlich umgesetzt und das sogar, während eine Mörderbande wie der IS wütet. Denn solche Angelegenheiten sind wie wenn ein Stein ins Rollen gekommen ist. Wenn er einmal ins Rollen gekommen ist, ist er irgendwann nicht mehr aufzuhalten. Wenn Sie die Wahrheit ans Tageslicht bringen wollen, dann tun Sie es auch. Wenn Sie aber die Sache mit einer entgegengesetzten Logik angehen, halten Sie den Stein schon so früh auf, dass er nicht richtig ins Rollen kommen kann. Eigentlich ist die Situation dem Mord ähnlich, von dem Gabriel Garcia Marquez in „Ein blutroter Montag“ erzählt. In dem Ort weiß eigentlich jeder, dass der Mord passieren wird, aber „niemand weiß es“. 

Sehr geehrter Herr Vorsitzender, sehr geehrte Senatsmitglieder, 

der Herr Staatsanwalt verfasste am Anfang seines Plädoyers eine Einleitung die seinem Verständnis des Gerichtsverfahrens entspricht. Er steht immer noch da, wo er von Anbeginn an stand. Das ist keine absurde Haltung, denn er kommt der Verantwortung, die er übernommen hat, nach und erledigt seine Aufgabe gut. Man muss dies anerkennen. Das meine ich gar nicht ironisch. Wenn wir fragen würden, ob er das Richtige tut, (seine persönliche Welt kenne ich nicht, aber) ich würde sagen, dass er die Anweisungen, die er vom Staat erhalten hat, und das Richtige des Staates ziemlich tadellos umsetzt. Und verteidigt er die Wahrheit? Da muss man stehen bleiben, denn er verteidigt nicht die Wahrheit. Er biegt die Wahrheit den politischen Anforderungen des Staates entsprechend hin und her. Wie er die Tötung von Zivilist*innen und insbesondere die Bombe, die in einer Garage in Erzincan explodierte und zum Tod von Kindern führte, benutzt, bildet meines Erachtens einen der grundsätzlichsten Aspekte dieses Verfahrens und fiel mir am meisten auf. Das Ereignis, das den Tod von Kindern verursachte, ist eine wirkliche Tragödie. Egal, wie man es begründen mag, sind dort Kinder gestorben. Das kann man weder akzeptieren noch entschuldigen. Zuallererst möchte ich das festhalten. Die Erklärung der TKP/ML zu diesem nicht zu akzeptierenden Ereignis ist aufrichtig, denn, wenn die TKP/ML diesbezüglich keine Erklärung veröffentlicht hätte, könnte niemand wissen, dass die TKP/ ML dafür verantwortlich war. Das ist es, was Herr Staatsanwalt auf keinen Fall sehen will. Die TKP/ML verurteilte das Ereignis an sich und sagte nicht: „Es ist ein Krieg und solche Sachen können passieren.“ Außerdem teilte die TKP/ML in ihrer Erklärung zu diesem Ereignis mit, dass sie ihren Kämpfer*innen Aktionen dieser Art verbot. Dieser Erklärung mit Skepsis zu begegnen oder sie uminterpretierend unwichtiger zu machen ist eine weitere Form, die Wahrheit zu entstellen. Das, was ich schreibe, möchte ich mit einer Frage fortführen: Sie haben zehntausende Seiten von Dokumenten, Informationen, Audioaufnahmen. Sie haben das Programm, die Satzung und Erklärungen der TKP/ML. Sie haben die Erklärungen der TKP/ML, die sich konkret auf das besagte Ereignis beziehen. Diese Dokumente, von denen hier die Rede ist, wurden im Verfahren verlesen. Gibt es in irgendeinem Dokument, in irgendeiner Erklärung Aussagen der TKP/ML, die gegenüber der Öffentlichkeit erklären, dass sie die Tötung von Menschen, die nicht unmittelbar für das Wesen des Regimes verantwortlich sind, befürwortet oder gutheißt? Nein, es gibt sie nicht. Auch Sie wissen sehr gut, dass die TKP/ML, egal wie sehr sie in Schwierigkeiten gerät, nicht eine solche Mentalität hat, wie Sie sie darstellen. Aber da es keinen anderen Beweis dafür gibt, dass sie „terroristisch“ und eine „terroristische Organisation“ sei, bestehen Sie darauf. In anderen Diskussionen während des Gerichtsverfahrens, in denen es um andere Themen ging, erkannten Sie ohne zu zögern jede andere Erklärung, zum Beispiel Bekennerschreiben, als Beweis ihrer Behauptungen an, und im Falle des Widerspruchs sagten Sie, dass es „signierte Dokumente gibt“ – also geben Sie implizit zu, dass die TKP/ ML eine Organisation ist, die sich zu ihren Taten bekennt – warum wollen Sie dann nicht glauben, dass sie keine solche Mentalität hat, wie sie beschreiben? Werden Sie etwa sagen: „Wenn es uns in den Kram passt, sehen und erkennen wir es an; wenn es uns nicht in den Kram passt, sehen wir es, aber wir erkennen es nicht an, selbst wenn wir es gesehen haben“? Es ist unmöglich zu akzeptieren, dass eine Kraft, die gegen ein Regime kämpft, Menschen, die für das Regime nicht unmittelbar verantwortlich sind, absichtlich zur Zielscheibe macht, ihnen schadet und sie umbringt. Eine solche Mentalität sollte jedenfalls verurteilt werden und wird auch verurteilt. Ich habe bereits eindeutig gesagt, dass ich eine solche Mentalität nicht akzeptiere, und werde es auch in der Zukunft sagen. Das ist die Wahrheit. Dies ist eine Seite des Problems, aber es hat noch eine andere Seite. Um das Wahre zu definieren und im Sinne eines Beweises unserer eigenen Fiktionen oder der „Wahrheit“, die wir selbst konstruiert haben, haben wir uns mit dem Phänomen in seiner Gänze auseinanderzusetzen, es sei denn wir bestehen auf einer Manipulation. Wie ich bereits einige Male gesagt habe, beharre ich darauf, dass es unnötig ist und keinen Sinn ergibt, darüber zu diskutieren, welche Aktionen die TKP/ML durchgeführt, welche sie nicht durchgeführt hat. Ich muss allerdings auch sagen, dass es einige Behauptungen gibt, deren Wahrheit sich ausschließen lässt. An diesem Punkt hängt das Hauptproblem damit zusammen, wie wir das Phänomen behandeln oder behandeln wollen. An zahlreichen Punkten werden wir Zeugen der manipulativen Art der Staatsanwaltschaft, wenn es um die Beurteilung von Ereignissen geht, die mit der TKP/ML zu tun haben. Die gleichen Manipulationen und Wahrheitsverdrehungen sind bei Behauptungen und Vorwürfen wie „die TKP/ML tötet ihre politischen Gegner*innen“ auch am Werk. Obwohl in den Erklärungen der TKP/ML das Wesen der besagten Personen sehr eindeutig erklärt wird, bemüht sich Herr Staatsanwalt nach wie vor darum, ein Bild der TKP/ML zu schaffen, „die ihre politischen Gegner*innen tötet und dies befürwortet“. Folglich beschuldigt er auch mich persönlich, Teil einer Organisation zu sein, die „ihre politischen Gegner*innen tötet und dies befürwortet“, „die Gesellschaft einzuschüchtern und zu terrorisieren“ und „mit diesen Aktionen Anhänger*innen zu gewinnen und so ihre Stärke zu zeigen versucht“. Dieser Vorwurf ist nicht richtig, er ist manipulativ. Wenn etwas vorgeworfen werden soll, dann sollte es stimmen. Eine Sache vorzuwerfen, die weder stimmt noch so vertreten wird, und dies systematisch immer wieder zu tun, ist Manipulation. Hier handelt es sich um eine Region, in der es die Guerilla gibt, um eine Region, in der Menschen vom Staat auf dem Niveau eines Genozids massakriert wurden und sich vom Staat stets distanzierten, in der in den letzten vierzig Jahren aus jeder Familie eine oder mehrere Personen als Mitglieder der TKP/ML, der PKK oder anderer revolutionärer Organisationen ermordet wurden, in der manche Menschen gegen Geld oder mit verschiedenen Versprechungen inoffiziell für den Staat arbeiten. Ich versuche hier eine logische Diskussion zu führen, mit anderen Worten, das wahre Wesen des Phänomens, mit dem wir hier zu tun haben, zu definieren. Lassen Sie mich ein paar Beispiele geben, die konkret aufzeigen, was für „Zivilist*innen“ eben diese „Zivilist*innen“ sind: Eine Live-Sendung der Ülke TV am 8. Mai 2019 (Dieser Fernsehsender ist eines der Medienorgane, die Teil des Fernsehsenders Kanal 7, eines offiziellen Propagandaorgans der AKP, sind) – Der Dialog zwischen der Moderatorin und ihrer Gästin ereignete sich wie folgt: 

Autorin Sevda Noyan: Der 15. Juli (2016) ist in der Wiege geblieben. Wir konnten nicht tun, was wir wollten. Wir waren unvorbereitet. Unsere Familie würde so fünfzig Menschen ausradieren; wir sind sehr gut ausgestattet, sowohl materiell als auch immateriell. Wir stehen zu unserem Führer und wir lassen ihn niemals im Stich. Sie sollten sich hüten. Auf meiner Liste sind 3-5 Personen aus unserer Gated Community! 

Moderatorin Esra Elönü: Sie sollten sich sehr gut hüten. (Ülke TV, 08. Mai 2020) 

Dieselbe Moderatorin schrieb am 3. Juli 2014 auf ihrem Social Media-Account: „Wenn man mit IS-Kämpfern Liebe macht, garantiert man den Himmel.“ 

Wir sehen die Person, von der die obigen Worte stammen, mit dem türkischen Innenminister Süleyman Soylu. 

pastedGraphic_10.png
pastedGraphic_11.png

„Mach dir keine Sorgen, wir werden eure Köpfe rollen lassen.“ 

pastedGraphic_12.png

„Ihr habe letzte Nacht gesehen, was wir für Süleyman Soylu getan haben. Das war erst der Prototyp unserer Liebe. 

Ihr könnt euch nicht einmal vorstellen, was wir für unseren Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan tun könnten. 

Eine Ankündigung für Verräter*innen!“ 

pastedGraphic_13.png

„Vor einer Stunde riefen drei Personen einen Jungen herunter, der in Etimesgut-Ankara auf seinem Balkon kurdische Musik hörte, und erstachen ihn.“ 

„Sie haben gut getan :)))“ 

Aber woher nehmen diese „Zivilist*innen“ das Recht und den Mut, diese Worte auszusprechen? Lassen Sie uns auch das anschauen. Innenminister Süleyman Soylu gab ein Statement im Fernsehen ab: „Was ich aber auch sagen will, ist, dass wir am 15. Juli nicht das machen konnten, was wir eigentlich tun wollten. Das ist sehr eindeutig. Ich weiß nicht, ob sie uns die Gelegenheit dazu geben werden. Also, wenn sie wieder eine solche Sache wagen, werden wir die Gelegenheit dazu haben. Das ist sehr klar.“ (13. Juli 2017, Tageszeitung Habertürk) 

Lassen Sie uns schauen, woher sonst sie den Mut haben, diese Worte auszusprechen. Artikel 121 des Dekrets Nr. 696 garantiert, dass „Zivilist*innen“ wegen Taten wie Mord, die zum „Schutz des Staates“ dienen, nicht angeklagt werden. Dieser Gesetzesartikel wurde 2015 erlassen, um zunächst zu verhindern, dass die Sicherheitskräfte des Staates, die kurdische Städte mit Panzern, Hubschraubern, Kanonen und tausenden Spezialeinheitsmitgliedern angriffen, Kinder, Alte, Frauen und Männer ermordeten, in Cizre in den Kellergeschossen von Häusern Menschen verbrannten und ihre Leichen zerstückelten, in der Zukunft nicht für ihre Taten verantwortlich gemacht werden können, und anschließend, dass die zivilen Mörder (, die auf dem Photo unten zu sehen sind), die bei den Ereignissen vom 15. Juli 2016 Soldaten lynchten, köpften, vergewaltigten und umbrachten, indem sie sie von der Brücke herunterwarfen, einerseits nicht angeklagt, andererseits dazu motiviert werden, solche Taten fortzusetzen. Das sind also die „Zivilist*innen“, die Sie als „einfache Familienväter beziehungsweise -Mütter“ darzustellen bemüht sind. Und diese „zivilen“ Bürger*innen haben Allahu Akbar rufend Menschen geköpft und drohen damit, wieder Menschen zu köpfen. Es ist bekannt, dass diese „Zivilist*innen“ im Besitz von 106.740 Schusswaffen sind, die auch im türkischen Parlament thematisiert wurden, über deren „Verbleib man allerdings nichts weiß“: 

„Am 08. Juni 2017 brachte Mustafa Maraş in Ankara einen Traktorfahrer um, mit dem er sich gestritten hatte, und verwundete seinen Bruder. Beim Mord wurde ein MP-5- Schnellfeuergewehr eingesetzt. Maraş, der eine Waffe benutzt hatte, deren Verkauf verboten ist, sagte zu seiner Verteidigung: ‚Diese Waffen wurden am 15. Juli (2016), in der Putschnacht, vor dem Polizeipräsidium von Ankara verteilt.‘“ (08.06.2917, Tageszeitung Cumhuriyet) 

Ein weiterer Artikel über diese „Zivilist*innen“, der am selben Tag erschien: 

„Bevor Ibrahim Gökçeks Leichnam nach Kayseri gebracht wurde, veröffentlichte der Vorsitzende der Idealist*innenvereine in Kayseri eine Nachricht in den sozialen Medien. 

Serdar Turan, Vorsitzender der Idealistenvereine in Kayseri behauptete, sie würden verhindern, dass der Leichnam von Ibrahim Gökçek nach Kayseri gebracht und eine Begräbniszeremonie abgehalten wird, und sagte: 

„Wenn Sie so eine Tat wagen sollten, werden ihre Köpfe nicht mehr an ihren Körpern sein. Niemand sollte daran zweifeln, dass die Faust der Türken wie ein Vorschlaghammer auf ihre Köpfe fallen wird.“ Diese „Zivilist*innen“ blockierten den Weg, als der Leichnam nach Kayseri gebracht wurde, griffen das Bestattungsfahrzeug an und sagten dabei: „Selbst wenn sie ihn begraben sollten, graben wir ihn wieder aus.“ 

Dieselben Gruppen versammelten sich zwei Tage später wieder und sagten: 

„Die Polizist*innen werden sowieso irgendwann gehen, sie können nicht immer dort warten. Dann werden wir die Leiche herausholen und verbrennen!“ 

Diese „Zivilist*innen“ sind so zivil, dass sie das Begräbnis der Mutter der HDP- Abgeordneten Aysel Tuğluk in Ankara verhinderten, so dass ihr Leichnam in Türkisch-Kurdistan beerdigt werden musste. Dieser Zustand ist nicht nur den letzten paar Jahren zu eigen. Auch in den 1990er Jahren wurde der Leichnam eines Guerillakämpfers, der in einer Schießerei gestorben war, von diesen „Zivilisten“ aus dem Grab herausgeholt und auf die Straße geworfen. 

Ein weiteres Beispiel ist nur eine der Taten, die die paramilitärischen Gruppen am 15. Juli 2016 begingen. Fadime Er, die ältere Schwester des Soldaten Burak Dinler erzählt: 

„Der Moment, in dem mein lieber Bruder gelyncht wurde. Was verstand er schon vom Putsch? Wir übergaben meinen Bruder den türkischen Streitkräften. Sie gaben uns die zerstückelte Leiche meines Bruders in fünfundneunzig Plastiktüten zurück.“ 

pastedGraphic_14.png

Das deutsche Volk ist eines der Völker, die am besten wissen, was für „Zivilist*innen“ diese „Zivilist*innen“ sind: „Nicht Hitler, Göring, Goebbels, Himmler oder wie die alle hießen, haben mich verschleppt und geschlagen. Nein, es war der Schuster, der Nachbar, der Milchmann, der eine Uniform bekommen hat (…) und dann waren sie die Herrenrasse.” (Karel Stojka, Auschwirz-Überlebender) 

Sehr geehrter Herr Vorsitzender, sehr geehrte Senatsmitglieder, 

es wimmelt überall auf der Welt von diesen „Zivilist*innen“. Auch wenn ihr Einfluss in den Ländern, in denen die demokratischen Werte vergleichsweise tief verankert sind, beschränkt bleibt, wird es ersichtlich, dass ihre Zahl und ihr Einfluss sich in Zeiten von ökonomisch-politischen Krisen und Verschärfung gesellschaftlicher Polarisierung vergrößert. Die herrschenden Klassen bedürfen stets dieser Kräfte; für die herrschende Struktur spielen sie nahezu die Rolle einer „Reserve“. Diese „Zivilist*innen“, deren Gehirne durch Rassismus und religiösen Fundamentalismus kastriert worden sind, sind viel gefährlicher als die offiziellen Streitkräfte. Denn die herrschenden Kräfte finden mithilfe dieser Personen zunächst die Gelegenheit, ihre Taten zu verschleiern, danach spalten sie die Gesellschaft und lassen diese Kreise auf die Leute los, die gegen das herrschende System und seine Praktiken opponieren. Hitlers SS und SA und Mussolinis „Schwarzhemden“ waren die bekanntesten Beispiele dieser „Zivilist*innen“. Diese Kräfte existieren in jedem Land der Welt und haben die gleiche Funktion inne. In Ländern wie der Türkei, in denen die herrschenden Klassen sich auf „physische und mentale Gewalt“ stützend aufrechterhalten können, gibt es tausende Menschen, die in diesen Organisationen organisiert sind oder nicht organisiert sind, aber unter dem Einfluss dieser Meinungen stehen und jeden Moment zu Aggressor*innen werden können. Dass eine brutale Organisation wie der IS unter allen muslimischen Ländern in der Türkei die größte Sympathie genießt, ist ein Indikator dafür. Selbst wenn wir, ohne in der Geschichte sehr weit zurückzublicken, uns die von der Gründungsphase der türkischen Republik bis heute vorherrschende Mentalität anschauen, sehen wir die Gründe dafür und ihre tiefe Verwurzelung und Verbreitung in der Gesellschaft. Wir reden hier von einer herrschenden Struktur, die sich durch den Genozid an Armenier*innen und die Massenmorde an Chaldo- Assyrer*innen und Griech*innen etablierte, diesen Prozess durch den Massenmord an Kurd*innen fortsetzte und im Laufe der Zeit die Alevit*innen mehrmals ernsthaften Massakern aussetzte und all das mit „dem Krieg des türkischen Staates gegen seine inneren und äußeren Feinde“ und „die Nichtteilbarkeit des Vaterlands und der Nation“ rechtfertigte, und von Millionen von Menschen, die dem bereitwillig Glauben schenkten. Heutzutage ist neben diesen Aggressionen auch der „Krieg gegen den Terror“ sehr beliebt. In dieser Menschenmasse sind die islamische Reaktion und der rassistische türkische Nationalismus so tief verwurzelt, dass sie jeglichem (Massen-)Mord zustimmt und sich soweit wie möglich als Ausführende daran beteiligt. Im Jahre 1993, also zu einem Zeitpunkt, der nicht so weit zurückliegt, wurden 33 alevitische Intellektuelle und Künstler*innen ermordet, indem Zehntausende von faschistischen und religionistischen „Zivilist*innen“ das Hotel in Brand steckten, in dem erstere übernachteten. Und wir sprechen von einer menschenverachtenden Menschenmasse, die jedem Mord applaudiert, der im Namen des IS begangen wird. In der Türkei hat es immer eine breite islamistisch-faschistische Horde gegeben, die jeglicher Barbarei zustimmt und wenn nötig, sich in diesen Prozessen für „zuständig“ hält. Sie sind nicht Produkt eines neuen und der AKP-eigenen Prozesses. Nur sind sie mittlerweile noch dreister geworden. Gegen diejenigen, die sie als ihre Gegner*innen betrachten, mit Gewalt vorzugehen ist als klassische Reflexe des Türk*in- und Muslim*inseins nahezu in ihre Gene eingegangen. Und in der jetzt erreichten Phase hat der Faschismus sowohl im rassischen als auch im religiös-konfessionellen Sinne seinen Höhepunkt erreicht. Und ein Großteil der Gesellschaft wurde durch diese Hysterie in eine Herde verwandelt. Wie eine der Frauen, deren Stellung im Gesellschaftsleben und in gesellschaftlichen Beziehungsformen unter der Erdoğan-Regierung einen Tiefpunkt erreicht hat, ihr Verhältnis zu Erdoğan definiert, bietet uns gleichzeitig auch wichtige Informationen darüber, wo das konservativ-rassistisch- religionistische Milieu mittlerweile in der türkischen Gesellschaft angekommen ist. Die auf diese Weise moralisch „verfallenen“ und „zum Verfall gebrachten“ Volksmassen haben es ihrer Persönlichkeit einverleibt, Unterstützer*innen und Ausführende aller menschenverachtenden Praktiken zu sein, die sich gegen Kreise richten, die sie nicht als Teil von sich selbst betrachten. Aus diesem Grund können sie Reaktionen zeigen, für deren Beschreibung der Begriff der Verwunderung nicht mehr genügt, und sie sind stolz über ihre menschenverachtende Haltung. Leider handelt in der türkischen Gesellschaft eine große Horde nach diesem Moralverfall und mit „Feindschaft gegen alles und alle“ außer sich selbst. Die AKP fungierte als eine wichtige konstruktive Kraft für das Fortschreiten und die Permanenz dieses Wahnsinns. Dies ist ein so umfangreicher Verfall und Feindschaft gegen und Entfremdung von menschlichen Werten, dass diese nicht nur, wenn es sich um Gegner*innen handelt, sondern auch bei Ereignissen untereinander zu ähnlichen Reaktionen führt. 

Die konservativ-nationalistisch-fundamentalistisch religiösen Kreise, die sich anmaßen, auf der Straße irgendeinen Mann umzubringen oder zumindest zusammenzuschlagen, weil er die Frau neben ihnen angeschaut hat, die kein Problem damit haben, viele Frauen im Namen der Ehre zu ermorden, und sich damit rühmen, schweigen nun angesichts der Tatsache, dass ihre Kinder in Korankursen und religiösen Stiftungen vergewaltigt werden. Ihre regierungsnahen islamistischen Leiter*innen und Lehrkräfte vergewaltigen die Mädchen und Jungen, die dort wohnen. Man versucht, die Vergewaltigten mit den Vergewaltigern zu verheiraten, und die Machthaber*innen und Anhänger*innen der Regierung, die ihrer Natur nach den Lebensstil eines Vergewaltigers und Pädophilen haben, sprechen gegen die Kreise, die dagegen protestieren, Drohungen aus. Dieses konservativ-rassistisch- islamistische Milieu in der Gesellschaft, das bei jeder Gelegenheit „Ehre“ ruft, verteidigt nicht seine Kinder und schreckt nicht davor zurück, die Vergewaltiger zu unterstützen. 

Einem wichtiger Teil der türkischen Gesellschaft gelang es bisher nicht ein einziges Mal sich von der „Untertanenkultur“ loszulösen und „staatsbürgerliches“ Bewusstsein zu erlangen. Das ist eine so tief verwurzelte Mentalität, dass sie sich in verschiedenen Situationen selbst in Milieus bemerkbar macht, die sich für fortschrittlich halten. Wir sehen, dass durch Furcht geprägte und „mit dem Stock erzogene“ Individuen, selbst wenn sie sich für Fortschrittliche halten und mit gewissen Eigenschaften auch tatsächlich solche sind, nicht „frei“ sein können, da sie keinen ganzheitlichen Transformationsprozess durchgemacht haben. Im Mittelpunkt des Problems stehen im Allgemeinen das Verhältnis zur Autorität, im Besonderen das Verhältnis zu dem Staat und der Regierung und die Rolle, die das Individuum in diesem Verhältnis sich selbst gibt. Es handelt sich dabei um eine Formation, bei der die innerhalb der Familie dem Vater zugeschriebene „Chef-“ und „Leiterrolle“ eines „Wissenden“, der „etwas zu sagen hat“, sich in der Definition „Vater Staat“ konkret widerspiegelt und die dem „heiligen Staat“ übertragene „Vater-Staat“-Mischung zum Vorbild genommen wird. Dieses Modell, das stets großen Einfluss auf patriarchale Gesellschaften hat, verwandelt sich in Gemeinschaften, in denen religiöse und rassistische Referenzen überwiegen, in eine Phase, in der das Individuum gegenüber dem Staat und den Autoritäten zu einem Nichts erklärt wird. Diese geistige Formation, die einerseits den Staat heilig spricht, andererseits den Tod für den Staat zum „Märtyrertum“, also dem „Heiligsten Tod“ erklärt und darin den „sichersten Weg in den Himmel“ sieht, öffnet jeglichem radikalen religiösem Fundamentalismus und rassistischem Nationalismus Tür und Tor. In dieser Hinsicht existiert diese Basis auch ohne die Aktualisierung durch die Staats- und Regierungsmacht. Dieses „Ferment“ genießt innerhalb der türkischen Gesellschaft eine rassische und religiöse Existenz und ist ziemlich lebendig. Was der AKP und Erdoğan so große Macht verleiht, ist die starke Kompatibilität zwischen ihnen und der türkischen Gesellschaft. Wenn Sie die historischen Reflexe, die Selbstdefinitionen und die Motivationsquellen der türkischen Gesellschaft zusammenbringen und einen Schluss daraus ziehen, werden Sie auf die AKP kommen. 

Aus diesem Grund kann das Problem nicht innerhalb des „Zivilist*innen“-Begriffes behandelt werden. Bisher haben wir von Massenmorden und Gewalttaten des Staates gesprochen, den wir die türkische Republik nennen, aber man sollte nicht vergessen, dass das herrschende Denken in einem Teil des Volkes so tief verwurzelt ist, dass diese Menschen auch ohne staatliche Steuerung bereit sind, jegliche Bosheit zu begehen. Nur die Taten des Staates zu sehen und die faschistische Masse und ihre Rolle bei der Kontinuität der Feindschaft und des Hasses nicht zu sehen, führt dazu, dass man das Problem nicht ausreichend versteht. Man hat zunächst das Problem mit all ihren Dimensionen darzustellen, um danach auf dieser Grundlage zu urteilen. Von einer realitätsfernen Definition wie „politische Gegner*innen“ ausgehend zum „Feind aller Andersdenkenden“ erklärt zu werden, also die faschistische Mentalität, die mir vorgeworfen wird, lehne ich ab. Wer wirklich eine solche Mentalität besitzt, kann jeder ohne Schwierigkeiten feststellen, der nicht nach der Staatsräson, sondern entsprechend den demokratischen Werten denkt. 

Aber ich möchte auch weitersprechen, so dass auch diejenigen, die ihre demokratischen Werte mit dieser oder jener Begründung geopfert haben, wirklich die „politischen Gegner*innen“ der TKP/ML und folglich sehen, wer die „Feindschaft zwischen den Völkern“ provoziert. 

Sehr geehrter Herr Vorsitzender, sehr geehrte Senatsmitglieder, 

meine Ausführungen bestehen aus kleinen Beispielen davon, unter welchen Bedingungen die Menschen in unserem Land mit was für einem Regime, Herrschafts- und Rechtssystem konfrontiert sind. Gleichzeitig sind sie ein Indikator dafür, dass sich im Wesentlichen nichts geändert hat. Die herrschende Struktur setzte ihre Existenz bis heute fort, indem sie gegenüber denen, die sie ausgrenzte, genozidär, (massen-)mörderisch und folternd auftrat. Es gibt hier eine weitere sehr wichtige Sache, die sich nicht verändert hat. Diese faschistische und (massen-)mörderische herrschende Struktur hatte fast immer Unterstützer*innen, Bestätiger*innen, Partner*innen und Ratgeber*innen auf dem internationalen Terrain. Dies setzt sich auch gegenwärtig fort. Schließlich setzt der türkische Staat – abgesehen von einigen Murmeleien – mit mittelbarer sowie unmittelbarer Unterstützung seine brutale Geschichte fort. Der türkische Staat und seine in allen seiner Phasen ihm treuen Bündnispartner*innen sind diejenigen, die die „Feindschaft zwischen den Völkern“ säen. Während die herrschende Struktur, die Menschen kontinuierlich ermordet, verschwinden lässt, foltert, in Gefängnisse steckt, von der Spitze des Staates aus stets den rassistischen Diskurs von „einem Staat, einer Nation, einem Vaterland, einer Sprache und einer Fahne“ betrieben wurde; während diese eineinhalb Millionen Armenier*innen, dreihunderttausend Pontus-Griech*innen, tausende Chaldo-Assyrer*innen, zehntausende Kurd*innen und Alevit*innen ermordet und Genoziden ausgesetzt hat, ihr Hab und Gut beschlagnahmt und ihre Muttersprachen verboten hat und sogar behauptet wurde, dass es keine kurdische Nation, kein kurdisches Volk geben würde und während ihre Feindschaft gegenüber anderen Nationen, Religionen und Konfessionen vor den Augen der ganzen Welt offensichtlich wurde, der TKP/ML und mir, der im TKP/ML-Verfahren angeklagt wurde, so etwas vorzuwerfen, ist der absurdeste Vorwurf der Welt. Gleichzeitig bedeutet es eine Unterstützung jeglicher menschenverachtender Praxis des türkischen Staates. Das ist ein wichtiges Problem und die Haltung, die hier eingenommen wird, zeigt jenseits persönlicher politischer Meinungen, wie wir uns angesichts dieser Verbrechen gegen die Menschlichkeit persönlich und institutionell verhalten. Vor allem Menschen, die einem Volk angehören, das die nationalsozialistische Barbarei erlebt hat, haben bei so einer Sache noch empfindlicher zu sein. Die Nazis ermordeten Jüd*innen, Sinti und Roma, Homosexuelle, Behinderte und nicht-arische Völker und verursachten den Tod von 50 Millionen Menschen. Nachdem sie einen wichtigen Teil des deutschen Volkes zu Mittäter*innen gemacht und dadurch eine historische Schande geschaffen haben (Das sage ich über die Kreise, die ihre Menschlichkeit bewahrt haben. Natürlich gibt es in allen gesellschaftlichen Ebenen auch nicht wenige derjenigen, die sich offen oder latent dieser blutigen Geschichte rühmen und darauf stolz sind.), kann man – sich hinter welchen Interessen oder Gesetzen auch immer oder hinter dem Grundgesetz versteckend – nicht das Schicksal anderer Völker ignorieren. Zudem widerspricht der Versuch, die wahren Schuldigen zu verheimlichen und die Betroffenen als Schuldige darzustellen, lassen wir mal das Recht beiseite, selbst der Menschlichkeit an sich. 

Da die TKP/ML den Gegenstand dieses Gerichtsverfahrens bildet, wäre es sinnvoll, sich die Positionen der TKP/ML zu den Beziehungen zwischen den Völkern anzuschauen. Wie es allen, die im Gerichtssaal sind und das Verfahren verfolgen, bekannt sein dürfte, entwickelte die TKP/ML ihre Positionen auf der Grundlage der Gedanken, die Ibrahim Kaypakkaya kundtat. Aus diesem Grund ist es, einfach ausgedrückt, eine Unverschämtheit, zu behaupten, die TKP/ML verfolge das Ziel oder habe die Praxis, „Feindschaft zwischen den Völkern zu verursachen“. 

Dies ist einfach nichts anderes, als dem türkischen Staat nach dem Mund zu reden. Lassen Sie uns nun aus dem Buch „Alle Schriften“, in dem Ibrahim Kaypakkayas Artikel versammelt sind, uns die Zusammenfassung der diesbezüglichen Gedanken anschauen: 

„21. Die Zusammenfassung der Gedanken der marxistisch-leninistischen Bewegung zur nationalen Frage 

Die marxistisch-leninistische Bewegung ist heute der entschiedenste und unerbittlichste Feind der nationalen Unterdrückung der kurdischen Nation und der minoritären Nationalitäten durch die herrschenden türkischen Klassen. Sie kämpft an vorderster Stelle gegen die nationale Unterdrückung, die Unterdrückung anderer Sprachen und nationale Privilegien. 

Die marxistisch-leninistische Bewegung verteidigt und erkennt das Selbstbestimmungsrecht der von der türkischen Bourgeoisie und von Feudalherren unterdrückten kurdischen Nation, also ihr Recht, sich zu trennen und einen unabhängigen Staat zu gründen, stets und ohne wenn und aber an. 

Die marxistisch-leninistische Bewegung unterstützt den Kampf der unterdrückten Völker im Allgemeinen, des kurdischen Volkes im Besonderen gegen die nationale Repression, Unterdrückung und Privilegien: sie unterstützt definitiv den allgemeinen demokratischen Gehalt der nationalen Bewegung eines unterdrückten Volkes… 

Die marxistisch-leninistische Bewegung befürwortet die Zusammenkunft der Arbeiter*innenklasse und der Werktätigen in einem bestimmten Staat, in gemeinsamen Organisationen, in politischen, gewerkschaftlichen, genossenschaftlichen, Bildungsorganisationen usw.. Sie bekämpft die Tendenzen, Arbeiter*innen und Werktätige nach ihren Nationen in getrennten Organisationen zu versammeln. Denn erst dadurch erhalten Arbeiter*innen und Werktätige aus verschiedenen Völkern die Möglichkeit, einen erfolgreichen Kampf gegen das internationale Kapital und die Reaktion zu führen. Erst so erhalten sie die Möglichkeit, gegen die Propaganda und die reaktionären Sehnsüchte der Feudalherren, Geistlichen und bürgerlichen Nationalist*innen aller Nationen zu kämpfen… 

Die marxistisch-leninistische Bewegung wird im System der demokratischen Volksregierung die nationale Frage folgenderweise lösen: 

Im System der demokratischen Volksregierung wird die völlige Rechtsgleichheit aller Völker und Sprachen gewährleistet. Es wird überhaupt keine Pflichtsprache mehr geben, es werden Schulen geschaffen, in denen alle einheimischen Sprachen gelehrt werden. Die Verfassung der Volksstaaten verbietet jegliche Privilegien für irgendein Volk und jegliche Beschneidung der Rechte von nationalen Minderheiten. 

Jedem Volk wird das Selbstbestimmungsrecht anerkannt. Damit all das verwirklicht werden kann, bedarf es insbesondere einer flächendeckenden regionalen Autonomie und einer völlig demokratischen regionalen Selbstverwaltung. Die Grenzen dieser sich selbst verwaltenden autonomen Regionen werden auf der Grundlage der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bedingungen, der Bevölkerungszusammensetzung usw. von der regionalen Bevölkerung selbst festgelegt. 

Wiederholen wir unsere grundsätzliche Losung in nationalen Fragen nochmals: ‚Völlige Rechtsgleichheit und Selbstbestimmungsrecht für alle Völker, die Zusammenkunft der Arbeiter*innen (und der unterdrückten Völker) aller Länder.‘“ (Ibrahim Kaypakkaya, Alle Schriften, Dezember 1971-Juni 1972) 

Es wurde zum ersten Mal so konkret und so umfangreich dargestellt, dass innerhalb der als ‚die Türkei‘ international anerkannten Grenzen Menschen leben, die verschiedenen Nationen und Völkern angehören, und dass diese verschiedenen Gruppen ein Selbstbestimmungsrecht haben, dass von diesem Recht wiederum sowohl in Form der Trennung wie des Zusammenbleibens Gebrauch gemacht werden kann und die Entscheidung von den Elementen, die die jeweilige Nation bzw. Volk bilden, selbst getroffen werden soll. Diese Feststellungen und die Mentalität, die dabei an den Tag gelegt wurde, stellen innerhalb der „Türkei“ genannten Grenzen sowohl in politischer als auch in intellektueller Hinsicht eine Revolution dar. Innerhalb der Grenzen, die mit dem Begriff „Misak-ı Milli“ (dt. Nationalpakt oder Nationaleid) umfasst werden, hatte bis dato weder eine politische Struktur noch irgendein Intellektueller ein so tiefgreifendes Konzept entworfen, das den ideologischen Rahmen der Türkischen Republik erschütterte. Es wäre keine Übertreibung, zu behaupten, dass diese Positionen einer der Hauptgründe dafür waren, dass Ibrahim Kaypakkaya zerstückelt in einem Sack abgegeben wurde, nachdem er lebendig ergriffen worden war. Denn aus der Sicht des türkischen Staates war diese Sache deshalb erforderlich, dass im letzten Glied einer Massenmordkette in Dersim zehntausende Kurd*innen ermordet wurden, Kurd*innen, Araber*innen, Tscherkess*innen. Griech*innen, Armenier*innen, Chaldo- Assyrer*innen usw. „türkisiert“, Christ*innen und Alevit*innen „sunnitisiert“ worden sind, kurz, sie waren zu einem „türkisch-muslimisch-sunnitischen“ Ganzen verschmolzen worden und dadurch wurde die „Einheit des Staates und der Nation“ gewährleistet! Als gerade alles „in richtige Bahnen gelenkt“ und die Türkei ein Staat entsprechend dieses Begriffs geworden war, tauchte ein junger Mann namens Ibrahim Kaypakkaya auf, der noch in seinen Zwanzigern war, und sagte: „Innerhalb dieser Grenzen existieren Türk*innen, Kurd*innen, Araber*innen, Tscherkess*innen und Armenier*innen“ und „sie sollten ein Selbstbestimmungsrecht haben“. Er begnügte sich nicht damit, diese Worte auszusprechen und dadurch die herrschende Mentalität zu erschüttern, sondern, noch schlimmer, er sprach auch davon, dass an Armenier*innen ein Genozid verübt worden war. Obwohl seit dem Genozid, der Ermordung von ungefähr eineinhalb Millionen Armenier*innen und – wenn auch die genaue Zahl nicht bekannt ist – zumindest dreihunderttausend Pontus-Griech*innen ein Jahrhundert vergangen ist und dies als eine sehr konkrete Wahrheit bekannt ist, haben selbst europäische Staaten aus diesem oder jenem Kalkül heraus Schwierigkeiten, diesen Genozid anzuerkennen. Dies vor einem halben Jahrhundert in der Türkei zu tun, bedeutete, in Kauf zu nehmen, von der herrschenden Struktur und all ihren Anhänger*innen anfeindet und ausgegrenzt zu werden. Denn selbst die Kreise, die sich als Demokraten und sogar als Sozialist*innen definierten, bevorzugten „Sozialist*innen“ und „Demokrat*innen“ zu sein, die die Kurd*innenfrage nur periph und die armenische Frage gar nicht thematisierten. Wenn man sich die Reaktionen der Vertreter*innen des türkischen Staates anschaut, nachdem der armenische Völkermord 2016 im Europäischen Parlament besprochen und anerkannt wurde, wird man sehen, wie erregbar sie bei der Handhabung dieses Themas sind: Neben Erdoğan, der sagte, dass das Blut der deutschen Abgeordneten türkischer Herkunft, die dem Antrag zustimmten, „unrein“ und „zu untersuchen“ sei, bedrohten türkische Rassist*innen diese Abgeordneten, von denen manche Polizeischutz benötigten. Obwohl seitdem ein Jahrhundert vergangen ist, benutzt man in den religiös fundamentatistischen und rassistischen Milieus des türkischen Volkes das Wort ‚Armenier*in‘, um sich gegenseitig zu beschimpfen. So zum Beispiel, dass bei den militärischen Operationen in kurdischen Gebieten an Wände „Armenierbastarde“ geschrieben wurde, um die Kurd*innen zu beschimpfen, oder wie der ehemalige Ministerpräsident Davutoğlu den kurdischen Widerstand gegen die Operationen seiner Meinung nach anprangerte, indem er behauptete, „sie würden genauso wie die armenischen Banden mit Russland kollaborieren“, und so ihren „Vaterlandsverrat“ mit dem „Verrat“ der Armenier*innen verglich. 

pastedGraphic_15.png

„Türke, sei stolz, arbeite und habe Vertrauen“ „Die Türkei den Türken“
„Glücklich sei der, der sagt: Ich bin Türke“ „Türken haben keine Freunde außer Türken“ 

pastedGraphic_16.png

„Sprich Türkisch, sprich viel“ 

pastedGraphic_17.png

„Grüße aus der kemalistischen Türkei an das faschistische Italien!“ 

pastedGraphic_18.png

„Der türkisch-deutsche Pakt in der Weltöffentlichkeit“
„Herzliche Glückwünsche zwischen unserem Nationalen Chef und dem Führer“ 

pastedGraphic_19.png
pastedGraphic_20.png
pastedGraphic_21.png

„Blut hat den Zahn des Wolfes berührt, fürchtet“
„Sei stolz, wenn du Türke bist; wenn nicht, gehorche.“ 

pastedGraphic_22.png

„Seid vernünftig, damit der Staat nicht nochmals kommt!“  

pastedGraphic_23.png

„Ayhan Çarkın: Die Morde waren dem Staat wohl bekannt“ 

pastedGraphic_24.png

„Na ja, ich tweete mal die Leiches eines Tieres, dessen Kopf abgetrennt wurde, damit meine Stimmung besser wird. Es lebe die Spezialeinheit für militärische Operationen“ 

pastedGraphic_25.png

Wer ist es, der seine politischen Gegner*innen tötet und gleichzeitig „Feindschaft zwischen den Völkern verursacht“? Hören wir den Wahrheiten zu. Selbst ein Tauber hätte gehört, was sich in den kurdischen Gebieten ereignet hat. Wenn unsere Vernunft, unser Gewissen und unsere demokratischen Werte nicht „außer Betrieb“ sein sollten, ist es ohnehin unmöglich, die Wahrheit nicht zu hören, nicht zu sehen. Keine Sorge, selbst wenn wir es nicht sehen wollen, zeigen es die türkische Staatsräson und die rassistischen und religiös fundamentalistischen Codes, die sich in die DNA der türkischen Gesellschaft festgeschrieben haben, in jedem Augenblick des Lebens. Denn für die rassistischen und religiös verbrämten Faschist*innen, für diejenigen, die ein Problem damit haben, dass „Völker in Frieden leben“, bieten ein solches Denken und Handeln einen „pornographischen Genuss“. 

Wir sprachen ja von der „Tötung politischer Gegner*innen“ und der „Gegnerschaft zum friedlichen Zusammenleben der Völker“: Um denen, die alles Mögliche tun, um die „drei Affen“ zu spielen – obwohl die Wahrheit offensichtlich ist – um dieses faschistische Regime zu verteidigen, um zu zeigen, wovon sie Teil sind, und für die Geschichte aufzuschreiben, wer für ein friedliches Zusammenleben der Völker und wer ihre Mörder sind, wäre es angebracht, einen Teil des Massakers in Cizre zu schildern. Die unteren Ausführungen stammen aus dem „Bericht über Hinrichtungen und Rechtsverletzungen gegenüber zivilen Bürger*innen nach der Ausgangssperre in Cizre“, der von der Demokratischen Partei der Völker (HDP) angefertigt und internationalen Institutionen vorgelegt wurde.Dies war ein äußerst tragischer Prozess für das in der Türkei lebende Volk und vor allem für die kurdische Nation. Nach Juli 2015 wurden die kurdischen Gebieten genauso wie in den 1990er Jahren einer großen Barbarei ausgesetzt. Es handelt sich dabei um einen Prozess, an dem sich zehntausende Mitglieder der Polizei- und Gendarmeriespezialeinheiten und eine Menge islamistischer Banden beteiligten und in dem Hubschrauber, Panzer und diverse Militärfahrzeuge eingesetzt, über zahlreiche Städte monatelang Ausgangssperre verhängt, hunderte Zivilist*innen einschließlich Babys ermordet, Städte mit Panzern, Kanonen und von Hubschraubern abgeworfenen Bomben dem Erdboden gleich gemacht wurden. In diesem Prozess drückte sich das wahre Wesen des türkischen Staates aus, das unbedingt aus der Beurteilung herausgehalten wird oder halbherzig mit den Worten „wir wissen es ja“ abgetan wird. Jedes der unteren Photos ist ein Beweis dafür, dass dabei die Feindschaft zwischen den Völkern systematisch geschürt wurde: Das erste Photo, das den Medien von den Täter*innen selbst zugespielt wurde, zeigt, wie der junge Kurde Hacı Lokman Birlik nach seiner Ermordung hinter einem Militärfahrzeug des Modells „Akrep“ (dt. Skorpion) durch die Straßen geschleift wurde. 

pastedGraphic_26.png
pastedGraphic_27.png

„Sie traten die PKK mit den Füßen.“ 

Das Photo unten zeigt eine Mutter, die das Überbleibsel des Leichnams ihres Sohnes in ihrem Schoß hält. Dieser Leichnam wurde so per Post verschickt, dass die Empfängerin die Portokosten zu tragen hatte. 

pastedGraphic_28.png

Dieses Photo ist Teil der Barbarei während der Ausgangssperre 2015. Diese kurdische Frau namens Taybet Inan, „Taybet Ana“ (dt. Mutter Taybet), wurde von Scharfschützen mitten auf der Straße erschossen, und man erlaubte nicht, dass ihr Leichnam abgeholt wurde, so dass sie eine Woche lang auf der Straße lag. Taybet Anas Kinder wehklagten: „Meine Mutter blieb genau sieben Tage auf der Straße liegen. Aus Angst, Vögel könnten auf ihr landen, Hunde könnten kommen, konnte keiner von uns schlafen. Sie lag da, zehn Meter entfernt von ihr starben wir!“ 

pastedGraphic_29.png
pastedGraphic_30.png

„Wir gingen nach Şırnak, töteten Babys. Am nächsten Tag begannen in den Zeitungen die Artikel über ‚Babymörder Apo‘. 

Polizist der Spezialeinheiten Ayhan Çarkın“ 

Auf diesem Photo ist die zehnjährige Cemile Çağırga zu sehen. Sie wurde während der Operationen im Jahr 2015 ermordet; und da der Staat eine Ausgangssperre verhängt hat, musste die Familie dieses Kindes seinen Leichnam zehn Tage lang im Kühlschrank aufbewahren, damit er nicht stank. 

„Sie war zehn Jahre alt. Sie wurde ermordet und man erlaubte nicht, ihren Leichnam zu beerdigen. Damit ihr Leichnam nicht stank, legte sie ihre Mutter in Eis. Tagelang lebten sie zu Hause mit dem Leichnam ihres Kindes. Niemand teilte ihr Leid. Niemand protestierte dagegen und sie ist in Vergessenheit geraten. Erinnert sich noch jemand an sie?“ 

pastedGraphic_31.png
pastedGraphic_32.png

Nachdem die beiden kurdischen Kinder, die Sie auf diesen Photos sehen, ermordet wurden, legte man neben sie Waffen, die so groß sind wie die Kinder selbst, um sie zu Terrorist*innen zu erklären. 

pastedGraphic_33.png
pastedGraphic_34.png

Die Photos unten sind Aufnahmen davon, dass der Garzan-Friedhof im Dorf Yukarı Ölek (Oleka Jor) bei Bitlis demoliert und die sterblichen Überreste von 282 Menschen entwendet wurden und erst drei Jahre später wieder gefunden werden konnten. Diese entwendeten Leichname wurden drei Jahre später unter dem Fußgängerweg an einer Autobahn, wie sie sehen, nummeriert begraben. Dabei fand die Familie von Burhan Altıntaş, der vor 27 Jahren in Gewahrsam verschwunden war, mithilfe eines DNA-Tests die Knochen ihres Kindes. 27 Jahre später! Seine Mutter Sabiha Altıntaş, die den Leichnam ihres Sohnes, der unter einem Gehweg in Kilyos begraben worden war, nach 27 Jahren in einem Plastikbehälter entgegennahm, sagte: „Als ich den Behälter sah, in dem die Knochen meines Sohnes waren, hörte mein Herz fast auf zu klopfen. Ich fragte mich, was für Muslime diese Leute sind. Als sie den Aufbewahrungsbehälter auf meinen Schoß legten, glaubte ich zuerst nicht, dass mein Sohn darin war. Dann wollte ich den Behälter öffnen und mir seine Knochen angucken, aber die Leute, die neben mir waren, erlaubten mir es nicht. Später, weil ich darauf pochte, habe ich es geöffnet und hineingeschaut. Ich habe Jahre lang mit der Sehnsucht gelebt, dass mein Sohn eines Tages kommen und mich umarmen würde, aber ich umarmte die Knochen, die in einem Behälter auf meinen Schoß gelegt wurden.“ 

pastedGraphic_35.png
pastedGraphic_36.png
pastedGraphic_37.png

Sie sehen eine kurdische Studentin, die von türkischen Rassist*innen geschlagen und gefoltert und in deren Stirn mit einem Messer „TC“, die Anfangsbuchstaben der Türkischen Republik, eingeritzt wurden. 

pastedGraphic_38.png
pastedGraphic_39.png

„Das hier ist weder Syrien noch Palästina, sondern Cizre. Das Kind, das heute von der Polizei ermordet wurde. Wir bitten euch darum, dass alle dieses Bild teilen, damit die Welt sieht, wer Kindermörder ist.“ 

pastedGraphic_40.png

„Vor neunzehn Jahren war er Soldat in Yüksekova.
Sie haben ein Mädchen erschossen, das ihre Schafe weiden ließ.
Sie haben an ein 13-jähriges Kind Dynamit gebunden und ließen das Kind explodieren.“  

Über die Tötung von Kindern und anderen Menschen, die nicht für das Regime verantwortlich sind, wurde ziemlich viel gesagt. Als Uğur Kaymaz zusammen mit seinem Vater ermordet wurde, zählte man 13 Kugeln in seinem Körper. Er war 12 Jahre alt. 

„In Silopi tötete ein gepanzertes Polizeifahrzeug zwei Kinder, indem es sie im Schlaf überfuhr.“ 

pastedGraphic_41.png

 Dieses Photo stammt aus dem Jahr 2015 und dieser Junge wurde so ermordet, wie sie es sehen, und hat nichts anderes als eine Plastikflasche in der Hand. Dies ist nur einer der Polizeimorde, die vor den Augen aller begangen wurden.

pastedGraphic_42.png

„ICH SPÜRE KEIN BEDAUERN

Haşim Özçelik aus Malatya, einer der Soldaten, die am Dersim-Massaker teilnahmen, sagte: ‚Die Zahl der Toten weiß ich nicht. Es sind viele Menschen gestorben. Wir sind ohnehin zum Töten dorthin gegangen. Warum sollte ich es bedauern?‘ 

DER FLUSS IST BLUTROT GEFLOSSEN 

Haydar Yıldırım aus Yozgat erzählte in Tränen vom Massaker: ‚Es wurde eine sehr bittere Tat begangen. 500-600 Personen wurden mit Maschinengewehren erschossen. Die Toten wurden in den Fluss Haçik geworfen. Der ganze Fluss ist blutrot geflossen.‘ 

WIR ERHIELTEN EINEN GIFTGASKURS 

Am Gespräch mit M. Ali Doğaner, der beim Massaker Nachrichtendienstbeauftragter gewesen war, nahmen auch MIT-Mitarbeiter teil. Doğaner erzählte, dass sie in Dersim einen Monat lang eine Giftgasausbildung erhielten.  

WIR GINGEN DAHIN, UM DIE EITERBEULE AUSZUDRÜCKEN 

Das erste, woran sich Mehmet Alı Çiftçi aus Erzurum erinnert, sind die Worte seines Hauptmanns vor dem Massaker: Unter uns gibt es eine Eiterbeule. Das sind alle Rotköpfe [Anmerkung: Synonym für Alevit*innen]. Wir gehen dahin, um die Eiterbeule zu drücken.“  

Diese Photos sind vom Massaker, das unter dem Namen ‚die Kellergeschosse von Cizre‘ bekannt ist, auf das ich unten eingehen werde. 

pastedGraphic_43.png

Die Gebiete, in denen Kurd*innen leben, wurden während der Ausgangssperren, die vom Juli 2015 bis Mitte 2016 dauerten, einer großen Barbarei ausgesetzt. Dieses Massaker an Kurd*innen, das „In die Knie zwingen“ genannt wurde und von dem bekannt wurde, dass es am 24. September 2014 vorbereitet worden war, das Angriffsprojekt, das aus verschieden Teilen, wie die Zerstörung von Städten und der historisch – kulturellen Struktur bestand, wurde am 24. Juli 2015 im Bezirk Sur von Diyarbakır (Amed) mit über zehntausend speziell ausgebildeten Soldaten, Polizisten und islamistisch- faschistischen Konterguerillabanden eingeleitet, wobei sechs Generäle und sechsunddreißig Oberste die Kommandoebene bildeten. Diese faschistische Aggression, sollte durch Aussagen wie, dass dort „Graben ausgegraben“ seien und „sie haben zwei unserer Polizist*innen hinterhältig ermordet“ gerechtfertigt werden. Es wurde unter Begleitung von Aussagen des faschistischen Chefs Erdoğan wie „Dieser Staat ist der, den wir aufgebaut haben und gedeihen lassen wollen. An diesem Punkt angekommen, werdet ihr entweder gehorchen oder eure Köpfe verlieren“ und „Zerstört alle Gebäude bis auf historische Werke“ und von Devlet Bahçeli, dem Vorsitzenden der MHP, Erdoğans wichtigster Partnerin in diesem Prozess und lang gediente zivilfaschistische Kraft, mit Aussagen wie „Es soll kein Stein auf Stein, kein Kopf auf Schultern bleiben“ brutal fortgesetzt. 

Es handelte sich um ein  barbarisches Regime und Praktiken, dass das Verteidigungsministerium ein neues Gesetz entwarf, um die strafrechtlichen Gesetze, die – wenn auch nur auf dem Papier – die Verurteilung von Angehörigen des Staates wegen Misshandlung und Folter erlaubten, so zu ändern, dass die Täter*innen ermutigt werden. Gemäß dem neuen Gesetz können Soldaten in Fällen von Missbrauch von ihrem Waffengebrauchsrecht, Folter und Misshandlung nur mit Erlaubnis des Ministerpräsidenten und des Verteidigungsministers angeklagt werden. Es handelt sich um eine derart faschistische Regierung, dass sie selbst nicht angewandte Gesetze, die nur auf dem Papier existieren, nicht tolerieren kann. Die Haltung der Vertreter*innen der Bundesrepublik Deutschland war in dieser Zeit eine Schande. Bundesinnenminister Thomas de Maiziere stellte sich nach dem IS-Anschlag auf deutsche Tourist*innen am Sultanahmet Platz in Istanbul gemeinsam mit seinen türkischen Kolleg*innen vor die Kameras und sagte: „Wenn die Terroristen diesen Anschlag verübten, um die Zusammenarbeit zwischen den Partnern zum Erliegen zu bringen, passiert nun das Gegenteil. Die Türkei und Deutschland rücken noch enger zusammen.“ In dem Land, von dem er sagte, man rücke mit ihm noch enger zusammen, ermordete der türkische Staat Kurd*innen mit brutalen Methoden. In den 1990er Jahren waren über dreitausend Dörfer niedergebrannt und entvölkert worden und nun wurden Städte niedergebrannt und entvölkert. Wir können sagen, dass das wichtigste Ziel des umfangreichen Angriffskonzepts darin besteht, dass die kurdische Bevölkerung in der Region mit Massakern und Zerstörungen zur Migration gezwungen und dadurch die regionale demographische Struktur verändert wird. Die Angst vor dem vergleichsweise hohen Bevölkerungswachstum in den kurdischen Gebieten und die Maßnahmen, die dagegen ergriffen werden sollten, fanden im Bericht des Nationalen Sicherheitsrates vom 24. November 1996 Erwähnung: „In den Gebieten, in denen Kurd*innen wohnen, liegt ein höheres Bevölkerungswachstum vor als in anderen Gebieten. Die kurdische Bevölkerung weist die Tendenz auf, im Jahre 2025 fünfzig Prozent der Gesamtbevölkerung zu übersteigen. Wenn man dies damit im Zusammenhang denkt, dass der kurdische Nationalismus lebendig gehalten wird, kann dies in Hinblick auf die Sitzanteile im Parlament zu Problemen führen. Eine Bevölkerungsplanung in der Region ist unumgänglich.“ 

Dieser Angriffs- und Zerstörungsprozess wurde mit dem Mehter-Marsch, den das Osmanische Reich auf dem Weg zu Krieg und Plünderung benutzte, und dem Schlachten von Opfern, das wiederum ein Kriegsritual darstellt, eingeleitet. Wenn die Operationen beendet waren, wurde mit dem „Dankgebet“, einem weiteren Kriegsritual, der „Sieg“ gefeiert. Diese Angriffe, die von rassistischen und religiösen Ritualen begleitet wurden, wurden im türkischen Parlament von verschiedenen Parlamentarier*innen mehrfach thematisiert. Als Sezgin Tanrıkulu, der stellvertretende Vorsitzende der CHP, der Republikanischen Volkspartei, in seiner Rede vom Dezember 2015 das Uludere- Massaker, bei dem 34 kurdische Bäuer*innen, von denen die meisten Kinder waren, durch Kampfflugzeuge ermordet wurden, wofür Erdoğan dem Generalstabschef für die gelungene Aktion gratulierte, kommentierte, ging er mit folgenden Worten auf die Angriffe ein: „Bei den Ermittlungen zu Roboski/Uludere möchte man, dass alle Verantwortlichen für dieses Verbrechen gegen die Menschlichkeit straflos davonkommen. Heute sehen wir, wie diese Mentalität, die die Aufklärung des Roboski-Massakers verhinderte, sich in der ganzen Region widerspiegelt. Unter dem Namen der Terrorismusbekämpfung werden die Grundrechte der Bürger*innen erneut verletzt. Seit dem 16. August 2015 haben 124 Zivilist*innen ihr Leben verloren. 24 von ihnen waren Kinder, 19 Frauen. 15 von diesen 124 Menschen wurden in ihren Wohnungen ermordet. Es wurde keine einzige Ermittlung gegen diese Hinrichtungen eingeleitet. Im Südosten werden die Werte, auf die sich die ganze Menschheit geeinigt hat, in niederträchtiger Art und Weise mit den Füßen getreten. Die 3 Monate alte Miray Ince und die 80 Jahre alte Ramazan Ince aus Cizre stellen in dieser Hinsicht Symbole dar. Ich sage zur AKP und zu denen, die diese Räson aktiviert haben: Solche Praktiken führen zu sehr tiefen Wunden und haben einen sehr hohen Preis für alle.“ 

Der HDP-Abgeordnete Osman Baydemir sagte: „Der Leichnam eines Säuglings wurde auf den eines Erwachsenen gelegt. Die Leichen, die in das Essenslager des Krankenhauses gelegt wurden, haben zu stinken angefangen. Damit diese Leichname begraben werden können, muss die Ausgangssperre sofort aufgehoben werden.“ 

Das faschistisch-(massen-)mörderische Wesen des türkischen Staates und die Ereignisse in der Region werden dadurch symbolisiert, dass Menschen, die sich aufgrund der Staatsgewalt schließlich in Kellergeschossen versteckt hatten, dort verbrannt und zerstückelt wurden. Die Initiativen, bei der Europäischen Union und dem Europäischen Gerichtshof eine Rettung von 176 Kindern, Frauen und Männern zu bewirken, führten auch zu keinem Ergebnis. Für diejenigen, die gemeinsam mit Erdoğan auf Palastsesseln sitzend den Bosporus genießen, war die Ermordung, Verbrennung und Zerstückelung von 176 Menschen nicht von Bedeutung. Denn die Menschen dort hatten nichts, was sie den Kapitalkräften in der Verhandlung hätten anbieten können. 

Cizre war eine der Städte, die im Rahmen des besagten Plans intensiven Angriffen ausgesetzt wurden. Wir sprechen hier von einer Stadt, die von tausenden spezial ausgebildeten Soldaten und Polizist*innen und den islamistischen Zivilfaschist*innen namens Esedullah Teams mit Panzern und Kanonen angegriffen wurde und in deren Kellergeschossen 176 Menschen verbrannt und zerstückelt wurden. In dieser Stadt wurden Hunderte von Menschen mit brutalsten Methoden umgebracht, die Leichenteile aus Müllhalden zusammengesammelt. Es war eine so große Barbarei, dass Teile desselben Leichnams in den Leichenschauhäusern von zwei verschiedenen Städten gefunden wurden. 

Eine der Mütter, die nach der Aufhebung der Ausgangssperre zu den Behörden gingen, um ihre Kinder zu suchen bzw. ihre Leichen abzuholen, schilderte mit folgenden Worten, was sie dort sah: „Als sein Vater dahin ging, um ihn zu identifizieren, konnte er ihn nicht erkennen. Ich ging ins Cizre-Staatskrankenhaus. Dort zeigten sie mir sechs Leichen. Manchen waren die Augen ausgestochen, anderen war der Kopf zerschmettert worden. Als der Polizist mich fragte: ‚Ist das hier dein Kind?‘, sagte ich zu ihm: ‚Ihr habt die Leichen verbrannt, wie soll ich ihn erkennen?‘ Alle Leichen, die man uns zeigte, waren in einem Zustand, dass man sie nicht mehr erkennen konnte.“ Die Partnerin des 51-jährigen Mahmut Duymak, der in einem der Kellergeschosse ermordet worden war, erzählte, dass man ihr eine verbrannte Leiche zu geben versuchte, von der nur noch die Knochen übrig waren, als sie den Leichnam ihres Partners abholen wollte: „Sie haben meinen Mann ermordet. Heute geben sie mir 5 Kilo Knochen und sagen: Nimm, das ist dein Partner. Sie haben meinen Partner brutal ermordet und verbrannt. Von ihm ist nichts mehr übrig geblieben.“ 

Nachdem die Operationen in Cizre beendet wurden und die Ausgangssperre aufgehoben wurde, gingen Vertreter*innen der Menschenrechtsstiftung der Türkei (TIHV) und des Menschenrechtsvereins (IHD) in die besagten Kellergeschosse und verfassten einen Voruntersuchungsbericht. Die Teile des von der TIHV-Vorsitzenden und Expertin für Gerichtsmedizin Prof. Dr. Şebnem Korur Fincancı verfassten Voruntersuchungsberichts, die in den Medien erschienen, beschrieben die Barbarei: „Der erste Keller – da es darin dunkel war, ging man mithilfe der Handylichter hinein. Direkt an der Mauer links vom Eingang wurden zahlreiche verbrannte Knochenstücke gesichtet. Unter den Knochenstücken konnte ein Unterkieferknochen in Hinblick auf seine Größe beurteilt werden. Da man für die erste Observation gekommen war und wir deswegen keine Kameras mit hoher Auflösung dabei hatten, wurde der Unterkieferknochen mit einer Handykamera photographiert. Das Photo wurde gemacht, ohne dass die Position des Unterkieferknochens und des direkt daneben liegenden Brillengestells geändert wurden. Selbst diese Beurteilung mit beschränkten Mitteln führt zu der Annahme, dass der entdeckte Unterkiefer keiner erwachsenen Person, sondern einem Kind zwischen 10 und 12 Jahren gehören muss. In diesem Teil des Kellers wurden verbrannte Überreste zahlreicher Schädel und anderer Knochen gesichtet. Eine weitere auffällige Sache war, dass ein paar Meter entfernt von diesen verbrannten Knochen im ersten Eingangsbereich Wolle in nicht verbranntem Zustand vorhanden war. Da es nicht zu erwarten ist, dass in einer Umgebung, in der Knochen so verbrennen, dass sie stellenweise verkohlt sind, Wolle unverbrannt bleiben kann, entsteht der Verdacht, dass nicht ein bombenartiger Sprengstoff eingesetzt wurde, der einen allgemeinen Brand auslösen würde, sondern dass die Knochen in einem Teil des Kellers in einer begrenzten Feueratmosphäre blieben, die hohe Temperaturen erzeugte. Damit dieser Verdacht aufgeklärt werden kann, bedarf es einer umfangreichen Tatortuntersuchung und einer Analyse der Brandflächen. … Der zweite Keller – In dem Bericht, in dem beschrieben wird, dass der zweite Keller zwischen anderen eingestürzten Gebäuden sei, von denen nur noch Schutthaufen übrig waren, wurde mitgeteilt, dass die Personen, mit denen Gespräche geführt wurden, sagten, der von dieser Fläche geräumte Schutt sei am Tigris-Ufer entladen worden und im Schutt befänden sich menschliche Körperteile, aber Menschen, die in jene Gegend gingen, habe man nicht in die Nähe gelassen. Photos, auf denen menschliche Körper im Schutt zu sehen waren, wurden bereits vom HDP-Abgeordneten Faysal Sarıyıldız veröffentlicht. 

Der dritte Keller – Da das Gebäude, welches der dritte Keller genannt wird, am Eingang so zerstört worden war, dass das Eintreten nicht sicher wäre, ist es uns nicht gelungen festzustellen, ob es in diesem Keller Leichen gab, oder andere Untersuchungen durchzuführen.“ 

Prof. Dr. Fincancı, die nach den Untersuchungen vor dem ersten Keller eine Presseerklärung machte, rief in Erinnerung, dass sie in der Vergangenheit die Kriegsverbrechen in Bosnien verfolgte, sagte: „Was wir in Cizre sahen, ging weit über Bosnien hinaus. In Bosnien und an anderen Orten der Welt starben Kämpfende, aber alle Menschen, die in den Kellergeschossen ermordet wurden, waren Zivilist*innen. In Bosnien wurden Massengräber von Erwachsenen und menschliche Knochenreste gefunden, aber in Cizre reden wir von verbrannten Kindern. Der Staat setzte in diesen Kellergeschossen intensiv Brand- und Sprengstoffe ein. Hier sprechen wir von einem Verbrechen, das vom Staat begangen wurde. Da kein anderer Staat in diesem Land Panzer und Kanonen einsetzt, wurde es vom [türkischen] Staat durchgeführt.“ 

Nach den ersten Untersuchungen wurde mitgeteilt, die Gesamtzahl der Leichen belaufe sich auf 178; aber diese Zahl wurde später korrigiert. Es sollte erst später herauskommen, was zu dieser Unklarheit geführt hatte: Stücke zerstückelter Leichen wurden auf verschiedene Leichenschauhäuser verteilt! Die Leichen waren dermaßen zerstückelt und in so hohen Temperaturen verbrannt worden, dass die Identifizierung erst durch DNA- Abgleiche möglich wurde. 

Şerife Duymak, Partnerin des im ‚ersten Keller der Barbarei‘ aufgefundenen Mahmut Duymak, teilte unserer Delegation in Hinblick auf die Leichen folgendes: ‚Meiner Tochter wurde für die DNA-Untersuchung Blut abgenommen. Danach sagten sie, die Leiche meines Partners sei im Leichenschauhaus in Silopi, in der Nähe des Grenzübergangs Habur. Von dem Leichnam waren weder Knochen noch Fleisch übrig geblieben. Sie gaben uns in einem Müllsack ein paar pechschwarze Knochen. Mein Partner war so groß wie ein Berg; sie gaben uns 5 Kilo verbrannte Knochen. Als wir die Leiche in einem Sarg hierher brachten, haben sie an 2-3 Kontrollpunkten – die Familien saßen hinten im Bestattungsfahrzeug – vor unseren Augen die Knochen geschüttelt, um zu sehen, ob es irgendetwas im Sack gab. Hey hewar e jixwede! (Hilf mir Gott) Jedes Mal schüttelten sie den Sarg. An jedem Kontrollpunkt hat man uns jeweils ca. eine halbe Stunde warten lassen. Obwohl wir in Begleitung eines gepanzerten Fahrzeugs kamen und der Sarg bereits kontrolliert worden war, schüttelten die Polizist*innen auch am letzten Kontrollpunkt die Knochen und steckten ihre Hände in den Sarg. Neben den Leichen spielten sie den Mehter-Marsch und das Lied ‚Ölürüm Türkiyem‘ (Ich sterbe, meine Türkei). Sie heulten wie Wölfe. An der Einfahrt von Cizre sagten die Polizist*innen, dass jeder Leichnam von einer Person begleitet werden dürfe. Da die Wohnung des Sohnes meines Onkels in der Nähe des Bezirkszentrums war, beschlossen wir, dass er mit der Leiche fahren sollte. Den Leichnam meines Partners brachten sie mit dem Mehter-Marsch in den Friedhof. Als der Leichnam weg war, haben sie uns frei gelassen. Danach gingen wir in die Wohnung meiner Tochter. Ich konnte nicht ein Mal an der Beerdigung meines Partners teilnehmen. Sie haben uns nicht ein Mal erlaubt, mit dem Bestattungswagen hinzufahren. Wir wurden übelst beleidigt. Ist es nicht eine Beleidigung, dass sie mit ihren behandschuhten Händen im Sarg herumwühlten? Das ist ohnehin die größte Beleidigung. Ist es nicht eine Beleidigung, dass man daran gehindert wird, mit dem Leichnam in den Friedhof zu fahren? Ist es nicht eine Beleidigung, dass man daran gehindert wird, Beileidsbekundungen anzunehmen? Was haben diese Menschen getan? Ist es ein Verbrechen, Selbstverwaltung zu fordern? Es ist bei Gott kein Verbrechen. Wir haben Schwierigkeiten, es zu verstehen. Sie sagten, sie würden reden und diese Sache politisch lösen. Sie ließen es aber nicht zu. 

Wegen alledem, was wir erlebt haben, kriegen wir keinen Bissen mehr herunter. Wir aßen am gleichen Tisch mit den Schüler*innen und Student*innen, die hierher gekommen waren, und schliefen nebeneinander. Was haben diese Menschen getan? Sie waren 15, 18, 19 Jahre alt. Es ist eine wirklich schwere Situation. Man möchte nicht ein Mal sprechen. Bei Gott bin ich in den Keller gegangen und ich habe es mir angeschaut. Die Menschen, die dorthin kamen, waren schockiert. 

Was haben sie gelöst, indem sie so viele junge Menschen getötet haben? Ist die Kurd*innenfrage gelöst? Besteht Kurdistan nur aus Cizre?‘ 

Ahmet İşçi, der Vater des im ‚ersten Keller der Barbarei‘ getöteten Ahmet İşçi, erklärte unserer Delegation folgendes: ‚Wir fuhren nach Mardin ins Krankenhaus, um Blut abzugeben. Eine Woche später wurde seine Leiche durch DNA-Abgleich identifiziert. Wir konnten seine Leiche nicht anschauen, sie war völlig verbrannt.‘ 

Feleknaz Bayar, die Mutter des im ‚ersten Keller der Barbarei‘ getöteten Nusreddin Bayar, sagte: „Nusreddin hatten sie in so einen Zustand versetzt, dass ich ihn nicht erkennen konnte. Obwohl weder irgendeine Religion noch irgendeine Mentalität solch eine barbarische Ermordung von Menschen toleriert, wurde diese Barbarei von denen begangen, die sich einbilden, Muslim*innen zu sein. Wie können sie sie nach der Ermordung verbrennen und wie kann man tote Körper zerstückeln? Was ist das für ein Islam? Nirgends hat sich so etwas ereignet. Niemand kann akzeptieren, dass Menschen verbrannt werden. Ist es zu akzeptieren, dass Menschen Körper von ihren Verwandten nicht erkennen können? Es gab noch nie Gräueltaten, die schlimmer waren als die dieses Staates. Wir verfluchen die Gräueltaten dieses Staates. Wir klagen ihn an.‘ 

Augenzeugenbericht des Salih Erbek, der Vater des im ‚ersten Keller der Barbarei‘ ermordeten Muharrem Erbek: „Wir fuhren nach Silopi. Zuerst erstellten die Polizist*innen eine Liste. Unsere Namen fügten sie der Liste hinzu. Sie brachten uns in einen Kühlraum. Danach zeigten sie uns die Leichen. Fünfzig Leichen waren aufeinander gestapelt. Es gab zerstückelte, verbrannte Leichen, es gab auch solche, die 5 Kilo wogen. Muharrem war in identifizierbarem Zustand. Er war von zahlreichen Kugeln getroffen. Es gab vielleicht über hundert Einschusslöcher.‘ 

Mehmet Gün, der Vater des im ‚zweiten Keller der Barbarei‘ getöteten Abdullah Gün, erklärte unserer Delegation: ‚Nach der Ausgangssperre ging ich in den zweiten Keller. Es roch immer noch nach Benzin. Sie haben sie alle verbrannt. Für die Identifizierung sind wir nach Şırnak gefahren. Im Leichenschauhaus des Krankenhauses schauten wir uns zwölf Leichen an. Drei davon waren gar nicht zu erkennen. Für die Identifizierung sind wir auch nach Mardin gefahren. Ich konnte mir nur eine Leiche anschauen. Die anderen konnte ich mir nicht anschauen. Eine schaute sich seine Mutter an, aber sie hielt es nicht aus. Als sie hinaus kam, ist sie in Ohnmacht gefallen. Ein anderer Sohn von mir ist für die Identifizierung nach Urfa gefahren. Wir konnten seine Leiche immer noch nicht identifizieren. Drei Mal sind wir nach Mardin, Silopi gefahren. Es führte zu keinem Ergebnis. Wir vermissen es, richtig zu schlafen. Manchmal liegen wir bis in die Morgenstunden im Bett, ohne uns zu bewegen, in Gedanken verloren. Wenn wir zumindest 5 Kilo Knochen von ihm gefunden hätten, wären wir trotzdem erleichtert.Bis die Knochen auftauchen, können wir keine Ruhe haben. 

… Auch der Krieg hat Regeln und die Feindschaft eine Ehre. Auch wenn wir Feind*innen sein sollten, dann bringen wir uns gegenseitig um. Warum sollte ich jemanden verbrennen? Warum soll ich dich zerquetschen? Selbst wenn ich heute wüsste, wer meinen Sohn umgebracht hat, könnte ich trotz dieser Barbarei, die wir erlebt haben, obwohl ich innerlich verbrenne, höchstens auf den Täter zwei Kugeln feuern. Wie kann ich einen Menschen verbrennen? Meine Ehre und meine Menschlichkeit würden es nicht zulassen. Hat Mehmet Tunç aus dem ersten Keller nicht gesagt, dass sie 28 Verwundete hatten, dass sie Kranke hatten? Manche von ihnen waren krank, andere hungrig und durstig. Manche von ihnen waren Journalist*innen. Andere waren Student*innen, die von außerhalb nach Cizre gekommen waren und dort feststeckten. Aber sie haben sie alle verbrannt. 

Der Ministerpräsident und der Staatspräsident sagten: ‚Vielleicht gibt es in jenen Kellergeschossen niemanden.‘ Es ist eine Schande, es ist eine Sünde. Woher hat man diese Verbrannten und die vier Kilo Menschenknochen herausgeholt? Mahmut Duymaks Partnerin haben sie 5 Kilo Knochen gegeben. Weder fürchten sie Gott, noch schämen sie sich vor Menschen. Sagen wir mal, du hast mit 10 Kugeln getötet – was ist es, mit Benzin zu übergießen und zu verbrennen? Mit Sicherheit haben sie auch chemische Waffen eingesetzt. Mit Sicherheit wurden Menschen mit chemischen Mitteln narkotisiert und so getötet. 

Leider haben wir nicht mehr die Hoffnung, mit dem türkischen Volk zusammenzuleben. Herr Öcalan rief die Türkei mehrmals zum Gespräch auf und sagte: ‚Macht nicht das Gleiche wie Syrien und Irak. Ihr seht, in was für einem Zustand Syrien und Irak sind. Kommt zur Geschwisterlichkeit, kommt zum Frieden.‘ Aber sie haben nicht auf ihn gehört. Was wollten wir mehr als die Araber*innen, Türk*innen und Perser*innen? Wir wollen, dass unsere Sprache und unsere Kultur frei sind genauso wie ihre.‘ 

Augenzeugenbericht von Gule Külte, der Mutter des im ‚zweiten Keller der Barbarei‘ ermordeten Hakkı Külte: ‚Als ich zur Identifizierung hinging, waren die Körper von den meisten von ihnen völlig zerstückelt. Frauen und Männer waren alle nackt in Säcke gestopft worden. Ihre Hautfarben hatten sich verändert, sie waren pechschwarz geworden. Nur ihre Häute waren übrig geblieben. Körper hatten keine Unterschenkel mehr. Ihre Leichen waren verbrannt. Wenn man ihre Haare berührte, blieben sie an den Händen von einem kleben. Wenn man die Leichen berührte, blieb ihre Haut an den Händen von einem kleben. Sie waren alle verbrannt. Bei Gott wurden ihre Leichen nicht gewaschen. Man hat sie nur in ein Leichentuch eingewickelt. Die Leichen wurden nicht gewaschen. 

Um meinen Sohn identifizieren zu können, habe ich mir ungefähr hundert Leichen angeschaut. Ich habe mir sie alle einzeln angeschaut. Stellen Sie sich vor, ihr Kind, dem Sie sechzehn Jahre Ihres Lebens gewidmet haben, von dem Sie jeden Zentimeter dessen Körpers wie ihre Westentasche kennen, Ihr Kind ist in so einem Zustand, dass Sie es nicht erkennen. Mithilfe eines DNA-Tests konnte erst später festgestellt werden, welche Leiche meinem Sohn gehörte. Ich konnte sein Gesicht nicht erkennen. Man konnte sein Gesicht nicht erkennen. Er hatte keine Augen, er hatte keine Ohren, seine Haare waren ausgefallen, er hatte keine Kopfhaut, er hatte kein Gesicht. Alles war verbrannt. Sie hatten ihn mit Kanonen und Waffen zerstückelt. Von seinen Körperteilen war nichts übrig geblieben. Wenn ich keinen DNA-Test hätte durchführen lassen, hätte ich meinen Sohn nicht erkennen können. 

Mein Sohn sagte zu mir: ‚Mama, wenn du die Leichen siehst, wirst du verrückt, schau sie dir nicht an.‘ ‚Nein,‘ sagte ich, ‚mein Sohn ist auch so wie die ganzen Jugendlichen, die ermordet wurden. Ich werde sie mir anschauen.‘ Ich hatte keine Angst, weil sie unsere Kinder waren. Ich ging in den Kühlraum in der Nähe des Grenzübergangs Habur in Silopi, wo die Leichen waren. 

Die Leichen waren alle auf dem Boden. Sie waren in alle Richtungen geworfen worden. Stellen Sie sich drei Räume als einen einzelnen Raum vor und darin waren eine Menge Leichen. Sie hatten Zelte mit Leichen voll gestopft. Sie waren alle auf den Boden geworfen. Wegen des Gestanks konnte man sich den Leichen nicht nähern. 

Nachdem die Ausgangssperren aufgehoben wurden, nahmen wir seinen Leichnam entgegen. Als es Abend wurde, gaben sie uns den Leichnam. Wir, als Familie, sagten zu den Polizist*innen: ‚Wir wollen den Leichnam nicht am Abend, sondern am Tag abholen.‘ Die Polizist*innen sagten uns: ‚Holt ihn ab oder nicht, wenn nicht, dann begraben wir ihn.‘ Der Staat gab die Leichname nachts, damit das Volk sich nicht an den Begräbnissen beteiligen konnte. Obwohl der Grenzübergang Habur von Silopi 15 Kilometer entfernt ist, haben Soldaten und Polizist*innen den Bestattungswagen an fast vierzig Punkten gehalten und kontrolliert. Da die Ausgangssperre in Cizre am Abend noch andauerte, mussten wir ihn in Silopi begraben. Seiner älteren Schwester und seinen Tanten haben sie nicht erlaubt, aus Cizre zu seinem Begräbnis zu kommen.‘ 

Der Augenzeugenbericht des Dildar Akdoğan, des Vaters des im ‚zweiten Keller der Barbarei‘ ermordeten Tahir Akdoğan: ‚Nachdem wir hörten, dass er ermordet worden war, indem man ihn verbrannt hatte, fuhr seine Mutter nach Silopi, damit man ihr für den DNA- Bericht Blut abnahm. Zunächst sollen sie ihr ein Photo gezeigt haben. Seine Mutter erkannte ihn auf dem Photo. Er war nicht verbrannt. Sein Gesicht war unversehrt. Aber an seinem Körper gab es vielleicht hundert Einschusslöcher. Seine Hände und Füße hatten sie zerstückelt. Auf seinen Kopf hatten sie eine Bombe geworfen. Seine Füße hatten sie zerstückelt, seine Hände hatten sie zerstückelt. An seiner Brust gab es vielleicht hundert Einschusslöcher. Nur sein Gesicht war unversehrt geblieben. Wir erkannten ihn an seinem Gesicht. Als wir ins Krankenhaus fuhren, haben wir ohnehin die Barbarei gesehen. Es gab drei Lagerräume mit 80 Leichen. Wegen des Leichengestanks konnten wir nicht ein Mal in die Nähe gehen. Wir haben uns Masken aufgesetzt und identifizierten seine Leiche. Sie hatten die Leichen in Säcke gestopft und aufeinander geworfen, so wie Großhändler Kartoffelsäcke aufeinander stapeln. Manche waren verbrannt, manche bestanden nur noch aus Knochen, von manchen waren nur Teile da. Sie hatten also eine sehr große Barbarei begangen. 

Wir haben den Leichnam in Cizre begraben. Die Polizist*innen sagten: ‚Nur drei Personen aus der Familie dürfen am Begräbnis teilnehmen.‘ Diejenigen, die diese Barbarei begangen hatten, erlaubten uns danach nicht ein Mal, eine Begräbniszeremonie zu machen. Was sollen wir sagen? Es gibt nichts zu sagen. 

Wir glauben, dass diejenigen, die diese Gräueltat, diese Barbarei begingen, eines Tages vor Gericht gestellt werden. Denn die Barbarei, die sie begingen, hat bisher kein anderer Staat begangen. Sie werden mit Sicherheit bestraft, das glauben wir. Sie haben eine große Barbarei begangen. Sie haben 300-400 Menschen ermordet, von denen alle 15-16 Jahre alte unschuldige Kinder waren. 

Der Staat mag sich für erfolgreich halten. Wenn der Staat mit 25 Tausend Soldaten, Panzern und Kanonen in einen kleinen Landkreis mit 100 Tausend Einwohner*innen einmarschiert, ist es kein Erfolg. Auch wenn der Staat sich für erfolgreich hält, auch wenn er so viele Menschen von uns tötet, ist es kein Erfolg.‘ 

Die Schilderungen des Abdullah Küçük, des Vaters des im ‚zweiten Keller der Barbarei‘ ermordeten Adil Küçük und des im ‚dritten Keller der Barbarei‘ ermordeten Agit Küçük: ‚Die Leichen von Adil und Agit tauchten im Kühlraum in der Nähe des Grenzübergangs Habur bei Silopi auf. Von Adils Gesicht waren nur noch sein Mund und seine Nase übrig geblieben. Aber wir erkannten ihn. Denn einer seiner Finger hatte eine Behinderung. In seinen beiden Augen, in seinem Kopf und an seinem Herzen waren Einschusslöcher. Das war kein Zufall. Das zeigt eindeutig, dass er hingerichtet worden war. Aber Agits Leiche war in nicht-erkennbarem Zustand. Sie hatten ihn verbrannt, er war völlig verbrannt. Man konnte ihn an keinem Teil seines Körpers erkennen. Wir erkannten ihn also am Blut und an seiner Körpergröße. Also sie waren beide größer als ich. Ansonsten gab es nichts, was man hätte erkennen können. Sie hatten ihn völlig verbrannt. Ich berührte seinen Fuß, er hatte keinen Fuß mehr. Ich berührte seinen Kopf, sein Kopf war so klein. Ich hielt es nicht mehr aus. Ich stand kurz davor zusammenzubrechen. Gott hielt mich aufrecht. Diese Barbarei, die man uns erleben ließ, werde ich niemals vergessen. Stellen Sie sich vor, zwei Kinder von Ihnen sind ermordet worden und man sagt, vier Personen aus der Familie dürfen am Begräbnis teilnehmen. Das ist die größte aller Unterdrückungen.‘ 

Die Schilderungen der Esmer Tunç, der Mutter des im ‚zweiten Keller der Barbarei‘ ermordeten Mehmet Tunç, des Co-Vorsitzenden des Volksrats Cizre, und des im ‚dritten Keller der Barbarei‘ ermordeten Orhan Tunç: ‚Sie hatten Mehmet gesehen. Er war ein Junge so groß wie ein Berg. Glauben Sie mir, als ich seinen Leichnam abholen ging, gab es nichts außer zehn Kilo Fleisch. Ich ging dahin, um ihn zu identifizieren. Die Säcke, in denen die Leichen waren, waren wie Kohlensäcke. Mehmet war in einer Schublade. Er war völlig verbrannt. Ich hätte Mehmet an seinen Fingern erkennen sollen. Denn er bewegte ständig seine Finger, wenn er sprach. Wir konnten ihn nur durch den Blutabgleich identifizieren.‘ 

Die Schilderungen der Kumru Akyol, der Mutter der im ‚zweiten Keller der Barbarei‘ ermordeten Meryem Akyol: Meryems Leichnam holten wir von Urfa ab. Sie befand sich nicht unter den Photos, die man uns zeigte. Wir konnten sie durch einen DNA-Test ausfindig machen. Meryem ging bis zur achten Klasse zur Schule. Sie war ein ruhiges, gutes Mädchen. Bis Ende meines Lebens werde ich diese Kinder nicht vergessen und für sie kämpfen.‘

pastedGraphic_44.png

DER IS TÖTET, FOLTERT ABER NICHT EINMAL!

Stellvertretender Ministerpräsident Emrullah Işler:

DER ISLAMISCHE STAAT, WIE GUT, DASS ES DICH GIBT. MÖGE GOTT DIR VIELE KUGELN SCHENKEN.

AKP Parteiratsmitglied Selim Yağmur
DER IS IST NICHT TERRORISTISCH, SONDERN EINE GRUPPE WÜTENDER JUNGER MENSCHEN

Ahmet Davutoğlu, Ministerpräsident 

Wenn dies die HDP oder CHP gesagt hätten, wären sie noch heute gelyncht worden. Die AKP hat es gesagt und Erdoğan wird heute applaudiert.

TEILE ES, DAMIT JEDER ES SIEHT.

pastedGraphic_45.png

MIT Unterstaatssekretär H. Fidan empfing den Organisator der Massaker an den Bahnhöfen von Diyarbakır, Suruç und Ankara im Anadolu Hotel. 

pastedGraphic_46.png

IS-Bandenmitglied  Mahmut Kemal (MIT-Verantwortlicher)   Ebu Mihemed (IS-Bandenmitglied) 

     Fehim Isa (Bandenverantwortlicher)

pastedGraphic_47.png
  • Der Selbstmordanschlag des IS-Mitglieds Mehmet Öztürk am 19. März 2016 auf der Istiklal Caddesi in Istanbul.
  • Die Koordinierung des Marac (K) genannten IS-Mitglieds, welcher in Verbindung zu der Aktion auf der Istiklal Caddesi und den Aktionen gegen das Polizeipräsidium in Gaziantep steht.

Man hat erfahren, dass Ilhami Bali in der letzten Zeit durch die IS-Führung in Rakka zu einer höheren Position befördert worden war und insbesondere Aktionen gegen US-Ziele wie Incirlik, US-Botschaften und Konsulate geplant hatte, indem er Drohnen zur Verfügung stellte. 

Die Verbindung zur MIT

Obwohl Bali im Rahmen der Ermittlungen der türkischen Sicherheitsbehörden verfolgt wurde und immer wieder in die Türkei einreiste, wurde er nie gefasst. Dahinter verbirgt sich seine Verbindung zur MIT. 

Die Wege der MIT und Ilhami Balis trafen sich in Suruç, bei dem Versuch der Rettung eines vom IS entführten türkischen Soldaten. Zu dieser Zeit nahm der für den IS verantwortliche Teil der MIT über WhatsApp Kontakt zu Bali auf und verhandelte über die Freilassung des Soldaten. 

Damals sprachen der MIT-Stationschef von Erbil Ilhan Kaya und der Abteilungsleiter für Syrien Mutlu Tuka mit Ilhami Bali. 

Bali wurde am 27., 28. Und 29. März 2019 von der MIT im Ankara Söğütözü Anadolu Hotel untergebracht und lebte währenddessen in Begleitung von Leibwächtern, die MIT-Personal waren, in einem Zimmer.

Zunächst durfte er das Zimmer nicht verlassen. Seine Wünsche wurden von Serhan Albayrak, einemvertraglichen Angestellten der Syrien-Abteilung der MIT, und einem der Übersetzer der Abteilung für den Irak, Ahmet Özçelik entgegengenommen und an die Verantwortlichen der Abteilung für Syrien weitergeleitet. 

Während er sich im Hotel aufhielt, standen mit Ilhami Bali der MIT-Angestellte Ilhan Kaya und das Personal der Abteilung für Syrien in Korrespondenz. 

Während Ilhami Bali sich im Hotel aufhielt, änderte er sein äußeres Erscheinungsbild. Für ein moderneres Aussehen rasierte sich Bali den Bart ab und lief in Jeans und T-Shirt herum. 

Außerdem änderte Bali häufig seine Telefonnummer, um nicht erwischt zu werden, da er an der Grenzlinie arbeitete. Die Nummern, die er verwendete lauten folgendermaßen,:

s.o.

Sehr geehrte Senatsmitglieder, 

lassen Sie mich zunächst eine chronologische Aufzählung über die Geschichte des türkischen Staates vornehmen. 

BEI DER BEWERTUNG DES STAATES WIRD FOLGENDES AUSSER ACHT GELASSEN:

DER ARMENISCHE GENOZID 1915 UND DIE ERMORDETEN 1,5 MILLIONEN ARMENIER

DAS PONTUS MASSAKER UND IN ETWA 300 TAUSEND TOTE 

DAS AĞRI MASSAKER 1921 UND DIE ERMORDUNG TAUSENDER KURD*INNEN

DAS ZILAN MASSAKER

DIE UNABHÄNGIGKEITSGERICHTE, TAUSENDE HINRICHTUNGEN

DAS DERSIM MASSAKER 1938 MIT ÜBER DREISSIG TAUSEND TOTEN

DAS EINPARTEIENREGIME VON 1923 BIS 1950

DIE MASSAKER AN ALEVIT*INNEN IN ÇORUM, KAHRAMANMARAŞ, MALATYA UND SIVAS, HUNDERTE VON TOTEN

MILITÄRPUTSCH 1960

MILITÄRPUTSCH 1971

MILITÄRPUTSCH 1980

DER POSTMODERNE MILITÄRPUTSCH VOM 28. FEBRUAR 1997

DIE IM RAHMEN DER VON GENERÄLEN VORBEREITETEN VERFASSUNG AGIERENDEN KRIEGSGERICHTE

GERICHTE FÜR SCHWERE STRAFEN

TAUSENDE VON JOURNALIST*INNEN, SCHRIFTSTELLER*INNEN, STUDIERENDEN, ARBEITER*INNEN, GEWERKSCHAFTER*INNEN UND REVOLUTIONÄR*INNEN, DIE VON ZIVILFASCHISTEN ERMORDET WURDEN

KONTERGUERILLA-ORGANISATIONEN

DAS VERSCHWINDENLASSEN UND DIE ERMORDUNG TAUSENDER MENSCHEN UNTER FOLTER IN ZUSAMMENARBEIT MIT DEM GENDARMERIE-GEHEIMDIENST ZUR TERRORISMUSBEKÄMPFUNG (JITEM) UND HIZBOLLAH

TAUSENDE AUSSERGERICHTLICHE HINRICHTUNGEN,

MASSENGRÄBER VON MENSCHEN, DIE IN UNTERSUCHUNGSHAFT GENOMMEN UND VOM STAAT VERSCHWINDEN GELASSEN WURDEN,

SÄUREBRUNNEN ZUR BESEITIGUNG DER LEICHEN

MASSENGRÄBER IN MILITÄRGEBIETEN 

ANDAUERNDE FOLTER

DAS ERSCHLAGEN DES JOURNALISTEN METIN GÖKTEPE

DER MORD AN MUSA ANTER

DAS GETÖTETE ASSYRISCHE PAAR

DER MORD AM PRIESTER SANTOZ

DAS ZIRVE-VERLAG-MASSAKER

DER MORD AN HRANT DINK

DER TOD VON INSGESAMT 34 KURDISCHEN BAUERN, 19 DAVON KINDER, INFOLGE DES BOMBARDEMENTS DURCH KRIEGSFLUGZEUGE IM DORF ROBOSKI UND DIE TATSACHE, DASS DIE VERANTWORTLICHEN DIESES MASSAKERS VON ERDOGAN MIT MEDAILLEN GEEHRT WURDEN

TAYBET ANA(MUTTER), DEREN LEICHE EINE WOCHE AUF DER STRASSE LAG

CEMILE, DEREN LEICHE TAGELANG ZUHAUSE IM KÜHLFACH AUFBEWAHRT WURDE, DAMIT DIESE NICHT STINKT

HACI LOKMAN BIRLIK, DESSEN LEICHE HINTER EINEM MILITÄRFAHRZEUG DURCH DIE STRASSEN GESCHLEIFT WURDE

POLIZISTEN, DIE DIE LEICHE VON EKIN VAN FOLTERTEN UND NACKT IM ZENTRUM VANS ABLUDEN UND IHRE BILDER IN DEN SOZIALEN MEDIEN VERBREITETEN

LEICHEN, DIE AUS DEM GRAB GEHOLT UND AUF DIE STRASSE GEWORFEN WURDEN,

EINE LEICHE, DIE AUS DEM GRAB GEHOLT WURDE UND ZU DEREN VERBRENNUNG EINE MENSCHENMENGE VERSAMMELT WURDE

EIN STAAT, DER DIE LEICHE EINES GUERILLAKÄMPFERS PER POST UND ZAHLUNGSPFLICHTIG IN EINEM KARTON VERSENDET,

EINE ABGEORDNETE, DER ES VERBOTEN WURDE, IHRE MUTTER IN ANKARA ZU BEERDIGEN,

MILLIARDEN DOLLAR BESTECHUNGSSKANDALE, DEREN SPRACHAUFNAHMEN ÖFFENTLICH WURDEN,

EINE REGIERUNG, DIE ABGESEHEN VON 1-2 AUSNAHMEN ALLE MEDIEN UND PRESSEORGANE IN IHRER HAND HÄLT

DAS LAND MIT DEN MEISTEN INHAFTIERTEN JOURNALIST*INNEN IN DER WELT,

DIE EINSTELLUNG DER ERMITTLUNGEN GEGEN DEN ABGEORDNETEN, IN DESSEN WOHNUNG SEINE ANGESTELLTE TOT AUFGEFUNDEN WURDE,

EIN STAAT, DER NICHT NUR DER GRÖSSTE UNTERSTÜTZER ISLAMISTISCHER TERRORORGANISATIONEN IST, SONDERN AUCH ISLAMISTISCHE TERRORORGANISATIONEN UNTER DER LEITUNG DER EIGENEN POLIZEI UND DES MILITÄRS GRÜNDET UND DIE EUROPÄISCHEN STAATEN BEI DER KLEINSTEN MEINUNGSVERSCHIEDENHEIT OFFENKUNDIG MIT EBEN DIESEN ISLAMISTISCHEN TERRORORGANISATIONEN BEDROHT UND NACH JEDER SOLCHEN DROHUNG IN BELGIEN, FRANKREICH UND DEUTSCHLAND MASSAKER DURCHFÜHREN LÄSST,

EIN STAAT, 

DER DIE LÖHNE VON MITGLIEDERN ISLAMISTISCHER TERRORORGANISATIONEN BEZAHLT, 

DER DAS ERDÖL VERKAUFT, WELCHES VON ISLAMISTISCHEN TERRORORGANISATIONEN EROBERT WURDE,

DER OFFENKUNDIG ISLAMISTISCHE BANDEN AUF DER INTERNATIONALEN EBENE VERTRITT,

DER VERBRECHEN GEGEN DIE MENSCHLICHKEIT BEGEHT, INDEM ER IN DIE BÜRGERKRIEGE IN SYRIEN UND LIBYEN VON IHM AUSGEBILDETE BANDEN SCHICKT,

DER SYRIEN BESETZT, WÄHREND ER STÄNDIG VON SEINER EIGENEN TERRITORIALEN EINHEIT SPRICHT, DER NACH LIBYEN ACHTTAUSEND AUSGEBILDETE PERSONEN SCHICKT UND SOMIT IM DIESEM KRIEG OFFEN PARTEI ERGREIFT,

DER BEI JEDER MEINUNGSVERSCHIEDENHEIT DIE EUROPÄISCHEN STAATEN DAMIT ERPRESST, DASS ER FLÜCHTLINGE AN DEN GRENZEN ANHÄUFT,

DER MIT SLOGANS WIE „EIN STAAT, EIN VOLK, EIN VATERLAND EINE FLAGGE“ DEN RASSISMUS UND DIE FEINDSCHAFT UNTER DEN VÖLKERN IMMER WEITER BEFEUERT,

DER FRAUEN ERNIEDRIGT, SIE NICHT EINMAL ALS ZWEITKLASSIG BETRACHTET, DER DIE LGBTI-PERSONEN ALS PERVERS BETITELT UND SOMIT ZUR ZIELSCHEIBE MACHT, 

DER KINDEREHEN BEFÜRWORTET,

DER DIE BILDUNG MIT RELIGIÖSEN UND FASCHISTISCHEN ELEMENTEN FORTFÜHRT,

DER JEDES STREBEN NACH RECHT MIT POLIZEI-, MILITÄR- UND JUSTIZGEWALT UNTERDRÜCKT,

DER DIE NICHTVERFOLGUNG VON BEAMTEN, ZU DENEN UNTER ANDEREM ISLAMISTEN UND ZIVILFASCHISTEN GEHÖREN, UND VON ZIVILFASCHISTEN, DIE MASSAKER DURCHGEFÜHRT HABEN UND DURCHFÜHREN WERDEN, GESETZLICH VERANKERT HAT, 

DER ZWEI CO-VORSITZENDE, ACHT ABGEORDNETE UND HUNDERTE GEWÄHLTE BÜRGERMEISTER*INNEN DER DRITTGRÖSSTEN PARTEI DES LANDES, DER DEMOKRATISCHEN PARTEI DER VÖLKER, INHAFTIERT,

DER 44 DER 64 GEWÄHLTEN HDP-BÜRGERMEISTER*INNEN DURCH ZWANGSVERWALTER ERSETZT,

DER VERTRETER*INNEN VON MENSCHENRECHTSORGANISATIONEN VERFOLGT UND INHAFTIERT, 

DER MIT VORBEREITETEN LISTEN ZEHNTAUSENDE RICHTER*INNEN, STAATSANWÄLT*INNEN, SOLDATEN, POLIZIST*INNEN, LEHRER*INNEN UND ÖFFENTLICHE BEDIENSTETE DES TERRORISMUS BEZICHTIGT UND INHAFTIERT, DER DEN GESAMTEN BESITZ DER INHAFTIERTEN AN SICH NIMMT…

Im Türkischen gibt es einen Ausdruck, der sehr gut auf diese Situation zutrifft. Man sagt, „wenn dein Magen es verkraftet, versuche das zu verdauen!“.

Lassen sie mich fortfahren.

Wie schon zu mehreren Anlässen während dieses Verfahrens erwähnt, muss der türkische Staat, dessen Bewertung außer Acht gelassen wird, vor dem Hintergrund seiner vorherrschenden Vorgehensweise betrachtet werden. 

Um aufzeigen zu können, wie der Mechanismus, der in der Türkei als Staat bezeichnet wird, und die vorherrschende Mentalität funktionieren, möchte ich mit stattgefundenen und weiterhin stattfindenden Beispielen beginnen. Denn statistische Informationen bleiben in der Regel als leere Worte bestehen, die jemand, der das Beschriebene nicht erlebt hat, nicht nachvollziehen kann. Wie etwa wenn man liest, dass hunderte Millionen Menschen auf der Welt sich für ein bis zwei Dollar am Tag zu Tode schuften oder hunderte Millionen Menschen ohne sauberes Trinkwasser leben oder Menschen aus Hunger Selbstmord begehen. Oder wenn wir lesen, dass Millionen von Kindern unter den schwersten Bedingungen arbeiten. Oder wie wenn wir lesen, dass tausende Frauen tagtäglich der Gewalt ausgesetzt sind und tausende Frauen und Kinder vergewaltigt werden. Oder etwa, dass auf der Welt siebzig Millionen Menschen aus Gründen wie Krieg und Hunger auf der Flucht sind, für bessere Lebensbedingungen. Welche erschreckende Wahrheit diese Zahlen und Informationen ausdrücken, verstehen nur diejenigen vollständig, die diesen Umständen ausgesetzt sind. 

„WAS IST DER STAAT ANDERES ALS EINE GROSSE BANDE, WENN ES KEINE GERECHTIGKEIT GIBT?“

In einem Dokument des Gerichts gibt es folgenden Abschnitt: 

„Wenn es sich um eine Organisation handelt, die darauf abzielt, die politische Ordnung eines bestimmten Staates zu beseitigen, ist bei der Feststellung zu berücksichtigen, inwieweit die Aktivitäten der Organisation durch diesen besagten Staat provoziert wurden.“ 

Solch eine Passage gibt es, jedoch wird sie durch das Wort „aber“ im anschließenden Satz ihrer Bedeutung beraubt. Es ist zu erkennen, dass dieser Satz lediglich als Randdekoration des Gesetzes 129b dient. Ohnehin wurden alle Einwände bezüglich des Wesens des türkischen Staates in diesem Verfahren systematisch zur Seite geschoben. Es habe mit dem Thema nichts zu tun oder auch wenn es so sei, wurden Tatsachen, deren Richtigkeit bekannt ist, als unwahrscheinlich betitelt und ignoriert. Und wenn das nicht ausreichte, sagte man offen, dass die Eigenschaft des Staates nicht berücksichtigt werde, was zeigt, dass diese Passage nichts Weiteres ist als ein Schwindel. 

  1. Anders als die Verteidigung kann eine Willkürlichkeit der erteilten Ermittlungsermächtigung nicht auf die Ansicht gestützt werden, dass „die Türkei keine Staatsordnung darstellt, die die Menschenwürde respektiert‟ oder dass ‟der derzeitige Zustand des türkischen Staates (…) nicht nach dem § 129b StGB schützenswert ist‟. 

„Aus diesem Grunde wird entsprechend des Textes des Sachverhaltes eine politische Ordnung des Staates, die die Organisation abzustützen beabsichtigt, nicht bewertet werden. Vielmehr muss geprüft werden, ob die Ziele, die die Organisation zu erreichen versucht, entsprechend einer der erwähnten Ansichten alle Bedingungen zu rügen sind… Denn selbst wenn man dieser Rechtsansicht folgen würde und außerdem die Behauptung der Verteidigung, auf die sie ihre Bewertungen stützt, nämlich die Republik Türkei stelle keine Ordnung der Grundwerte der Beachtung der Menschenwürde, als Wahr unterstellen würde, führ dies keines Falls zu dem Ergebnis, dass die Ermittlungsermächtigung willkürlich erteilt worden sei: selbst in Fällen, in denen ein Staat den Widerstand provoziert hat, indem er gegen die Menschenrechte verstößt….‟

BUNDESANWALTSCHAFT 

‟Wenn man das Ziel des direkten Schutzes der persönlichen Rechte mit Normen in Betracht zieht, so schaut man nicht hin, ob die Vorschriften des Paragraphen 129‟a StGB der Lage eines funktionierenden Rechtsstaates entsprechen.‟

worauf beziehen sich die beiden vorgenannten gelb unterlegten zitate

Das Gebilde, welches wir als Staat bezeichnen, bestand vom ersten Moment an als Werkzeug der Unterdrückung, der Gewalt und Herrschaft in den Händen der herrschenden Mächte. Das Errichtung der Herrschaft schließt grundsätzlich Unterdrückung und Gewalt ein. Hierbei sind die Gewaltmittel für die Organisation, die wir den Staat nennen, unverzichtbar. Mit Organisationen wie der Polizei, dem Militär, dem Geheimdienst usw. halten die herrschenden Klassen das offizielle Gewaltmonopol in ihren Händen. Dieses offizielle Gewaltmonopol wird mit demagogischen Aussagen und Manipulationen wie den Begriffen „der Staat aller“ und „die Sicherheit aller“ „legitimiert“ und gleichzeitig wird der Grundbaustein für die Verwendung weiterer Formen der Gewalt gelegt. Die Arten und der Anwendungsbereich der Gewalt werden durch die Behauptung, der zu einem heiligen Status gelangte Staat sei in Gefahr, erweitert. Die Folter ist nur eine Form und ein Anwendungsbereich eben dieser Gewalt und wird sehr verbreitet angewandt. Ich werde hier nur von der körperlichen Folter sprechen, es darf jedoch nicht vergessen werden, dass sie ein Phänomen ist, das im Alltag jederzeit zu spüren ist.

Folter ist, unabhängig von der Zeit, den Umständen und dem Wandel ihrer Art, eine Methode eines ausnahmslos jeden Staates, an der Macht zu bleiben und diese zu schützen. Staaten, die wie die Türkei abhängig, halbkolonial und halbfeudal sind, wenden Gewalt als Bestandteil ihrer Macht an, da sie Systeme haben, die ständig Krisen produzieren. Die Tatsache, dass selbst die grundlegenden demokratischen Forderungen von den offiziellen und inoffiziellen Organisationen des Staates mit Gewalt beantwortet werden, ist eine direkte Folge des sozioökonomischen Wesens des herrschenden Systems. Die traditionellen Existenzkodizes des Staates basieren auf der Unterdrückung der beherrschten Klassen und Schichten durch verschiedene Formen der staatlichen Gewalt. Daher ist die als Folter bezeichnete, unmenschliche Praxis ein untrennbarer Teil der Funktionsweise und des Fortbestehens des Mechanismus, den wir den Staat nennen. Dies ist kontinuierlich und systematisch. Bis zu diesem Zeitpunkt beleuchteten wir die Folterfrage in unseren Darstellungen und auf Grundlage unserer eigenen Erlebnisse, aber es ist notwendig, weitere Beispiele zu geben, um zu verstehen, was für eine Dominanz und Kontinuität die Folter in der als Türkische Republik bezeichneten Organisation besitzt. In diesem Abschnitt werde ich eigentlich versuchen, mich hauptsächlich auf aktuelle Zeiten zu konzentrieren. Hierbei werde ich nicht nur darüber berichten, was kommunistischen und revolutionären Personen angetan wurde, sondern auch erzählen, wie diejenigen Personen, die bei der Folter von Kommunist*innen, Revolutionär*innen, Kurd*innen und Alevit*innen zusahen, still blieben, teilnahmen und sogar diese Folter ausübten, nach dem Wechsel der Herrscher*innen selbst dieser gleichen Folter ausgesetzt waren. Ein wesentlicher Grund hierfür ist, dass das Macht- und Unterdrückungsapparat der herrschenden Klasse, das wir als Staat bezeichnen, nicht unparteiisch ist, da es sicher ist, dass es das tut, was die aktive Macht möchte. Obwohl dieses Thema im Laufe des Gerichtsverfahrens bereits mehrfach erwähnt wurde, wird es gleichzeitig eine Antwort darauf sein, dass in einigen Aussagen der Staatsanwaltschaft und des Senats offiziell ignoriert wurde, dass dies eine systematische Herrschaftspraxis ist. 

Ein Teil der Ereignisse, die ich unten darstellen werde, wurden sowohl beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte als auch in einigen Staaten – wie Deutschland – registriert. In diesem Sinne wurden diese Ereignisse auch von den offiziellen Behörden als tatsächliche Erfahrungen anerkannt. Die Erfahrungen, die ich aus dem Mund der Menschen unten vermitteln werde, wurden in der Presse, der Öffentlichkeit, internationalen Justizinstitutionen, Menschenrechtsinstitutionen und sogar im türkischen Parlament thematisiert und werden aus zweifelsfreien Ereignissen hervorgehen, die ausnahmslos, täglich und systematisch unter der Befehlskette durchgeführt werden. In der Türkei ist dies der Staat und so funktioniert die Staatsräson. Keines der Ereignisse, über die ich spreche, ist bloß das Ergebnis des individuellen Grolls im Einklang mit unmenschlichen Freuden eines bestimmten Psychopathen, Faschisten oder religiösen Fanatikers. Dies ist systematisch, eine Staatstradition und dauert bis heute an. Das, was gesehen werden muss, ist, dass die Systematik der Angriffe und Folter sich nicht nur gegen Oppositionelle und temporär zu Feinden erklärten Gruppierungen richtet, sondern gleichzeitig gegen normale Arbeiter*innen, Werktätige und Bürger*innen, die im Alltag zu überleben versuchen, und sogar als legitim Recht angesehen wird. Es herrschen dabei das Gefühl, den Staat und die Macht zu verkörpern, die Zuversicht, Berechtigung zu haben, und das Wissen, dass man geschützt wird, der Gedanke, „das Recht zu haben, bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu tun, was immer man will“.  Aus diesem Grund wird es normalisiert und als gängige Praxis betrachtet, wenn einem Beamten, der zu unrecht entlassen wird und friedlich dagegen demonstriert und eine Pressemitteilung veröffentlicht, mit solch einer Gewalt begegnet wird, dass seine Wangenknochen brechen, dass eine etwa 70-jährige, ehemalige Richterin des obersten Gerichtshof am Boden geschleift und so geschlagen wird, dass ihr Gesicht blau wird, dass Familien, die jede Woche eine Pressemitteilung für ihre in Polizeigewahrsam verschwundenen Kinder machen, in Gas erstickt werden, und einer wilden Gewalt ausgesetzt sind. Dass ein geistig nicht reifer und zurechnungsfähiger, achtjähriger Junge von hinten beschossen, dann gefangen und verprügelt wird. Dass Abgeordnete Polizeigewalt ausgesetzt sind, ist ohnehin Normalität geworden. Also sollte man „keine Träume verkaufen“. Ich habe nicht den geringsten Zweifel daran, dass die Staatsanwaltschaft diese Tatsachen kennt, dennoch benimmt sie sich, als sei die Situation so, wie in den Reportagen über Deutsche, die in der Türkei Urlaub machen. Die Türkei ist, wie Sie wissen, ein beliebtes Urlaubsland für deutsche Staatsbürger*innen, nicht zuletzt, weil sie so günstig ist. Türkische Fernsehsender interviewen Tourist*innen häufig über das Meer, die Hotels, das Essen usw.. Es gibt einen Ausschnitt, den wir als Symbol dessen verstehen können: Der Angestellte, der das Interview durchführt, streckt dem deutschen Touristen das Mikrofon entgegen und fragt: „Wie finden Sie die Türkei, gefällt es Ihnen hier?“ Der deutsche Tourist antwortet in seinem schlechten Türkisch: „Die Türkei ist sehr schön, das Meer ist sehr schön, Raki ist schön, Sis Kebap ist schön, ich werde wiederkommen“. Genauso scheint die Staatsanwaltschaft für ein oder zwei Wochen in der Türkei im Urlaub gewesen zu sein, sich der schönen Seiten erfreut zu haben, und spricht über die Umstände, unter denen die Menschen leben, und die Dinge, denen sie ausgesetzt sind, wie dieser unwissende Tourist. Auch wenn sie akzeptiert, dass es gewisse Probleme in der Türkei gibt. 

Der Staat, über den wir sprechen, ist offiziell und international als die Republik Türkei anerkannt. Nach meiner Auffassung und der vieler anderer ist es eine faschistische Diktatur. Denn dies ist die Wahrheit, das ist ihr Wesen und ihre Praktiken. Eine faschistische Staatsstruktur ist an und für sich schon „provozierend“. Wie und warum fragen Sie?

„Wenn Sie ein Land kennenlernen möchten, sehen Sie sich an, wie die Menschen dort sterben.“ Von diesen Worten von Albert Camus ausgehend können wir das Wesen der Türkischen Republik definieren. Jedoch müsste man dieser Aussage noch etwas hinzufügen: Wenn Sie ein Land kennenlernen möchten, sehen Sie sich an, welchen Umständen Oppositionelle in diesem Land ausgesetzt sind!

Sehr geehrter Vorsitzender, sehr geehrte Senatsmitglieder,

Lassen Sie mich mit einem der schmerzhaftesten und verletzendsten Beispiele der letzten Monate fortfahren: Mustafa Koçak. Mustafa Koçak hat im Gefängnis einen Hungerstreik begonnen und hatte nur eine Forderung: einen fairen Prozess. Aber was ist geschehen? Dieser blutjunge Mann ist letztendlich im Gefängnis gestorben. Seine Anwältin Ezgi Çakır berichtete über die Folter, die ihm im Gefängnis, kurz vor seinem Tod, fünf Tage lang angetan wurde, folgendermaßen: „Mustafa wurde am 254. Tag seines Widerstandes in seiner Zelle an einen Stuhl gebunden und ins Gefängniskrankenhaus geschleift. Hier wurde er vom Oberarzt Metin, dem Internisten Ali und anderen Ärzten, deren Namen ich nicht kenne, solcher Folter ausgesetzt, dass man sich nach Mengele sehnen würde. Obwohl Koçak bei Bewusstsein war und den Eingriffen nicht zustimmte, hat man 73-mal versucht, ihm Infusionen zu verabreichen, welche platzten und seine Arme und Beine blau hinterließen. Weil Mustafa die Infusion mit seinen Zähnen herauszog, wurde auch sein Kopf gefesselt, es wurden acht Fesseln an seinen Händen und Füßen angebracht, außerdem wurden sein Kopf und sein Körper mit Seilen festgebunden und ihm ein Tuch in den Mund gestopft, damit er leise ist. Während dieser Folterungen waren auch Polizisten und der Gefängnisdirektor anwesend gewesen und nahmen sogar immer wieder an der Folter teil und missbrauchten ihn, indem sie ihm einen Knüppel in den Anus einführten und ständig beleidigten. Koçak hat sich fünf Tage lang in die Hosen machen müssen und ist so zurückgelassen worden.“

Mustafa Koçaks Eltern starteten tagelang, wochenlang Aufrufe auf der Straße, damit ihr Kind einen fairen Prozess bekommt und nicht stirbt, und wurden wiederholt festgenommen. 

Der Vater von Mustafa Koçak klagte „Mein Kind ist hungrig, hungrig, hungrig, mein Kind will Gerechtigkeit, er möchte nur einen fairen Prozess“. Zur gleichen Zeit begannen die Solistin Helin Bölek und der Bassist Ibrahim Gökçek von Grup Yorum einen Hungerstreik mit der Forderung, dass ihr Kulturzentrum nicht ständig durchsucht und ihre Konzertverbote aufgehoben werden sollen, und verloren infolgedessen ihr Leben. Einer forderte einen fairen Prozess, die anderen die Aufhebung von Konzertverboten und alle drei mussten ihr Leben opfern, weil sie Gerechtigkeit wollten. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt haben ihre Anwält*innen ihren Hungerstreik in ein Todesfasten umgewandelt. Wenn ich diese Erklärung vorlese, werden auch sie höchstwahrscheinlich gestorben sein! 

pastedGraphic_48.png

TODESFASTEN FÜR DIE GERECHTIGKEIT! WIR WERDEN SIE NICHT AN DIE UNGERECHTIGKEIT AUSLIEFERN!

pastedGraphic_49.png

„Der Grup Yorum-Gitarrist Ibrahim Gökçek ist am 259. Tag seines Todesfastens. Hört seine Stimme, damit er nicht stirbt und leben kann.“ 

Sehr geehrter Herr Vorsitzende, sehr geehrte Senatsmitglieder,

wir sagen es mit Nachdruck und Beharrlichkeit: In diesem Land gibt es Folter, in Polizeigewahrsam verschwundene Personen, extralegale Hinrichtungen, eine faschistische Ordnung, nicht einmal Recht im bürgerlichen Sinne, gefälschte Beweismittel, Verdunkelung von Beweismitteln, die Presse ist nicht frei, es gibt weder freie Meinungsäußerung noch Versammlungsfreiheit, religiöse Fundamentalisten und Faschisten laufen umher, gegenüber Frauen gibt es überwältigende Gewalt, in Korankursen werden Kinder vergewaltigt, Kurd*innen werden in Kellern verbrannt, sie werden massakriert, sie werden gefoltert, Akademiker*innen, die sich gegen Krieg stellen, werden inhaftiert, von Faschisten gelyncht, Friedhöfe werden zerstört, Leichen werden hinter Militärfahrzeugen her geschliffen, Leichen werden gefoltert, aus den Ohren der ermordeten Guerillakämpfer*innen werden Halsketten gebastelt, islamistische Banden organisieren sich mit den offiziellen Mitteln des Staates und führen Massaker durch, der türkische Staat besetzt in Syrien, Libyen und im Irak kurdischen Boden mit selbst gegründeten und bereits bestehenden islamistischen Banden, der IS genannte unmenschliche Mob und andere rückständige Kräfte werden bei jeder Gelegenheit unterstützt, man löscht alle demokratischen Werte und Rechte mit diesen Banden aus, dieser Staat besetzt andere Länder… und all diese Dinge geschehen vor den Augen der Welt und sehen Sie sich die Tragikomödie an, um diese faschistische Diktatur zu schützen, kämpft der deutsche Staat an vorderster Front. 

Auf der einen Seite spricht er ständig von Demokratie, Menschenrechten und der Überlegenheit des Rechts, auf der anderen Seite versucht er alles in seiner Macht Stehende zu tun, um einen Staat und eine Ordnung mit den besagten Eigenschaften zu schützen. Um den Terrorismusvorwurf gegen die TKP/ML zu bezeichnen, ist es ausreichend, wenn man lediglich eine Handvoll Ereignisse belegen kann; die Verantwortlichen von Tausenden, Zehntausenden von Gräueltaten werden nicht aber angetastet. Abgesehen davon, dass sie nicht angetastet werden, bringt der deutsche Staat sogar seine eigenen Journalist*innen vor Gericht, weil sie Erdogan beleidigt haben sollen, der an der Spitze dieser faschistischen Ordnung und Praktiken steht!

In einem Ort soll der Winter sehr hart verlaufen sein und es soll viel geschneit haben. Weil die Wölfe hungrig waren, gingen sie in das nächste Dorf. Die Sicherheitskräfte der Läden, die diese Wölfe kommen sahen, schlugen sie alle zusammen. Die verletzten Wölfe rannten wieder zurück in den Wald. Während alle Wölfe mit ihren Wunden beschäftigt waren, leckte einer seine Wunden und jammerte besonders laut. Die anderen Wölfe fragten: „Wir haben alle Schläge bekommen, warum jammerst du denn so?“. Der jammernde Wolf antwortete folgendermaßen: „Ich verstehe, warum der Sicherheitsmann des Metzgers uns angegriffen hat, er wollte das Fleisch schützen. Auch den des Supermarktes verstehe ich, er wollte das Essen im Supermarkt schützen. Den Sicherheitsmann des Bäckers habe ich auch verstanden, er wollte das Brot schützen. Das habe ich alles verstanden aber derjenige, der uns am meisten angegriffen hat, war der Sicherheitsmann der Glaserei. Was der beschützen wollte, das verstehe ich nicht. Deswegen jammere ich“. Der deutsche Staat und die Staatsanwaltschaft sind wie der Sicherheitsmann aus der Glaserei in dieser Geschichte und führen diese Linie entschieden fort. Die Geschichte wiederholt sich also und die herrschenden Klassen versuchen genau das zu tun, was sie in der Vergangenheit getan haben, und entschieden genau das zu verteidigen, was sie in der Vergangenheit verteidigt haben: „Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des Kommunismus. Alle Mächte des alten Europa haben sich zu einer heiligen Hetzjagd gegen dies Gespenst verbündet, der Papst und der Czar, Metternich und Guizot, französische Radikale und deutsche Polizisten.“ (Manifest der kommunistischen Partei)


Sehr geehrter Herr Vorsitzende, sehr geehrte Senatsmitglieder,

nun werde ich die ununterbrochenen Entwicklungen von Folter und Verlusten unter Gewahrsam, welche bereits zu einer Staatstradition geworden sind, anhand von Personen erläutern, die diesen ausgesetzt waren. Besonders wichtig und lehrreich sind die Erlebnisse derjenigen, die infolge der Ereignisse des 15. Juli in wenigen Stunden vom Verteidiger des Staates zum Staatsfeind wurden, also als Gegner*innen betrachtet und dementsprechend behandelt wurden. Denn wir sehen erneut, was, wen und welche Werte der als Staat bezeichnete Mechanismus eigentlich vertritt, wie er nur die Stimme seines Besitzers darstellt und welche natürlichen Reflexe er hat. Unter diesen befinden sich Soldaten, Geheimdienstler*innen, Richter*innen und jegliche Form der Staatsdiener*innen. Dieses Mal waren sie selbst – genauso wie zuvor Kommunist*innen, Revolutionär*innen, Kurd*innen, progressive Intellektuelle usw. – der „mitfühlenden staatlichen Liebe und Schutz“ dieses „heiligen“ Staates ausgesetzt, über den sie zuvor sagten „für diesen Staat würden wir töten und sterben“, was sie auch taten, dem sie dienten und den sie schützten. 

Ein untrennbarer Teil der Machttradition des türkischen Staates sind Folter, extralegale Hinrichtungen und das Verschwindenlassen in Gewahrsam. Wir sprechen von einer systematischen Vorgehensweise. In diesem Sinne ist es ein wichtiges Phänomen, das nicht übergangen werden kann. Um von allem zu erzählen, bräuchte es Hunderttausende, Millionen von Seiten. Ich spreche hier von Ereignissen, die in bestimmten geschichtlichen Zeitspannen passierten und gleichzeitig den Massencharakter widerspiegeln. Die Essenz dessen, was ich im Folgenden vermitteln werde, fand in den Medienorganen Erwähnung. Dutzende von Führungskräften und Militanten wurden durch Folter und extralegale Hinrichtungen massakriert, darunter auch İbrahim Kaypakkaya, der kommunistische Anführer und Gründer der TKP/ML, die hier als terroristische Organisation dargestellt wird und ein weiterer Generalsekretär der TKP/ML, Süleyman Cihan, der durch Folter getötet wurde.  

Behzat Firik wurde ermordet, indem er an seinen Füßen an einem Baum aufgehängt und mit einem unter seinem Kopf angezündeten Flaschengas verbrannt und füsiliert wurde. Im September des Jahres 1981, nach der Schießerei, in der der TIKKO-Guerillakämpfer Pir Ahmet Solmaz gefallen ist, dauerten die Operationen an und die Soldaten brachten auf einen Hinweis hin den in Dersim-Ovacik geborenen Behzat Firik in den Wald, um den Standort der Guerillakämpfer*innen zu erfahren. Er wurde von dem als ‚ohrloser Hauptmann‘ bekannten Aytekin İçmez befragt. Dieser ursprünglich aus Erzincan stammende Faschist verspürte einen besonderen Hass gegenüber Menschen aus Dersim, weil sein Großvater 1938 während des Dersim-Aufstandes von Rebellen getötet wurde. Dieser Faschist machte sich damals mit den Folterungen an den Dorfbewohner*innen einen Namen. Als der ältere Bruder von Behzat fragte „Wohin bringt ihr meinen Bruder?“, nahmen sie diesen auch mit. Die Soldaten, die die zwei Brüder einander gegenüber an den Baum banden, begannen sie zu foltern. Um Behzat Firik zum Sprechen zu bringen und von ihm Informationen zu bekommen, verbrannten sie Stellen seines Körpers wie seine Lippe und seine Zunge mit einer im Feuer erhitzten Eisenstange. Aber ihre Mühen waren vergebens, da Behzat Firik all ihre Fragen unbeantwortet ließ. Später hielten die durchgedrehten Mörder Behzat Firiks Füße in die Flammen. Seinem Bruder, der sich die Folterungen seines jüngeren Bruders mit ansehen musste, sagten sie: „Sag du es uns oder wir töten deinen Bruder“. Doch als sie auch so nichts erreichten, sahen sie den Ausweg darin, Behzat Firik zu erschießen. Später schlossen sie das Thema mit der Aussage ab: „Er ist geflohen und hat der Anweisung, er solle stehenbleiben, nicht Folge geleistet.“ 

Nach der faschistischen Militärjunta von 1980 wurden die ersten extralegalen Massenhinrichtungen an TKP/ML-Kämpfer*innen durchgeführt. Nach diesem Datum wurden dutzende extralegale Hinrichtungen durchgeführt. Am 7. Oktober 1988 wurden vier TKP/ML-Aktivisten unter der Tuzla Brücke an einem polizeilichen Kontrollpunkt beim Aussteigen aus dem Fahrzeug von zuvor überall platzierten Polizist*innen durch einen Kugelhagel ermordet. In den Leichen der Ermordeten wurden, in Ismail Hakkı Adalıs Körper 15, in Kemal Soğukpınars 32, Reha Şens 30 und Fevzi Yalçıns 7 Einschusslöcher festgestellt. Der zum Zeitpunkt dieses Massakers zuständige Polizeipräsident Hamdi Ardalı verteidigte dies und traf Aussagen, wie: „Ich habe den Schießbefehl erteilt“ und „Es war eine perfekte Operation“. Die Familien, die das wegen des Massakers eröffnete Verfahren immer weiter vorantrieben, trugen es bis zur EGMR. Das Gericht befand die Beschwerden über die „Verletzung des Rechts auf Leben“, für ein faires Verfahren und über den Verlauf Verfahrens für richtig und verurteilte den türkischen Staat zu Entschädigungszahlungen gegenüber den Familien der Getöteten. 

pastedGraphic_50.png
pastedGraphic_51.png

Am 20. Juli 1992 verließ der 32-jährige Hasan Gülünay, Vater von vier Kindern und TKP/ML-Aktivist, seine Wohnung in Istanbul Tarabya, um zur Arbeit zu gehen, und wird nie wieder gesehen. Die Familie wandte sich an die Staatsanwaltschaft und die Istanbuler Polizei und erhielt die Auskunft, dass er nicht in Gewahrsam sei und man nach ihm suche. Jedoch bekamen sie von einem hochrangigen Polizeibeamten, der aus derselben Stadt wie die Familie stammte, folgende Information: „Hasan lebt, er ist drinnen. Wenn seine Folterwunden verheilt sind, werden sie verkünden, dass er in Gewahrsam genommen wurde.“ Als Hasan Gülünay in Gewahrsam genommen wurd, fand man bei ihm den Ausweis des im Mai 1992 in der Gendarmeriekommandantur der Provinz Artvin durch Folter ermordeten TKP/ML-Militanten Ali Ekber Atmaca. Eine Person, die zum gleichen Zeitpunkt wie Hasan Gülünay in der Anti-Terror-Abteilung des Istanbuler Polizeipräsidiums befragt wurde, gibt an, dass eine Person, deren Gesicht er nicht gesehen habe, bei der Folter schrie: „Ich bin Hasan Gülünay, sie versuchen mich im Gewahrsam verschwinden zu lassen.“. Trotz all dieser Hinweise ist Hasan Gülünay bis heute vermisst. 

pastedGraphic_52.png

Zeitungsartikel mit dem Titel „Sie suchen seit ihrem achten Lebensjahr ihren Vater“, in dem unter anderem der Fall von Hasan Gülünay, neben einigen anderen ähnlichen Fällen, Erwähnung findet. 

pastedGraphic_53.png

Zeitungsartikel mit dem Titel „Seine Mutter wurde vor seinen Augen getötet“, indem beschrieben wird, dass die Polizei eine konspirative Wohnung betrat und die besagten Personen letztendlich ermordete, wobei dem sieben jährigen Sohn nichts passierte. 

pastedGraphic_54.png

„Als ich die Wohnung verließ, war meine Mutter noch am Leben“

In der Serie von außergerichtlichen Hinrichtungen, die nach 1980 mit dem Tuzla-Massaker begannen, ist das Hasanpaşa-Massaker ein wichtiges Bindeglied. Am 19. Mai 1991 in Istanbul Kadiköy-Hasanpaşa, um 23:00 Uhr in der Nacht, wurden TKP/ML-Mitglied Ismail Oral und die TKP/ML-Militantin Hatice Dilek vor den Augen ihres Sohnes ermordet. Der damals neunjährige Cihan Dilek sagt in einer Erklärung gegenüber der Presse mit seinem Vater: „Ich bin mit Schussgeräuschen aufgewacht. Meine Mutter wollte reingehen, doch die Polizei hat es nicht erlaubt. Sie haben meine Mutter in das andere Zimmer gesteckt. Die Polizisten haben mich angezogen und mich nach draußen gebracht. Da war meine Mutter noch am Leben.“

Am 19. Juli 1992, diesmal in Istanbul Maltepe, wurden vier TKP/ML-Militanten massakriert. 1992 wird Ali Ekber Atmaca in der Gendarmeriekommandatur der Provinz Artvin  durch Folter ermordet… Das geht so weiter!

Das unten zu sehende ist ein offizielles Dokument, welches offen aufzeigt, dass der zweite TKP/ML-Generalsekretär Süleyman Cihan durch Folter gestorben ist. Ein weiterer wichtiger Punkt aus diesem Dokument, sind die Namen der Polizisten, die bei der Folter aufkommen. Diese Namen werden in allen späteren Folter-, Verschwindenlassen in Gewahrsam- und außergerichtlichen Hinrichtungsprozessen auftauchen.

Die Republikanische Generalstaatsanwaltschaft Istanbul (Anatolien)

DIE ENTSCHEIDUNG, DASS ES KEINER STRAFVERFOLGUNG BEDARF

[…]

DAS ERMITTLUNGSDOKUMENT WURDE GEPRÜFT

Wenn es auch es nahe liegen mag, dass der gestorbene Süleyman CIHAN, der mit der Begründung, dass er zwischen 1907 [sic] und 1980 Mitglied im Zentralkomitee der terroristischen Organisation TKP/ML sei, festgenommen worden war und … laut den gerichtsmedizinischen Berichten der Akte vielmehr von damaligen Polizist*innen gefoltert und getötet wurde, 

„Leugnung rettet nicht den Henker

Kenan Evren, der General des Militärputsches vom 12. September 1980, sagte, dass er mit der Folter nicht zu tun gehabt habe. Und das Gericht hat entschieden, dass die Folterermittlungen nicht Teil dieses Verfahrens sind. Es wurden aber nach dem 12. September mindestens 171 Menschen durch Folter getötet.“

Es wurde bereits im Rahmen dieses Gerichtsverfahrens erwähnt, aber lassen Sie uns uns die Aussagen derjenigen anschauen, die diese Prozesse erlebt haben; diese Worte wurden von der Presse veröffentlicht und fanden sogar Eingang in Parlamentsprotokolle:

„DIE FOLTERN DES 12. SEPTEMBERS

Die 12. September-Anklageschrift führt vor Augen, wie die Menschlichkeit in jener Zeit mit Füßen getreten wurde. Zeitzeug*innen erzählten detailliert von den unfassbaren Foltern, die sie erlebt hatten oder deren Zeug*innen sie geworden waren. Manche erzählten, dass sie sechs Monate lang unter Folter verhört wurden; andere, dass man ihnen tagelang Stromstöße verpasste … 

In der 12. September-Anklageschrift wird betont, dass individuelle Rechte und Freiheiten ‚der Vorstellung eines virtuellen und unantastbaren Staates geopfert wurden‘. … Über die Foltern nach dem Putsch vom 12. September in den Gefängnissen heißt es: ‚In den Gefängnissen und Gewahrsamszentren kam es aufgrund der unmenschlichen Praktiken zu Todesfällen. Vom Putsch bis zur formalen Machtübergabe an Zivilist*innen im Jahr 1983 starben insgesamt 191 Menschen in Gewahrsam und in den Gefängnissen.‘ …  Laut einem in der Tageszeitung Türkiye erschienenen Artikel von Salih Bilici wurden die Foltermethoden, die nach dem 12. September in Gewahrsamszentren und Gefängnissen angewandt wurden, in der Anklageschrift, die vom 12. Ankaraer Gericht für schwere Strafen angenommen wurde, detailreich geschildert. Die Gefängniswärter und Soldaten, die sich von der Junta ermutigt fühlten, sollen die Inhaftierten mit unerhörten Methoden gefoltert haben. Neben physischen Foltermethoden wie Bastonade, in Ketten legen, Vergewaltigung, Penetration mit Schlagstöcken, im Abwasser warten lassen, Kot essen lassen, Stromschläge an Genitalien sollen auch psychische Foltermethoden wie zum Lesen von Büchern und Singen von Märschen zwingen angewandt worden sein. ….

DAS MASSAKER IM BUCA-GEFÄNGNIS

Infolge der Operation, die der Staat aufgrund ihrer Vernichtungs- und Einschüchterungspolitik am 21. September 1995 im Buca-Gefängnis durchführte, starben drei Menschen und 40 Menschen wurden schwer verletzt. Dabei starben Yusuf Bağ (25), Turan Kılıç (37) und Uğur Sarıaslan (24). Bei der Operation, bei der 15 Soldaten und 39 Insassen verletzt wurden, wurden Tränengasbomben, Gasbomben, Druckwasser, Eisenstangen und Stöcke eingesetzt. … Das Buca-Massaker, von dem es hieß, dass der Generalstaatsanwalt und der Gefängnisstaatsanwalt Bescheid wussten, fing mit dem „Tötet“-Befehl des Gendarmerieoberstleutnants an und führte dazu, dass drei Menschen starben und 40 von insgesamt 43 Menschen in der sechsten Gemeinschaftszelle ausnahmslos schwer verletzt wurden. 

DAS MASSAKER IM DIYARBAKIR-GEFÄNGNIS

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) verurteilte die Türkei zu einer Entschädigungszahlung in Höhe von 798.000 Euro (ca. 1.600.000 TL), da sie dadurch, dass  ihre Operation im Jahr 1996 im E-Typ-Gefängnis in Diyarbakır zehn Insassen das Leben kostete, „das Recht auf Leben verletzte“. Im Rahmen der Operation am 24. September 1996, die sich gegen Insassen richtete, von denen behauptet wurde, dass sie PKK-Mitglieder seien, wurden Nihat Çakmak, Rıdvan Bulut, Edip Dönekçi, Erkan Perişan, Hakkı Tekin, Ahmet Çelik, Mehmet Sabri Gümüş, Cemal Çam, Mehmet Aslan und Kadir Demir mit Bohlen und Eisenstangen erschlagen und 24 Menschen wurden verletzt.

DAS MASSAKER IM ANKARA-ULUCANLAR-GEFÄNGNIS

pastedGraphic_55.png
pastedGraphic_56.png
pastedGraphic_57.png
pastedGraphic_58.png

Im Ankara-Ulucanlar-Gefängnis wurde am 26. September 1999 ein Massaker begangen, bei dem zehn Revolutionäre ermordet und Hunderte verletzt wurden. Dieses Massaker war das Vorspiel zum türkeiweiten F-Typ-Angriff auf die Gefängnisse am 19. Dezember 2000. Der ehemalige Gendarmeriekommandant der Provinz Trabzon und damalige stellvertretende Gendarmeriekommandant von Ankara Oberstleutnant Ali Öz, der in dem Verfahren, in dem es um den Mord an Hrant Dink ging, angehört und wegen Amtsmissbrauch angeklagt wurde, versuchte das Massaker zu rechtfertigen, indem er behauptete, die Insassen hätten Schusswaffen und Spieße verwendet. Trotzdem hieß es in dem Bericht, der auf den Recherchen einer parlamentarischen Kommission basierte, im Gegensatz zu den Behauptungen von Öz: „In den Attesten, die geholt wurden, befindet sich kein einziger Soldat, der durch Schusswaffen oder Spieße verletzt worden ist.“ Die Leichen und die Verletzten wiesen Schlagspuren auf, die über das, was man bei einem Gerangel und Geraufe zu erwarten wäre, hinausgingen. Die Leichen und die Verletzten wiesen wiederum Verbrennungsspuren auf, die nicht von Verbrennungen durch Flammen stammen können. Gerichtsmedizinexpert*innen erklärten, dass diese Verbrennungsspuren nicht von Verbrennungen durch Flammen oder von Verbrühung stammten, sondern dehydrierte Verbrennungen waren und durch Schwefel- oder Salpetersäure entstanden sein könnten. 

pastedGraphic_59.png
pastedGraphic_60.png

Halil Türker, ein TKP/ML-Mitglied, das bei diesem Angriff ermordet wurde.

DAS MASSAKER IM ÜMRANIYE-GEFÄNGNIS

Ein Angriff wurde die ganze Zeit erwartet; sowohl die Gefangenen als auch die Rechtsaktivist*innen waren besorgt. Die Soldaten, die am 4. Januar 1996 ins Ümraniye-Gefängnis einmarschierten, haben die Gefangenen mit Stöcken und Gewehrkolben übel geschlagen. Abdülmecid Seçkin, Orhan Özen, Rıza Boybaş ve Gültekin Beyhan verloren im Krankenhaus, in das sie gebracht wurden, ihr Leben. In ihren Autopsieberichten, die am 12. Januar 1996 vom Gerichtsmedizinischen Institut der Universität Istanbul verfasst wurden, stand als Todesursache „durch Läsionen im Zusammenhang mit Schädeltrauma verursachte Hirnblutung“. Bei diesem Angriff wurden außerdem 45 Gefangene verletzt. Keiner der Soldaten wurde vor Gericht gestellt. 

DAS MASSAKER IN DEN GEFÄNGNISSEN, 19.-22. DEZEMBER 2000

pastedGraphic_61.png
pastedGraphic_62.png
pastedGraphic_63.png
pastedGraphic_64.png

„Hier das Wrack der Operation Rückkehr ins Leben“

Am 19. Dezember 2000 kamen sie um 4 Uhr morgens. Sie marschierten in zwanzig Gefängnisse gleichzeitig ein, in denen Revolutionär*innen und Kommunist*innen gehalten wurden. Mit Hubschraubern, mit Tausenden Soldaten und Polizisten, die speziell für diese Operation ausgebildet und vorbereitet worden waren, mit ihren Bomben, Waffen, Maschinengewehren und Bulldozern kamen sie. Dunkler als die Dunkelheit der Nacht, erschreckender und blutsäugerischer als Fledermäuse waren sie… Sie schossen, steckten in Brand, zerstörten und brachen… Sie töteten… Sie waren Vertreter der Dunkelheit, des Unrechts, der Gräuel und der Entartung…  An der Operation nahmen 8.335 Soldaten, bestehend aus acht Gendarmeriekommandobataillonen und 37 Kompanien, und tausende Gefängniswärter und Bereitschaftspolizisten [Anmerkung: tr. Çevik Kuvvet] teil. Es wurden mehr als 20.000 Gas- und Brandbomben geworfen. Die Zahl der Projektile, die geschossen wurden, ist nicht bekannt. Bei dieser Operation verloren insgesamt 32 Menschen ihr Leben. 

Die Gefangenen im Ümraniye-Gefängnis, in dem auch ich saß, leisteten diesem barbarischen Angriff des Staates trotz der Tode und Verletzungen fast drei Tage lang Widerstand. Als spät in der Nacht uns die Nachricht erreichte, dass es einen plötzlichen Angriff gab, waren wir alle bereits in unseren Betten. Aus allen Richtungen wurde das Feuer eröffnet. Es wurden trotzdem im Hauptgang des Ümraniye-Gefängnisses mit Matratzen, Etagenbetten, Stühlen und Schränken, die wir finden konnten, im Kugelhagel Barrikaden errichtet. Da Dutzende Mitglieder der Spezialkräfte trotz der 4-5 Meter breiten Barrikaden auf beiden Seiten mit großen Waffen und speziellen Projektilen schossen, entstanden in den Eisentoren im zweihundert Meter langen Gang riesige Löcher durch die Projektile, die sie trafen. Während dessen waren viele Gefangene verwundet worden und es gab bereits Tote. Auf dem Gefängnis landeten Hubschrauber mit speziell ausgebildeten Soldaten und Polizisten, die mit ihrem Werkzeug im Gefängnisdach Löcher öffneten. Später sollten sie durch diese Löcher schießen und Gas- und Brandbomben herunter werfen. Andererseits hatten sie angefangen, an verschiedenen Stellen des Gefängnisses mit Arbeitsmaschinen Wände einzureißen und Gemeinschaftszellen in Brand zu setzen. Es befanden sich  im Gefängnis ungefähr 500 revolutionäre und kommunistische Gefangene, die dieser ganzen Barbarei mit ihren Körpern und Parolen Widerstand leisteten. Die Zeit existierte nicht mehr, überall wimmelte es von Toten und Verwundeten. Gleichzeitig wurden Gas- und Brandbomben eine nach der anderen ins Gefängnis geworfen, der Kugelhagel dauerte an und mit ventilatorähnlichen Werkzeugen pumpten sie in heftigem Ausmaß Gas hinein. Wir konnten nicht mehr atmen, manche von uns übergaben sich unter dem Einfluss von diesem Gas ständig und fielen in Ohnmacht. Sie hatten sich in den Kopf gesetzt, alleine im Ümraniye-Gefängnis, in dem auch ich saß, Dutzende Gefangene umzubringen. Das gaben sie später auch selbst zu. Dass die Zahl der Toten niedrig war, war wirklich dem Zufall geschuldet. Es passierte Büchern gar nichts, während Menschen verbrannten und ihre Gesichter und Hände schmolzen. Die Gefangenen sagten: „Uns hat eine chemische Flüssigkeit verbrannt.“ Selbst Experten konnten nicht feststellen, was für ein Stoff eingesetzt worden war. Das Gesicht, die Nase, die Ohren und die Hände von einem schmolzen, aber die Kleidung blieb so, wie sie war! 

Tage später gingen wir vor allem wegen der Gase durch die Löcher, die sie mit Arbeitsmaschinen geöffnet hatten, hinaus. Und als wir hinausgingen, nahmen wir unsere schwerverletzten Freund*innen mit hinaus. Als wir hinaustraten, ging der Angriff, ohne an Intensität zu verlieren, weiter. Da ich am Kopf und an verschiedenen Stellen meines Körpers Schläge erlitten hatte und wegen des Gases nicht atmen konnte, bestanden die Genoss*innen, die mich begleiteten, darauf, mich zu denen zu bringen, die ins Krankenhaus geliefert werden sollten. Während ich an meinen Armen gepackt und zum Krankenwagen geschleift wurde, wurden wir von den Soldaten, die im Hof waren, ständig angegriffen. Manche taten es mit ihren Gewehrkolben, andere mit Tritten und Fäusten. Mit hinter meinem Rücken mit Kabelbinder fixierten Händen wurde ich in den Krankenwagen geschleudert und während der Fahrt ging die Folter weiter. Der eine würgte mich mit dem Handtuch, das ich an meinem Hals trug, um mich vor dem Gas zu schützen, der andere schlug mich mit Fäusten, während ein dritter mit dem Gewehrkolben beliebig auf verschiedene Stellen an meinem Körper schlug. Bis zum Krankenhaus ging das so weiter. Ich kann mich jetzt nicht mehr genau erinnern, aber ich glaube, dass wir vier Tage lang mit anderen Verwundeten im Krankenhaus geblieben sind und nach vier Tagen ins Gefängnis transportiert wurden. Im Gefangenentransporter waren, glaube ich, ungefähr zehn Freunde. Die Leute waren in ihren Unterwäschen oder in Bettlaken eingehüllt dorthin gebracht worden. Alle hatten Wunden und ein Freund hatte wegen der Schläge und Folter das Bewusstsein verloren und wusste nicht einmal, wo er war. Als wir im Gefängnis ankamen, ging diesmal der Angriff der Beamten in Uniform und in Zivil los, gleichzeitig nahmen sie ihre Taten mit einer Kamera auf. Später haben wir erfahren, dass alle Gefangenen, die nach der Operation in die Gefängnisse gebracht wurden, eine ähnliche und manche sogar viel brutalere Folter erlitten haben.

Dieses Massaker, das sie vor den Augen der ganzen Welt begangen haben, nannten sie, ohne sich zu schämen, mithilfe ihrer verkäuflicher Medien „Operation Rückkehr ins Leben“ und „Operation Barmherzigkeit“, wodurch sie nochmals gezeigt haben, welche Art von ‚Barmherzigkeit‘ sie gegenüber dem Volk empfinden. Später erfuhr man, dass eine der Operationen der Nazis gegen Jüd*innen auch den Namen „Rückkehr ins Leben“ trug! Bei dieser „Operation Barmherzigkeit“ wurden Gefangene am lebendigen Leibe verbrannt, erschossen und zum Tode gefoltert. Hunderte von ihnen wurden schwerverletzt und unter Folter in F-Typ genannte Sargkammern verfrachtet. 

In den Gefängnissen, in die wir gebracht wurden, verloren noch Dutzende Revolutionär*innen im Hungerstreik und Todesfasten ihr Leben, die wir anfingen, um gegen das Massaker und die Bedingungen, in denen wir uns befanden, zu protestieren. Auch das TKP/ML-Parteimitglied Nergiz Gülmez und Muharrem Horuz, Ersatzmitglied des TKP/ML-Zentralkomittees, die wegen des TKP/ML-Verfahrens im Gefängnis waren, gehörten zu denen, die im Todesfasten ihr Leben verloren. Was ich an dieser Stelle erzählt habe, ist nur ein Bruchteil von dem, was wir im Gefängnis erlebt haben. Fast jedes Mal, wenn wir ins Gericht gebracht wurden, waren wir ähnlichen Angriffen ausgesetzt. Die Foltern führten manchmal dazu, das wir nicht mehr laufen konnten, manchmal dazu, dass wir das Bewusstsein verloren; wir leisteten aber Widerstand, wir kuschten nicht angesichts dieser Gräueltaten. Wir bewahrten unsere Menschlichkeit und Würde.

Sehr geehrter Herr Vorsitzender, sehr geehrte Senatsmitglieder,

Sie könnten meinen, dass seit diesen Ereignissen viel Zeit vergangen ist. Lassen Sie uns dann die jüngere Geschichte betrachten: Diesen Teil möchte ich mit den Ausführungen von Human Rights Defender anfangen, die zum Gegenstand der deutschen Justiz geworden sind. Das ist wichtig, denn diesmal leiden in den Händen des Staates diejenigen Kreise, die lange Zeit den Staat mit Erdoğans Gefolgsleuten teilten und in der Zeit, in der sie die Macht teilten, sich an ähnlichen Praktiken beteiligten, über solche schwiegen oder sie rechtfertigten. 

Die Meldung des Nachrichtenportals TR 7/24 lautet folgendermaßen: Die Folterfälle in der Türkei beschäftigen internationale Institutionen. Der in diesem Bereich tätige Verein Human Rights Defenders teilte mit, dass Namen und Aufenthaltsorte von 248 Folterern festgestellt wurden. Human Rights Defender wies darauf hin, dass  Namen von Mitarbeiter*innen von Folterzentren und von Gouverneuren, Polizeipräsidenten, Generalstaatsanwält*innen, Rechtsmediziner*innen und Polizeibeamt*innen, die dabei ein Auge zudrücken, notiert wurden. Der Verein Human Rights Defenders, der wegen des Internationalen Tages zur Unterstützung der Folteropfer eine Erklärung veröffentlichte, betonte, dass es in den türkischen Gefängnissen 54 dokumentierte, fragwürdige Todesfälle gibt. In der HRD-Erklärung, in der in Erinnerung gerufen wurde, dass sie beim Generalbundesanwalt eine Strafanzeige erstattet haben, hieß es: „Folter ist ein universelles Verbrechen, welches nicht verjährt. Heute ist der 26. Juni, der Internationale Tag zur Unterstützung der Folteropfer. … Wir als Human Rights Defenders haben heute gemeinsam mit dem Internationalen Verein der Reporter*innen und der Plattform der Anwält*innen im Exil im Zusammenhang mit den Folter- und Misshandlungsfällen in der Türkei einen rechtlichen Prozess eingeleitet. Wir haben heute unserem Antrag neben zahlreichen anderen Informationen und Unterlagen auch die persönlichen Akten von fünf Personen beigefügt, die in der Türkei misshandelt und gefoltert wurden und jetzt in Deutschland leben. Außerdem haben wir Namen und Aufenthaltsorte der Täter*innen, denen Folter und Misshandlung vorgeworfen werden, im Anhang unseres Antrags eingereicht. In diesem Rahmen wurden Namen von 248 Tatverdächtigten festgestellt. Neben den Verantwortlichen im Justiz- und Innenministerium, dem Geheimdienst MIT und anderen zuständigen Behörden und Institutionen wurden auch Namen von Mitarbeiter*innen der Folterzentren insbesondere in Afyon, Ankara, Antalya, Amasya, Bartın, Balıkesir, Denizli, Diyarbakır, Elazığ, Hakkari, Istanbul, Izmir Kars, Kahramanmaraş, Kırıkkale, Konya, Nevşehir, Osmaniye, Rize, Sivas, Tokat, Van, Şanlıurfa, Yalova und Zonguldak und der dort diensthabenden und die dortige Foltern duldenden Gouverneuren, Polizeipräsidenten, Generalstaatsanwält*innen, Rechtsmediziner*innen und Polizeibeamt*innen eingereicht.

Das Erdoğan-Regime in der Türkei machte nach den Ermittlungsverfahren vom 17. und 25. Dezember 2013, welche die Korruption in dem Land aufdeckten, alle Gesellschaftsgruppen, die kritisch gegenüber Erdoğan und seiner Partei sind, zur Zielscheibe …  Erdoğan baute mithilfe des vorgetäuschten Putschversuchs vom 15. Juli 2016, dem Ausnahmezustand und der darauf folgenden Praktiken mit tagtäglich sicherer werdenden Schritten die Diktatur auf, die er angestrebt hatte. … In der Türkei wird das Verbrechen der Folter leider systematisch und weit verbreitet begangen. Lange Untersuchungshaft, Verweigerung des Gesprächs mit dem eigenen Anwalt, Ignorieren des Geheimnisprinzips in diesem Bereich und Außerkraftsetzung der Mechanismen, die Folter hemmen würden, und die Unmöglichkeit, Folterspuren ärztlich attestieren zu lassen, stellen Beweise der Folter in der Türkei dar. Die Foltermethoden, die eingesetzt werden, um Aussagen und Geständnisse zu erzwingen, wurden von Berichten der relevanten UN-Institutionen oder NGOs wie Human Rights Watch dokumentiert. Foltermethoden wie Elektroschock, Waterboarding, sexuelle Belästigung und Vergewaltigung, von denen wir dachten, sie wären in der Türkei in Vergessenheit geraten, wurden wieder ins Leben erweckt. Mit Dekreten (Nr. 667 – 668 – 696) während des Ausnahmezustands genießt jegliche Straftat, die von Beamt*innen und Zivilist*innen unter dem Vorwand des Staatsschutzes begangen wird, Straffreiheit. Diese Dekrete wurden nachträglich vom Parlament bestätigt und wurden somit zu permanenten Gesetzen (Gesetz Nr. t6749, 6755, 7079). … Beispielsweise weist die Nationale Direktion der Polizei in einem durchgesickerten vertraulichen Dokument die Polizeipräsidien aller 81 Provinzen an, Folterspuren in Haftanstalten zu vertuschen. Der Anlass dieses Befehls war der Besuch des Ausschuss zur Verhütung von Folter (CPT) des Europarates (CoE). 

… Darüber hinaus gibt es in der Türkei seit 2016 26 Fälle von Entführungen von Bürger*innen. …  Der UN-Kommisar für Menschenrechte (UNHCR) meldete 50 Fälle, in denen Frauen kurz vor oder nach der Entbindung festgenommen wurden, und schätzt, dass 600 Mütter mit ihren kleinen Kindern in Haft gehalten werden. In fast allen Fällen wurden diese Frauen wegen mutmaßlicher Straftaten ihrer Männer angeklagt … Heute fordern wir den Generalbundesanwalt dazu auf, Ermittlungen gegen diese Personen einzuleiten, die dem Erdogan-Regime dienen und diese Straftaten begangen haben.“

Human Rights Defenders-Vorstand“ (TR 7/24 Haber)  

Nach den Foltervorwürfen inspizierte Nils Melzer, der UN-Sonderberichterstatter gegen Folter und Misshandlung, die Türkei. Der Sonderberichterstatter besuchte zwischen dem 27. November und dem 2. Dezember Ankara, Diyarbakır, Şanlıurfa und Istanbul und traf sich dort neben Vertreter*innen des Außen-, Justiz- und Innenministeriums, des Verfassungsgerichts, des Kassationsgerichts, der Generalstaatsanwaltschaften von Ankara und Diyarbakır und der Behörde für Gerichtsmedizin auch mit Menschenrechtsaktivist*innen, Anwält*innen, Ärzt*innen, unabhängigen Organisationen, Diplomat*innen und mit Menschen, die selbst in Gewahrsam beziehungsweise in Haft sind. … Der von Melzer verfasste 21-seitige Bericht … wird zwischen dem 26. Februar und dem 23. März in der 37. Menschenrechtssitzung des Hohen Rates der Vereinten Nationen für Menschenrechte präsentiert werden. Die Behauptungen in dem Bericht sind haarsträubend. Melzer weist darauf hin, dass zahlreiche internationale Abkommen, die auch von der Türkei unterzeichnet wurden,  Folter und Misshandlung verbieten, aber Folter- und Misshandlungsfälle insbesondere ab Mitte des Jahres 2015 rasant gestiegen sind. Melzer, der einen großen Unterschied zwischen der deklarierten Politik der Regierung und ihrer Umsetzung feststellt, sagt: „Trotz der beharrlichen Vorwürfen von insbesondere seit dem gescheiterten Putsch am 15. Juli 2016 und während der gewaltsamen Ereignisse im Südosten des Landes verbreiteten Fällen von Folter und anderen Misshandlungsarten begegnet man diesbezüglich offiziellen Untersuchungen und Strafverfolgungen sehr selten. Dieser Umstand schafft das Bild der faktischen Unantastbarkeit von Folter und Misshandlung.“

Ein Beispiel aus der jüngeren Geschichte: Ayten Öztürk, die aus Libanon entführt, mit einem Sonderflugzeug in die Türkei gebracht und in Ankara sechs Monate lang sehr schwerer Folter ausgesetzt wurde, sprach zum ersten Mal über ihre Erlebnisse. Es wird behauptet, dass bis heute 27 Personen mit Schwarzen Transportern entführt und ins Guantanamo der Türkei genannte Folterzentrum in Ankara gebracht wurden. Ayten Öztürk ist die erste Frau, von der bekannt ist, dass sie dort gefoltert wurde. Dass sie eine Frau ist, führte dazu, dass die Folter noch schwerer wurde und auch sexistische Folter einschloss. Ayten Öztürk schilderte vor dem Gericht ihre Erlebnisse. 

CEVHERİ GÜVEN BOLD / SONDERMELDUNG – Ayten Öztürk wurde am 8. März 2018 im libanesischen Flughafen festgenommen. Man stülpte ihr einen Sack über den Kopf und übergab sie den türkischen Behörden. Anschließend wurde sie mit einem Sonderflugzeug nach Ankara geflogen. Nach mehr als einem Jahr stand sie vor dem Gericht und in ihrer langen Verteidigung schilderte sie, wie sie sechs Monate lang in einer unbekannten staatlichen Behörde schwerer Folter ausgesetzt wurde. …. Ayten Öztürk erzählte, dass das offizielle Datum ihrer Festnahme der 28. August 2018 sei, dies aber nicht der Wahrheit entspreche, dass sie am 13. März 2018 illegalerweise in ein Gewahrsamszentrum gebracht und nach sechs Monate Folter mit einer Inszenierung auf freiem Feld der Polizei übergeben worden sei. Ayten Öztürk schilderte in dem Verfahren, in dem ihr DHKP-C-Mitgliedschaft vorgeworfen wird, die schwere Folter, der sie nach ihrer Ankunft in der Türkei ausgesetzt war, mit all ihren Einzelheiten … Ayten Öztürk ist türkische Staatsangehörige arabischer Nationalität …

Nachdem Öztürk mit einem Sonderflugzeug in die Türkei gebracht wurde, wurde sie Prügel, Elektroschocks und sexualisierter und psychischer Folter ausgesetzt. … Ihr Körpergewicht sank auf 40 Kilogramm. … Der vollständige Text von Ayten Öztürks Verteidigung im Istanbuler 3. Gericht für schwere Strafen stellt gleichzeitig einen historischen Augenzeugenbericht für die Rückkehr der systematischen Folter in der Türkei dar.

Sehr geehrter Herr Vorsitzender, sehr geehrte Senatsmitglieder,

der Tradition dieser faschistischen Diktatur wohnt nicht nur Folter inne, sondern auch extralegale Hinrichtungen und Verschwindenlassen von Menschen in Gewahrsam. Es gibt tausende Beispiele dafür und die Praxis des in-Gewahrsam-Verschwindenlassens wird von Zeit zu Zeit auch von Vertreter*innen dieses Staates zugegeben. Bis vor kurzer Zeit wurden die Praktiken des In-Gewahrsam-Verschwindenlassens und der extralegalen Hinrichtungen gegen Revolutionär*innen, Komunist*innen und am intensivsten gegen Kurd*innen eingesetzt. Nach dem 15. Juli 2016 wurden zahlreiche Menschen mit der Begründung, dass sie Miglieder der Fethullah Gülen-Bewegung seien, den gleichen Praktiken ausgesetzt. In unserem Land haben die Menschen, die nach ihren Kindern, Partner*innen, Müttern und Vätern suchen, seit 25 Jahren trotz der ganzen Staatsgewalt ihre Suche nicht aufgegeben. Die wichtigsten Aktionen von Familien von Verschwundenen, die die Weltöffentlichkeit beschäftigten, fanden in Argentinien statt. Die Familien von Tausenden von Revolutionär*innen, die man während der Militärjunta in Argentinien hatte verschwinden lassen, wurden zum Symbol des In-Gewahrsam-Verschwindenlassens. Am Plaza del Mayo suchten sie jahrelang nach ihren verschwundenen Verwandten. … Der damalige Ministerpräsident Ahmet Davutoğlu drohte vor den Parlamentswahlen im Jahr 2015 mit den Worten: „Wenn wir keine 400 Sitze im Parlament erhalten, kommen die Toros (Anmerkung: von Polizei und Geheimdienst verwendete weiße PKWs der Marke Renault) zurück.“ Was er damit meinte, war, wie die ganze Türkei wusste, dass man Menschen in Gewahrsam verschwinden lassen würde.  Die Morde „mit unbekannten Tätern“, deren Zahl in parlamentarischen Berichten auf 17.500 geschätzt wurden, sind nicht aufgeklärt worden. Die Ermittlungen, die zu seiner Zeit wegen interner Auseinandersetzungen unter den Herrschenden, um sie gegeneinander auszunutzen und vor allem um die Unterstützung der wesentlichsten Leidträger*innen darunter, also der kurdische Nation, zu gewinnen, eingeleitet worden waren, wurden nach dem Konflikt mit der Fethullah Gülen-Bewegung in aller Stille wieder eingestellt.  

„JEDER JURIST SOLLTE WISSEN, DASS DAS GESETZ OBEN LEBT UND VON OBEN HERUNTERSPUCKT“ (Eduardo Galeano)

Die rechtliche Grundlage des Verfahrens, in dem wir angeklagt sind, ist der § 129b des Strafgesetzbuches. Auch wenn es vor mir schon mehrere Male geschehen ist, so möchte ich in meinem letzten Wort doch meine Ansichten zu diesem Paragraphen äußern. Was ist das für ein Paragraph? Wer soll damit angeklagt werden und was ist sein Zweck? In meinen Nachforschungen zu diesem Paragraphen bin ich vielen verschiedenen Ansichten hierzu begegnet, ich meine damit, sowohl seinen Gegner*innen als auch dessen Befürworter*innen. Da sind jene, die eine freiheitliche Sicht auf das Leben haben, sich auf die Rechte und Freiheiten des Individuums beziehen. Und da sind jene, für die im Zentrum von allem das konservative, traditionalistische und rechtliche Weltverständnis steht; also ist es offensichtlich, dass die, die mit dem Staat eins sind, die Sichtweise der Ersteren nicht teilen, die Frage nicht mit den gleichen Kriterien angehen werden. Und genau das erleben wir hier! Denn gesetzliche Bestimmungen haben im Hinblick auf die, die sie anwenden, einen ambivalenten Charakter: Sie sind flexibel; je nachdem, wie der Jurist oder die Juristin sie auslegt oder auslegen möchte, nehmen sie die dementsprechende Form an. 

Kommen wir zunächst auf die im Verfahren vielfach angesprochene Problematik der „Willkür“ zu sprechen. Die Erteilung der Strafverfolgungsermächtigung im Zusammenhang mit „Willkür“ zu diskutieren, ergibt wenig Sinn. Hier wäre es angebrachter, anstatt des Wortes „Willkür“ den Begriff „Vorsatz“ zu gebrauchen. Willkür bringt als Begriff ein eher personenbezogenes Verhalten zum Ausdruck. Es ist das deutsche Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz, das die Verfolgungsermächtigung erteilt hat. Das ist eine Behörde und diese verfügt über staatliche Befugnisse. Ich habe zwischen dem Senat und der Bundesanwaltschaft nur einen Punkt, in dem sie unterschiedlicher Ansicht waren, feststellen können. Die Bundesanwaltschaft behauptet, um es auf den Punkt zu bringen, die Gerichte hätten keine Befugnisse, in diesen und ähnlichen Verfahren über die Rechtmäßigkeit der Verfolgungsermächtigung zu befinden. Der Senat wiederum entgegnet dem, dass er teilweise diese Befugnisse habe. In diesem Punkt bewegt sich der Senat in Richtung der Verteidigung seiner Rechte als Gericht und legt seinen Standpunkt dar. Jedoch wird dieser Schritt zur „Verteidigung seiner Rechte als sogenanntes unabhängiges Gericht“ unter äußerster Vorsicht vollzogen, ohne „den Kern anzutasten“. Wir können davon ausgehen, dass der Senat, hätte ihn der Kern dieses Problems näher interessiert, der Auffassung der Bundesanwaltschaft energischer entgegengetreten wäre. Es ist offensichtlich, dass der Senatsvorsitzende und der Senat in der Lage gewesen wären, ihre Kenntnisse des Rechts und ihre intellektuelle Kapazität wesentlich stärker in die Waagschale zu legen. Aber da es hier um eine Kernfrage der Anklage geht und der Senat (so wie es sich mir darstellte) sich weder in rechtlicher noch in logischer Hinsicht gegen den Paragraphen 129 b stellen will, setzt er sich mit der Problematik nicht in weitergehenden Ausmaß auseinander. Richtiger gesagt, der Senat stellt sich dem nicht offen entgegen. Der Schwerpunkt liegt auf der Legitimierung des Paragraphen 129 b und in der Konsequenz der Erklärung der Rechtmäßigkeit der Verfolgungsermächtigung. Während dies geschieht, steht die andere Seite des Widerspruchs innerhalb des Paragraphen 129 b auf einmal außerhalb der Bewertung! Das heißt, zum Fall gehören zwei Parteien. Im Gesetzestext und auch in der Erklärung des Senats sehen wir, dass auf das Wesen des Staates Bezug genommen wird. 

Der Gesetzestext definiert die Eigenschaften des in Rede stehenden Staates:

„(…) Bei der Entscheidung über die Ermächtigung zieht das Ministerium in Betracht, ob die Bestrebungen der Vereinigung gegen die Grundwerte einer die Würde des Menschen achtenden staatlichen Ordnung (…) gerichtet sind (…).“

Die wesentliche Bedeutung dieses Satzes liegt in der Rede von den Grundwerten der Würde des Menschen“

So hatte der Senat in einem Beschluss zu  § 129 b StGB ausgeführt, dass auch berücksichtigt werden müsse, ob die gegen den Staat kämpfende Vereinigung  von diesem hierzu provoziertwurde.

„(…) Wenn es sich um eine Vereinigung handelt, deren Ziel es ist, die politische Ordnung eines bestimmten Staates zu beseitigen, muss bei der Prüfung auch berücksichtigt werden, in welchem Maße die Aktivitäten der Vereinigung seitens des betreffenden Staates provoziert worden sind.“ 

Diese Aussagen  wurden  im Verfahren aber so behandelt, als existierten sie nicht. Dem zitierten Abschnitt  wurde offenbar nur ein Platz eingeräumt, um dem Schein Genüge zu tun. Denn, wenn diese Abschnitte ernsthaft als Teil der Wertung berücksichtigt würden, würden sie spürbar ins Gewicht fallen. Der sich mit dem Staat befassende Teil des Gesetzestextes ist nunmehr zur reinen Formalität, zur Augenwischerei geworden. Wenn dieser Teil übergangen wird, offenbart sich uns, dass zum einen auch der bestehende antidemokratische Paragraph parteiisch angewandt wird, zum anderen zeigt sich der Gedanke, dass als natürliche Konsequenz daraus die Angeklagten um jeden Preis bestraft werden müssen. Interessant ist, dass während auf der einen Seite vom Wesen des Staates die Rede ist, auf der anderen Seite zum Ausdruck gebracht wird, dass dies keine Rolle spielt. Deshalb kommt dabei folgendes heraus: “Mag der Staat antidemokratisch, totalitär, faschistisch sein; mag er Rechte und Freiheiten mit Füßen treten, die Menschen massenweise töten, sie systematisch foltern, andere Länder besetzen, einer der Hauptunterstützer der Scharia-Banden sein …, das alles ist nicht von Bedeutung! Wichtig ist, dass ihr aufbegehrt habt und welche Methoden und Mittel ihr dabei angewandt habt.” Und um diese Logik als konsequent hinzustellen und dem Vorgehen ein legales, rechtliches Fundament zu geben, wird auch noch die Behauptung „Ihr habt Zivilist*innen bewusst als Ziele ausgesucht“ hinzugefügt. Und damit ist das Problem gelöst! 

Ist es nicht! Aber es wird angenommen, das sei es. Um den türkischen Staat aus der Bewertung herauszuhalten, werden an zahlreichen Stellen Formulierungen wie „selbst, wenn man annähme“, „selbst, wenn es so wäre“ gebraucht. Zuerst sind klare Feststellungen zu machen und die Wahrheit ist korrekt zu definieren. Was bewusst mit dem Begriff „als Möglichkeit“ überspielt werden soll, ist die Realität selbst. Auf diese Weise wird der Staat, obwohl bekannt ist, was er tut, der unbestimmten Kategorie der „Möglichkeit“ zugeordnet und damit legitimiert. Das bedeutet demnach, während die eine Seite ins Zentrum der Anschuldigungen gerückt wird, wird die andere Seite als Konsequenz „außenpolitischer Interessen“ bei der Bewertung außen vor gelassen und geschützt. Mithin hat die Justiz den deutschen Staat unter ihren Schutzschirm genommen, indem sie den türkischen Staat nicht in die Ermittlungen miteinbezieht. Denn der Umstand, dass der eine einen faschistischen Charakter hat und der andere eine bürgerliche Demokratie ist, darf unseren Blick für ihre Gemeinsamkeiten nicht trüben. Beide Staaten und beide Herrschaftsformen dienen dem Gesetz der Profitmaximierung des Kapitals. Hier handelt es sich sehr deutlich um eine „Schicksalsgemeinschaft“. Daher müssen sie einander auf einer Grundlage beschützen, die nicht temporär und auch nicht taktisch bestimmt ist. Obgleich dem damaligen Bundesinnenminister Thomas de Maizière der vom deutschen Verfassungsschutz im Bundestag vorgestellte Bericht bekannt war, laut dem „die Türkei seit dem Jahr 2011 zum Zentrum des islamistischen Terrorismus“ geworden sei, erklärte er nach dem Massaker an deutschen Tourist*innen auf dem Sultanahmet-Platz in Istanbul, das im Namen des IS verübt worden ist: „Sollten die Terroristen diesen Anschlag verübt haben, um der Zusammenarbeit der Partner zu schaden, so ist das Gegenteil eingetreten. Die Türkei und Deutschland haben ihre Reihen noch enger geschlossen. Die Türkei ist ein NATO-Mitglied und für uns ein sehr wichtiger Staat. …. Aus diesem Grund können wir, weil es in Sachen Menschenrechte Kritik an ihr gibt, die Zusammenarbeit nicht aufgeben.“ Wir sprechen hier von einem Beziehungsgeflecht, das sich auf eine hundertfünfzigjährige Vergangenheit stützt. Teil dieses Beziehungsgeflechts sind vermittels der NATO-Partnerschaft auch die militärischen Beziehungen, die zu erwähnen jede*r deutsche Politiker*in, allen voran Kanzlerin Merkel, keinesfalls unterlässt. Parallel zu der in den letzten Jahren zunehmenden faschistischen Repression macht sich der deutsche Staat als Ergebnis dieses Beziehungsgeflechts daran, die oppositionellen kurdischen nationalen Kräfte, die Revolutionär*innen und Kommunist*innen zu kriminalisieren, indem er sie gleichsam als verlängerter Arm der Türkei in Europa mit großem Eifer durch Verfahren und Festnahmen bekämpft. Es ist kein Zufall oder gar von Rechts wegen zwingend, dass der deutsche Staat unter den europäischen Ländern das Zentrum darstellt, von dem die Angriffe auf Ziele, die vom türkischen Staat definiert wurden, ausgehen. (Sagen wir, die Fethullah-Anhänger*innen sind hiervon ausgeschlossen. Denn die Dokumente und Informationen, über die sie verfügen, sichern dem deutschen Staat starke Trümpfe gegenüber dem türkischen Staat. Da diese Gruppe zudem über Jahre den türkischen Staat regiert hat und im Zuge dessen ein gewisses Band zwischen ihnen und den deutschen Staatsvertreter*innen gewachsen ist, werden sie gewissermaßen als „alte Freund*innen“ vorerst nicht ins Fadenkreuz genommen.) 

Angesichts dieser ganz offensichtlichen Entwicklungen gibt es nichts tragikomischeres als dass der deutsche Staat, dessen Polizei, Nachrichtendienste, Justiz hier eine besondere Rolle übernommen haben, von Recht und rechtlichen Gründen spricht. An diesem Punkt muss auf eine andere Gefahr hingewiesen werden, dies sind die unter großen Opfern errungenen demokratischen Rechte. Sie werden, sei es in sozialen, politischen Lebensbereichen, in anderen spezifischen Bereichen oder auf dem Gebiet des Rechts, zurückgeschraubt. Das Problem geht darüber hinaus, dass ich/wir auf Grundlage eines solchen Paragrafen angeklagt werden. „Jedes Verfahren ist ein Warnhinweis auf das nächste“ und beinhaltet allgemeine Zwecke. Die eigentliche Gefahr, die erkannt werden muss, ist, dass das reaktionäre Verständnis sich mit zunehmender Geschwindigkeit verbreitet. 

Sehr geehrter Herr Vorsitzender, sehr geehrte Senatsmitglieder,

 was auf dem Gebiet des Rechts geschieht, ist nicht unabhängig von den wirtschaftlichen und politischen Interessen der Klassen, die die Herrschaftsmechanismen in der Hand haben. Der hier angesprochene Weg der rechtlich-technischen Bewertung zeigt sich in dem Moment, in dem Krisen auf einer bestimmten Stufe als Regulierungs- und Staatskrise zutage treten. Aus diesem Grund muss auf den besonderen Status der rechtlichen und politischen Justiz, die einer bestimmten Ideologie entspricht, ernsthaft eingegangen werden. Diese rechtlich-politische Ideologie nimmt heute einen ähnlichen Platz ein wie die religiöse Ideologie innerhalb der auf der feudalen Produktionsweise basierenden herrschenden Ideologie. Der theoretische und ideologische Hintergrund des Postulates vom starken Staat, welches die zunehmend autoritäre Entwicklung, gar den Aufstieg des Faschismus begleitet, hat mit einer solchen Krise des kapitalistischen Staates und seinem mit dieser Krise verbundenen Wandel zu tun. Wenn wir uns eingehend mit dem Postulat des „starken Staates“, das mit den zunehmenden Klassenkonflikten in den Anfängen des 20. Jahrhunderts, der damit verbundenen Herausforderung des kapitalistischen Systems durch die Arbeiterbewegung sowie mit der offiziellen Etablierung des Faschismus als eine Form der staatlichen Steuerung aufgekommen ist, befassen, wird klarer verständlich, was wir aussagen wollen. Die herrschenden Klassen sind gezwungen, um die Krise überwinden und ihre Herrschaft fortsetzen zu können, ihr Herrschaftsinstrument, insbesondere in solchen Krisen, neu zu organisieren. Jene, die nicht so dumm sind, solch unsinnige Erklärungen des Faschismus wie etwa Hitler oder Mussolini als Psychopathen zu bezeichnen oder etwa deren Persönlichkeitsstörungen anzuführen, wissen, dass die in der Person von Hitler oder Mussolini auf die Bühne getretenen Regimeformen des Staates Modelle darstellen, um das Kapital aus der Reproduktionskrise herauszuführen. Solche Prozesse verlaufen derart, im Kontext unseres Problems betrachtet, dass sie ihnen eigener rechtlicher Regulationen bedürfen. Genau aus diesem Grund bewegen sich der Kapitalismus und die mit ihm verbundenen Beziehungen auf einem niedrigeren Niveau, hat der Faschismus als Regimeform des Staates in Ländern wie der Türkei, die die Halbkolonien des Imperialismus sind, dauerhaften Charakter; und dem entspricht daher auch das Rechtsverständnis dieser Länder. Die Permanenz der ökonomischen Krisen in einem Land, das von den Imperialisten und ihren Kompradoren ständig geplündert wird, und aus diesem Grund auch die sozialen, politischen und Regierungskrisen dauerhaft sind, bedingt für den Fortbestand der herrschenden Strukturen zwingend ein diesen Verhältnissen angepasstes Rechtssystem. Aus den Herrschaftsstrukturen in halbkolonialen, kolonialen, abhängigen Ländern folgt zwingend ein repressives, mit antidemokratischen, restriktiven Gesetzen durchsetztes Rechtsverständnis. Hingegen in kapitalistisch und imperialistischen Ländern, in denen eine bürgerliche Demokratie herrscht, existiert ein Rechtsverständnis, indem Menschenrechte, Freiheiten usw. einen vergleichsweise höheren Stellenwert haben. Der Rückschritt der bürgerlichen Demokratien auf der rechtlichen Ebene, ein Rechtsverständnis, das verstärkt die Orientierung an Staat bzw. Regierung zur Grundlage seines Handelns macht, stellt einen Zustand dar, der genau den neoliberalen Regulierungen entspricht, mit denen die Krise des kapitalistischen Systems überwunden und die Profitraten gesteigert werden sollen. Während mit den neoliberalen Politiken dem Kapital neue Ausbeutungsfelder eröffnet werden, werden zugleich, wie wir alle wissen, öffentliche Unternehmen privatisiert, Arbeiter*innen und Werktätigen wird die Flexibilisierung der Arbeit aufgezwungen, die Produktionsprozesse werden zerlegt und in Billiglohnländer ausgegliedert, in der Folge steigt die Arbeitslosigkeit, die Möglichkeiten der gewerkschaftlichen Organisierung der Arbeiter*innen und Werktätigen werden mehr und mehr eingeschränkt, Sozialleistungen werden kontinuierlich gekürzt, das Renteneintrittsalter wird kontinuierlich heraufgesetzt, die Armut nimmt beständig zu, das Kapital konzentriert sich zunehmend in immer weniger Händen; um immer mehr Ressourcen aus den halbkolonialen und kolonialen Ländern herausholen zu können, wird die Ausbeutung der Arbeiter*innen und Werktätigen weiter intensiviert; die Imperialisten verbünden sich mit den reaktionären Kräften der jeweiligen Regionen und führen dauerhafte regionale Verteilungskriege; einen Teil von diesen Kräften stellen  fundamentalistisch-faschistische Gruppen dar, durch die die Imperialisten innerhalb diese Länder Kriege führen und darin in der einen oder anderen Form selbst involviert sind … Selbst in den bürgerlichen Demokratien werden zunehmend und unverhohlen Eingriffe durch die Exekutive / den Staat in das Recht vorgenommen und diese Eingriffe werden sogar unter verfassungsrechtlichen Schutz gestellt, dies sind die direkten Folgen der von uns beschriebenen Entwicklungen. Die Kräfte des Kapitals wollen ihre absolute Hegemonie sichern. Sie haben sich zum Ziel gesetzt, die Räume, in denen die Akteure des Rechts auf eigene Initiative handeln können, in denen sie eine relative Unabhängigkeit genießen, einzuschränken. Und das ist das Ergebnis, das bei der Lektüre der Bücher über das Recht, mit denen ich mich speziell im Hinblick auf diesen Gesetzesparagraphen beschäftigt habe, herausgekommen ist. 

Sehr geehrter Herr Vorsitzender, sehr geehrte Senatsmitglieder,

die Tatsache, dass die Exekutive, welche als Konsequenz der sogenannten Gewaltenteilung auf keiner Stufe der Rechtsprechung eingreifen soll, speziell in unserem Fall vom Beginn bis zum Ende ganz offen Partei bezogen hat, führt die herrschende Auffassung vom „Rechtsstaat“ ad absurdum. Auf diese Weise wird beabsichtigt, die, wenn auch zum Schein, unabhängigen Akteur*innen der Rechtsprechung zum Teil einer „Befehlskette“ zu machen, zum anderen soll sichergestellt werden, dass die an den Prioritäten der Regierung orientierte Definition der Straftat von den Akteur*innen der Rechtsprechung akzeptiert wird. Für diese Prioritäten wiederum sind die aktuellen internationalen ökonomischen und politischen Interessen maßgeblich. Als natürliches Resultat dieses Verständnisses kann, was heute nicht als „Straftat“ angesehen wird, morgen eine „Straftat“ sein; was gestern nicht als „Straftat“ angesehen wurde, kann heute eine „Straftat“ sein. Denn die Präferenzen der politischen Regime hinsichtlich dessen, wer Freund und wer Feind ist, ändern sich je nach wirtschaftlicher, politischer und konjunktureller Lage. Richtigerweise kann man nur von einem Prinzip sprechen: die Steigerung der Profitrate des Kapitals. Dies lässt sich auch an den Haltungen und Entscheidungen der Staaten in den letzten Jahren beobachten. Gestern noch befreundete Staaten werden plötzlich zu Feinden. Beispielsweise hatte der türkische Staat kurz vor Beginn des Bürgerkrieges in Syrien den syrischen Staatspräsidenten Bashar al-Assad empfangen, die Familie Erdoğan machte gemeinsam mit der Familie von Bashar al-Assad Urlaub. Damals nannte Erdoğan Bashar al-Assad „meinen Freund Bashar“. Als nach nicht allzu langer Zeit Bashar al-Assad die von den USA gemachten und durch die Türkei übermittelten Angebote nicht akzeptierte, waren Erdoğan und der türkische Staat an vorderster Front und der härteste Aggressor, als es darum ging, Assad zu stürzen. „Mein Freund Assad“ war gegangen, der „Mörder Assad“ war gekommen! Genauso verhielt sich Frankreich gegenüber Gaddafi. Der damalige französische Staatspräsident Sarkozy empfing Muammar al-Gaddafi im Elysée-Palast. Im Garten des Palastes hatte Muammar al-Gaddafi seine aus Libyen mitgebrachten Zelte aufgeschlagen. Nicht lange nach dieser „Show der Freundschaft“, als die USA Libyen den Krieg erklärten, waren es französische Flugzeuge, die als erste Libyen bombardierten!  Denn, wenn die Gesetze des Kapitals das Handeln der Menschen, Gesellschaften oder der Staaten lenken und aus Sicht des Kapitals betrachtet das einzige Prinzip die „Profitmaximierung“ ist, wird es hier keinen Platz für Begriffe wie Prinzipien, Freundschaft, Gewissen und Güte geben. 

Sehr geehrter Herr Vorsitzender, sehr geehrter Senat,

 betrachten wir die Beziehungen zwischen der Türkei und Deutschland in den letzten Jahren. Der türkische Staat wurde selbst vom BND als Zentrum des islamistischen Terrorismus bezeichnet und seine Beziehungen zu den islamistischen Banden wurden aufgedeckt. Diese islamistischen Banden haben in vielen Ländern Europas Menschen ermordet, in Deutschland zu Dutzenden . Der türkische Staat hat in Türkisch-Kurdistan hunderte Menschen ermordet  Eine Vielzahl von Abgeordneten und gewählten Bürgermeister*innen wurde verhaftet. Der türkische Staat hat Syrien de facto besetzt. Bei der Besetzung Libyens ist er einer der wichtigsten Akteure. Um die Pressefreiheit ist es in der Türkei weltweit am schlechtesten bestellt, was die inhaftierten Journalist*innen betrifft, nimmt sie den ersten Rang ein. Erdoğan hat Europa anhand der islamischen Banden bedroht und nach jeder Drohung kam es zu Massakern in Frankreich, Belgien und Deutschland.Was hat der deutsche Staat gegen all dies getan? Merkel ist zwei Wochen vor den Neuwahlen 2015, bei denen Erdoğans Niederlage fast schon besiegelt war, in die Türkei gereist; sie hat sich entgegen der Gepflogenheiten ausschließlich mit Erdoğan getroffen und die Botschaft gesendet: „Deutschland und damit auch die Europäische Union stehen hinter dir!“ Und die Türkei hat nach dem Anschlag auf gezielt ausgesuchte deutsche Tourist*innen, bei dem 12 deutsche Staatsangehörige ermordet wurden, eine bezeichnende Erklärung veröffentlicht, um die Beteiligung türkischer Offizieller zu vertuschen. Während in der Türkei und Syrien Kurd*innen ermordet und kurdische Gebiete in Syrien gemeinsam mit islamistischen Banden besetzt wurden, verlautbarten die Türkischen Offiziellen „Von hier aus wird unser Staatsgebiet angegriffen“; obgleich man sehr wohl wusste, dass dies vollends erlogen war. Vertreter*innen des deutschen Staates haben sich mit den Worten „Der türkische Staat hat das legitime Recht, sich zu schützen und den Terror zu bekämpfen“ mit Nachdruck unter den Unterstützer*innen der Besatzer in vorderster Front eingereiht. Als sei es nicht genug, deutsche Journalist*innen und Fernsehreporter*innen wurden auf  Grund negativer Berichtserstattung über Erdoğan „wegen Präsidentenbeleidigung“ angeklagt. Gegen Menschen, die aus Freude über deren Kampf gegen den IS in den sozialen Netzwerken die Fahne der YPG zeigten, wurden auf Druck Erdoğans und der türkischen Regierung Strafverfahren eingeleitet. Schauen Sie sich die Paradoxie an, während auf der einen Seite einige Staaten unter der Führung der USA, darunter auch Deutschland, die YPG im Kampf gegen den IS mit Waffen, militärischer Ausrüstung und auch politisch unterstützten, hatte andererseits der deutsche Staat kein Problem mit dem Widerspruch, das Tragen der YPG-Flagge strafrechtlich zu verfolgen. Wenn Sie nach dem Grund hierfür fragen, liegt die Antwort, wie es in der Verfahrensakte des deutschen Staates formuliert wurde, in den „außenpolitischen Interessen der Regierung“ verborgen. 

Je mehr Erdoğan sich mit den Worten „Deutschland und Europa unterstützen die Terroristen, ich habe Merkel 4.000 Akten übergeben“ echauffierte, desto mehr Gas gaben die Sicherheitskräfte des deutschen Staates bei der Jagd auf Kurd*innen sowie Revolutionär*innen/Kommunist*innen aus der Türkei. Die, die bis gestern keine Terrorist*innen waren, wurden aus den selben Gründen und wegen ihrer angeblichen Mitgliedschaft in den selben Organisationen ganz plötzlich als fanatische Terrorist*innen bezeichnet, verhaftet und in die Gefängnisse geworfen. 

Derweil verübten IS-Mitglieder weiterhin ein Massaker nach dem anderen, aber die deutschen Sicherheitskräfte hatten ja die „eigentlichen“ Terrorist*innen bereits verhaftet, das war das, was wichtig war. 

Die sogenannte Unabhängigkeit der Richter*innen, die Prinzipien des Richterberufs, welche Konsequenzen ziehen Sie daraus? Kann man sich mit den Worten „Die Verfassung hat die Regierung mit diesen Rechten ausgestattet“ herausreden? Wenn man mit Hilfe einer solchen Antwort seine Haltung, sein Tun als legitim akzeptiert, empfindet man dann seine Rechtsprechung als gerecht? Sagen wir, diese Fragen soll jeder mit seinem Gewissen, seinem Verständnis von Recht und Gerechtigkeit gemäß, den Werten entsprechend, die er sich zu eigen gemacht hat, beantworten. Womit ich nunmehr fortfahre.

Sehr geehrter Herr Vorsitzender, sehr geehrte Senatsmitglieder, 

das herrschende Rechtsverständnis, die den „Zurückgebliebenen der Welt“ als vorbildlich vorgeführte Auffassung vom „Rechtsstaat“ als unverzichtbaren Bestandteil der bürgerlichen Demokratie, entblößt auf diese oder ähnliche Weise seine eigene Wirklichkeit und offenbart zugleich seine Legende vom Recht, das „unabhängig ist und über allem steht“. Weshalb kommen wir zu diesem Ergebnis? 

Der „formale Rechtsstaat“ nimmt den Standpunkt ein, sein Selbstverständnis habe sich dahingehend gewandelt, dass im Zentrum der Werte, die ihrem Inhalt nach den Staat in die Schranken weisen, die Menschenrechte stehen. Eine Vielzahl von Jurist*innen weist auf die Gefahr hin, dass im Fall einer deutlichen Abweichung von diesem Verständnis sämtliche Fortschritte und Errungenschaften auf dem Gebiet des Rechts vernichtet würden. Dass die Entwicklung in diese Richtung geht, ist eindeutig. 

Es existiert eine Herangehensweise, die die Grundlage dieses Verständnisses bildet und gefährliche Auswirkungen in sich birgt. Dem müssen sich die Menschen und vor allem die Jurist*innen, die sich auf die fundamentalsten demokratischen Normen und Werte berufen, entgegenstellen. Nachdem aus der Herrschaft des Faschismus Lehren gezogen worden sind und dieser verurteilt  wurde, wird aufs Neue eine perfide Wende vollzogen, diesmal unter der Bezeichnung des „Krieges bzw. Kampfes gegen den Terror“. Wenn Sie den Entscheidungen dieser Mechanismen einen Status geben, der sie über die Gesetze stellt tritt genau an diesem Punkt die „Nichthinterfragbarkeit“ der staatlichen Entscheidungen und somit die Unantastbarkeit des  „heiligen Staates“ zu Tage. 

Im Faschismus bzw. der faschistischen Organisierung des Staates und nach dem Rechtsverständnis in der Türkei und in vergleichbaren Ländern sind die Instrumentarien der Herrschaft mit einem „Heiligenschein“ versehen; zu deren Mechanismen zählen die Institutionen der Rechtsprechung, diese agieren als Repräsentanten und Anwender dieses Rechtsverständnisses. Die „Staatssicherheitsgerichte“ sind genau im Rahmen dieses Verständnisses gebildet worden. Die aktuell existierenden „Gerichte für schwere Strafen“ arbeiten nach der gleichen Logik. Die Kräfte, die den Staat in der Hand haben, der Staatspräsident oder die Minister kritisieren in aller Öffentlichkeit die Gerichtsurteile, die ihnen missfallen, und es ist natürlich keine Intervention, die auf die Kritik beschränkt bleibt; zugleich werden die der Regierung missfallenden Urteile durch andere Gerichte, die außerhalb der Gerichtsstrukturen der Gerichte sind, die die Urteile gesprochen haben, nach dem Wunsch der Regierung geändert und neu erlassen. 

In der Türkei (und in allen anderen Staaten auch) bedeutet jeder Eingriff in die Rechtsprechung die jeweils für sie spezifische Gestaltung der Herrschaftsstruktur durch die jeweiligen Regierungen. Im Verlauf der von Erdoğan und der AKP-MHP geführten Regierungen wurde anhand der Eingriffe der Exekutive das gesamte Rechtssystem, allen voran die höchsten Rechtsprechungsorgane wie das Verfassungsgericht, der Oberste Gerichtshof, das Oberste Verwaltungsgericht, das Oberste Finanzgericht als Teil der Herrschaftsform der herrschenden Kräfte neu strukturiert, vom Wahlsystem bis zur Neubestimmung seiner einzelnen Elemente. Tausende Justizangehörige, die nicht auf einer Linie mit der Regierung und ihr gegenüber nicht weisungsgebunden waren, wurden entfernt und ins Gefängnis geworfen. An ihre Stelle wurden massenweise Justizangehörige gesetzt, die dann der Befehlskette der Regierung unterstellt waren. Aktuell sind die der Regierung kritisch gegenüberstehenden Anwaltskammern zur Zielscheibe geworden. Erdoğan erklärte, dass das Wahlsystem der Kammern geändert werden müsse und das Parlament so schnell wie möglich handeln solle. Was passieren wird, ist klar. Mit großer Wahrscheinlichkeit wird zu einem geeigneten Zeitpunkt eine bereits vorbereitete Regelung ins Parlament eingebracht und mit den Stimmen von AKP und MHP durchgewunken. Sie wird vom Verfassungsgericht bestätigt und die Anwaltskammern werden vollends in den Dienst der Regierung gestellt werden. 

Sehr geehrter Herr Vorsitzender, sehr geehrte Senatsmitglieder, 

dieses Verfahren wird in Deutschland durchgeführt. Sie werden besser wissen als ich, was für einer Katastrophe eine Rechtsprechung ist, die unter der Kontrolle der Exekutive steht und nach dem Willen der Exekutive handelt. Die Entwicklung der bürgerlichen Demokratie hat große Opfer gefordert. So sehr die Rechtssysteme ihren auf den Interessen der herrschenden Klassen gründenden Status gewahrt haben, haben trotzdem fortschrittlichere Gesetze in sie Eingang gefunden. Hierzu haben die Klassenkämpfe sowie auch die Jurist*innen, für die die Verteidigung menschlicherer, freiheitlicher, demokratischer Werte im Mittelpunkt ihrer Tätigkeit steht, und die bestrebt sind, die Rechte und Freiheiten des*der Einzelnen gegenüber dem Staat zu schützen, beigetragen. Sogar in der Türkei, wo der unabhängige Handlungsspielraum für Jurist*innen noch viel eingeengter ist, gab es derartig fortschrittliche Regelungen. Auch wenn es paradox ist, nach dem Militärputsch von 1960 wurden in der Verfassung das Streikrecht, Kundgebungsrecht und Demonstrationsrecht anerkannt; diese Rechte sind dann, wenn auch nur für kurze Zeit, in die Gesetze eingegangen. Natürlich dauerte dieser Zustand nicht lange an. Mit den faschistischen Juntas, die sich in den Jahren 1971 und 1980 an die Macht putschten, wurden all diese Rechte wieder zurückgenommen. 

Trotz allem muss gesagt werden, dass jeglichen faschistischen Repressionen und Drohungen zum Trotz es innerhalb der juristischen Kreise weiterhin Menschen gab, die sich nicht der Befehlskette des Staates unterwarfen, die gemäß ihrer eigenen ethischen Werte und ihrem Gewissen folgend Stellung bezogen haben. In der Konsequenz mutiert ein Rechtssystem, das eine Regierungs- bzw. Staatsstruktur hinnimmt, die die Hinterfragung ihrer Entscheidungen nicht zulässt, unweigerlich zu einem Organ der Regierung, das sich nunmehr innerhalb deren Befehlskette zu bewegen hat. 

Sehr geehrter Herr Vorsitzender, sehr geehrte Senatsmitglieder, 

  • die Entscheidungen der Regierung unter der Maske „außenpolitischer Interessen“ zu verschleiern und sie damit außerhalb der Befugnisse des Gerichts anzusiedeln, heißt, dass der wahre Grund der Entscheidung sogar vor der Justiz geheimgehalten wird. Wie Sie wissen, werden „schmutzige Geschäfte“ hinter verschlossenen Türen geplant. Genau so, wie es ganz besonders in den letzten Jahren in der Türkei in noch drastischerer Form geschehen ist. Das herrschende Verständnis, das sich der Kontrolle entzieht ist in der folgenden Aussage des Vertreters der Anklage enthalten: Der Zweck der Zurückhaltung hinsichtlich der Strafverfolgung besteht darin, dass sie für den Fall damit einhergehender unverhältnismäßiger außenpolitischer Nachteile die Möglichkeit des Rücktritts vom Strafverfahren gewährleistet.“ Das ist interessant und von erschreckender Beispielhaftigkeit, wie allein durch diesen Satz vorgeführt wird, wie durch eine gesetzliche Bestimmung und ein Verfahren ein „Terrorist* bzw. eine „Terroristin““ kreiert wird. Schauen wir uns diesen Satz an: „für den Fall damit einhergehender unverhältnismäßiger außenpolitischer Nachteile (ist) die Möglichkeit des Rücktritts vom Strafverfahren gewährleistet“. Wie müssen wir das verstehen? Geht es hier um eine Rechtsauffassung oder wird Politik gemacht? Was müssen wir unter „unverhältnismäßigen außenpolitischen Nachteilen“ verstehen? Und wenn nur unter dieser Voraussetzung das Verfahren eingestellt wird, wäre dann ein möglicher Krieg zwischen der Türkei und Deutschland der Grund für eine Einstellung? Oder würde das Verfahren eingestellt werden, wenn der türkische Staat den Betrieb von, soweit bekannt ist, 6500 in der Türkei tätigen deutschen Unternehmen einstellen würde? Die TKP/ML ist die „Terrorganisation“ und wir die „Terrorist*innen“? Das heißt also, in so einem Fall wären wir dann „anständige Bürger*innen“, da es aber nicht der Fall ist, sind wir weiterhin „Terrorist*innen“. Wenn wir auf der Grundlage des bestehenden Verständnisses fortschreiten, sind die Exekutive sowie deren weisungsgebundene Instanzen bei jedem Schritt die Entscheider! 

Wenn dem Senat bereits zu Beginn des Verfahrens die Hände gebunden sind oder die Senatsmitglieder eine Anklage auf Grundlage dieses Paragraphen als recht und billig anerkannt haben, kann der Senat dann ein unabhängiges und gerechtes Urteil sprechen?

 In diesem Paragraphen ist selbst im bürgerlichen Verständnis die „Gewaltenteilung“ auf den Müll geworfen worden. Denn maßgeblich ist, dass „diese Bestimmung den ohnehin schon sehr großen Handlungsspielraum der Exekutive ausweitet. (…) die Bestimmungen ist der Vorrangigkeit des Außenpolitik angepasst (…)“ (so Schäfer im Münchener Kommentar.). Wenn es sich so verhält, bleibt zu sagen: „Aus Sicht der bürgerlichen Ideologie ist von keinerlei Bedeutung, ob eine Lehre richtig oder falsch ist. Wichtig ist, ob eine Lehre für das Kapital nützlich oder schädlich ist; ist sie für das Kapital beruhigend oder beunruhigend; ist sie aus Sicht des Kapitals rechtskonform oder rechtswidrig“.

Die Tatsache, dass die Exekutive die Judikative in einem dermaßen dreisten Ausmaß bestimmt und steuert, erfordert es, das „Rechtsstaatsverständnis“ zu hinterfragen. Ganz gleich, ob in Bezug auf die Person, die zum Objekt des Verfahrens gemacht wurde, oder in Bezug auf das Bestrafungsprozedere der Begriff der „politischen Entscheidung“ angewandt wird oder nicht; wenn die „rechtlichen Mechanismen der Terrorbekämpfung“ gänzlich durch den Einfluss der Exekutive bzw. der Polizei gestaltet werden, ist die Verteidigung des „Rechtsstaates“ nur noch reine Demagogie. 

Ein auf die sogenannte „Terrorbekämpfung“ ausgerichtetes Rechtsregime orientiert sich an einem unbestimmten Feindentwurf ohne klar gezogene Grenzen. Da „Terrortaten“ bereits im Vorfeld bestraft werden, wird erst mit einer Entscheidung oder der Handlung der Sicherheitsorgane festgestellt werden, wann und wie die Tat begangen worden sein soll. Der vage Charakter von sogenannte „Terrortaten“ eröffnet der Exekutive nicht nur einen weiten Ermessensspielraum, mit einem Konstrukt, das „Täter“ und „Feind“ gleichsetzt, es entsteht vielmehr ein Rechtsregime, dass im Grunde auf den Eingriff der Exekutive angewiesen ist und selbst durch diesen Eingriff charakterisiert ist. Im Ergebnis wird in diesem Regime die Rechtsprechung als Ganzes instrumentalisiert, es wird zu einem Rechtsgebiet, das durch die Entscheidungen und Neigungen der Exekutive  bestimmt und auf die Ausführungsmethoden der Polizei gestützt ist. In einem Rechtsregime, in dem die Exekutive  und die Polizei festlegt, durch welchen Täter und in welcher Form „Terrorismus und Terrortaten“ verübt werden, verliert das Gesetzlichkeitsprinzip seine Funktion. Mit der Bestimmung des Feindes durch eine politische Entscheidung ist der Boden für eine willkürliche Bewertung und die Intervention durch die Exekutive bereitet. Was gestern noch keine Straftat war, kann heute eine sein.  Die Arbeit der sogenannten „Antiterrorgerichte“ als Teil der polizeilichen Arbeit realisiert sich in zwei Richtungen:  Erstens, die Gerichte führen ihre Verfahren auf Grundlage des von der Polizei festgelegten Rahmens. In der vorgerichtlichen Phase wird der „Feind“ bestimmt, richtiger gesagt, wird der Täter als Wiedergabe des „Feindentwurfs“ geschaffen. Zweitens, für die polizeiliche Arbeit werden durch den Einsatz polizeilicher Ermittlungsmethoden auf Grundlage des dem Feindentwurf entsprechenden bestrafungsfähigen Tattyps neue Seiten und Befugnisse. So wird ein ganzes Strafrechtssystem in den Händen der Politik und seiner ausführenden Kräfte instrumentalisiert. 

Sehr geehrter Herr Vorsitzender, sehr geehrte Senatsmitglieder, 

das Recht und die Gesetze sind nicht vom Himmel gefallen. Beobachten wir den Verlauf der Geschichte, sehen wir, dass das Rechtsverständnis sowie die Gesetze sich den jeweiligen Epochen und zeitgenössischen Umständen entsprechend gestalten. Das Recht erfüllt seine Aufgabe dadurch, dass es die bestehende Ordnung sichert. Was wir Ordnung nennen, ist nicht abstrakt, sondern es ist konkret. Und der Name dieser Ordnung lautet Kapitalismus. Weltweit formt sich sämtlicher politischer Überbau, der Staat, die Politik, die Kultur, das Recht, die herrschenden Weltanschauungen n usw. auf dem Boden dieser Ordnung. Marx formulierte dies wie folgt: 

„Seien es die rechtlichen Beziehungen, seien es die Staatsformen, sie lassen sich weder für sich allein noch durch die angebliche Evolution des menschlichen Verstandes erklären. Die Wurzeln von beidem liegen, wie es Hegel … zusammengefasst hat, in den materiellen Lebensbedingungen. Die innere Struktur der besagten Zivilgesellschaft ist jedoch in politischen Ökonomie zu suchen (…) Die Menschen gehen in der gesellschaftlichen Produktion, die sie betreiben, um zu leben, gezwungenermaßen eine Reihe von bestimmten Beziehungen ein, die von ihrem Willen unabhängig sind. … Die Gesamtheit der Produktionsverhältnisse bildet die ökonomische Struktur sowie die konkrete reale Basis der Gesellschaft. Auf dieser Basis errichtet sich ein rechtlicher und politischer Überbau. Dem Überbau wiederum entsprechen bestimmte Bewusstseinsformen. … Das Sein der Menschen wird nicht durch Ihr Bewusstsein bestimmt, genau umgekehrt, es ist ihr Sein, dass das Bewusstsein der Menschen bestimmt.“

(Marx, Zur Kritik der politischen Ökonomie, Vorwort)

Das bestehende Strafrecht hat Ähnlichkeiten mit dem Verständnis des Inquisitionsrechts, das historisch aus einer vergleichbaren Logik heraus entwickelt und angewandt wurde.  . Die Methoden des herrschenden Systems und der herrschenden Kräfte, ihrer Existenz Legitimität zu verschaffen und gegen diejenigen, die ihrer Ansicht nach eine Gefahr für diese Herrschaftsstruktur darstellen könnten, mit Unterdrückung, Einschüchterung, Assimilierung und Vernichtung vorzugehen, sind nahezu identisch. Genauer ausgedrückt, da Ausgangspunkt und das angestrebte Resultat gleich sind, ist es lediglich die Form der Mittel, die für den gleichen Zweck eingesetzt werden, die unterschiedlich ist. Der Zeit der Inquisition trat ein, als die herrschende feudale Infrastruktur zunehmend an Einfluss verlor. Mit dem aufkommenden neuen Zeitalter haben die feudalen Klassen und die Kirche als ein Mittel, den Verlust ihrer unantastbaren Autorität, von der sie glaubten, sie sei ihnen von Gott selbst verliehen worden, zu verhindern, die Inquisitionsgerichte ins Leben gerufen. Die grundlegende Ähnlichkeit mit der Epoche, in der wir leben, besteht darin, dass das kapitalistische System seine Existenz mit den es begleitenden ökonomischen und politischen Krisen aufrechterhält. Von Tag zu Tag zunehmender Hunger und steigende Armut, die Zerstörung der Natur zugunsten steigender Profite des Kapitalismus, nicht enden wollende Kriege, sowohl vom Hunger als auch von Kriegen getriebene Fluchtbewegungen auf nationaler und internationaler Ebene, soziale Explosionen infolge sich vertiefender Klassenwidersprüche zeigen, dass der Kapitalismus entgegen der ganzen Demagogie mehr und mehr verfault. Die im Niedergang befindlichen herrschenden Kräfte des wilden Kapitalismus sind gezwungen, um ihren Fortbestand zu sichern, das Bewusstsein der Massen zu beherrschen, sie von den wahren Problemen und deren Ursachen abzulenken. Deshalb wurde das Argument vom „Terror“ und der “Terrorbekämpfung” als äußerst brauchbares Instrument ins Spiel gebracht. Auf der einen Seite sollen die Massen in einer Spirale der Angst gehalten werden, auf der anderen Seite sollen sich die Massen innerhalb dieser Angstspirale in einem Zustand der Unsicherheit fühlen, um auf diese Weise deren Unterstützung und aktive Teilnahme zu sichern. 

Die inquisitorische Methode markierte eine historische Transformation der Rechtsprechungstechniken, da sie sich nicht die Herstellung der Gerechtigkeit, sondern darauf abzielte, den „Täter“ zum Geständnis einer im Vorhinein konstruierten Wahrheit zu zwingen. Die Anwendung dieser Techniken wandte sich zunächst gegen Glaubensgemeinschaften, die gemäß der Kirchendoktrin zu Häretiker*innen erklärt wurden, und nahm über diese die Konstruktion einer politischen Wahrheit auf. Inquisition – Latein: „inquisitionem“ – bedeutet Ermittlung. Diese Ermittlungstechnik ist eine Rechtsprechungstechnik, die in Europa lange Zeit die vorherrschende war. Die Strafgerechtigkeit der Inquisition beruht nicht auf der Erteilung einer „gerechten“ Strafe, sondern auf der Erlangung eines Geständnisses über die „Wahrheit“. 

Wenn wir aus der Geschichte auf die Gegenwart zurückkommen, sehen wir, dass die herrschenden Klassen auch in den „Terror“-Verfahren sich um die Rekonstruktion ihrer „Wahrheit“ bemühen. Heute sind an die Stelle Gottes der Staat / die Regierung und der Inquisitoren die Polizei / die Staatsanwaltschaft und schließlich die Gerichte getreten. In den Prozessen der Rechtsprechung wird um die Rekonstruktion der „Wirklichkeit“ der herrschenden Klassen bemüht. Anhand der Behauptung der „Inbrandsetzung des Bezirksamtsgebäudes“, die in den Verfahrensakten einen der Beweise für das Wesen der TKP/ML als einer „terroristischen Organisation“ darstellen soll, können wir exemplarisch aufzeigen, wie problematisch die vorherrschende Logik funktioniert: Im Juni 2013 fanden in allen Städten der Türkei Proteste gegen die Regierung statt, an denen Millionen von Menschen teilnahmen. Wenn wir annehmen, dass das besagte Ereignis bzw. Behauptung wahr wäre, hätte es im Juni 2013 stattgefunden. Also sprechen wir von einer Zeit, in der die ganze Welt besorgt zuschaute, wie Millionen von Fortschrittlichen, Laizist*innen, Demokrat*innen, Sozialist*innen, Feminist*innen, LGBT-Personen usw., die gegen die AKP waren, in allen Städten der Türkei einen Monat lang Demonstrationen durchführten. Man sollte an dieser Stelle hervorheben, dass Erdoğan und AKP-Funktionär*innen mehrmals behaupteten, dass hinter den Ereignissen deutsche Stiftungen – wie die Konrad Adenauer Stiftung – und Agenten stecken würden. Die Proteste fingen damit an, dass eine Gruppe von Umweltaktivist*innen dagegen opponierten, dass die Bäume im Gezi-Park gefällt werden. Als Abgeordnete und Vertreter*innen demokratischer Organisationen, die vor Ort waren, um jene Gruppe zu unterstützen, von der Polizei mit Tränengas und Schlagstöcken angegriffen wurden, breiteten sich die Proteste in der ganzen Türkei aus. Die Reaktionen beschränkten sich nicht auf die Wut gegen die Umweltzerstörungen.  Was diesen Funken zu einem Schwellenbrand machte, war die Wut gegen die Praktiken der Erdoğan-AKP-Regierung, die die Türkei Schritt für Schritt in ein faschistisches Regime verwandeln wollen, in dem islamische Werte vorherrschen. In dieser Zeit wurden 8 Menschen, darunter ein 14-jähriges Kind, durch Kugeln und Gasbomben der Polizei und durch Lynchen starben. Nach offiziellen Zahlen wurden 8.000 Menschen verletzt. Die ganze Welt protestierte gegen die Brutalität der türkischen Staatskräfte und der AKP-Milizen gegenüber den Demonstrant*innen. Angela Merkel gehörte zu denjenigen, die während dieser ganzen Barbarei ihre Stimme am meisten erhoben. Dass Angela Merkel im Jahr 2014 zur Beschützerin Erdoğan wurde, ist eine unglaubliche 180 Grad-Wende; aber damals gehörte sie zu den Politiker*innen, die die Praktiken der Erdoğan- und AKP-Regierung am härtesten kritisierten. Das Ereignis, das unter dem Namen „Inbrandsetzung des Bezirksamtsgebäudes“ in unsere Akte aufgenommen wurde, fand also – wie man es auch dem Datum entnehmen kann – zur Zeit dieser Ereignisse statt. Wir versuchten auch die Gezi-Ereignisse einen Monat lang zu verfolgen, sahen aber kein Bezirksamtsgebäude, das in Flammen stand. Aber lassen Sie uns sagen, die Inbrandsetzung oder der Versuch einer Inbrandsetzung des Bezirksamtsgebäudes hätte tatsächlich stattgefunden. Von was für einer Vernunft stammt es, dass man sich einen Prozess anschaut, in dem Demonstrant*innen vor den Augen der ganzen Welt einer großen Barbarei ausgesetzt wurden, acht Demonstranten ermordet wurden, 8.000 Menschen unterschiedlichste Verletzungen erlitten, zu denen Blendungen und Verkrüppelungen zählten, die dann die „Inbrandsetzung eines Bezirksamtsgebäudes“ zum Terrorismus erklärt? Also Menschen zu töten, sie zu blenden, zu verkrüppeln, zu lynchen, sie einen Monat lang einer großen Barbarei auszusetzen, ist kein Terrorismus; aber die „Inbrandsetzung des Bezirksamtsgebäudes“, deren Wahrheit und Dimensionen umstritten ist, ist Terrorismus! Sollen wir also aus dieser Logik folgende Konsequenz ziehen: „Vater Staat“ darf prügeln, töten, foltern und verkrüppeln. All das gehört zum Staat-Sein, zur Wiederherstellung der Ordnung dazu; all das ist normal. Das Lebensrecht der Bürger*innen, ihre Forderung nach einem menschenwürdigen und freien Leben, ihre Freiheit zu denken und ihre Meinungen zu äußern, ihr Organisierungs- und Demonstrationsrecht, ihre sozialen, politischen und kulturellen Forderungen, der Naturschutz… all das sind dagegen provokative Worte, die die Komunist*innen, Feinde des Staates und des Kapitals vom Teufel übernommen haben!

Sehr geehrter Herr Vorsitzender, sehr geehrte Senatsmitglieder,

auch gemäß des im Jahr 2005 in der Türkei in Kraft getretenen Gesetzes Nr. 5237 des Türkischen Strafgesetzbuches ist der Staat heilig. Die Grundausrichtung besteht darin, den Staat zu schützen und zu diesem Zweck die persönlichen und kollektiven Freiheiten einzuschränken. Das Eigentum ist wichtiger als der Mensch. Das Gesetz wurde einer faschistoiden Auffassung der „Staatspersönlichkeit“ unterworfen. Mit dem in die Begründung des Gesetzes eingegangenen Begriff „Schutzbereich des Staates“ ist der Staat gleichsam als eigene „Persönlichkeit“ zu verstehen. Die Qualifizierung des Staates als „Persönlichkeit“ konstituierte historisch das rechtliche Fundament der staatlichen Macht des italienischen Faschismus, welches, vom Individuum abstrahiert, zum Zwecke des Schutzes der Staatsinteressen bzw. der nationalen Interessen die Macht besitzt, Freiheitsräume nach Belieben zu beschränken. Diese Arten von Straftaten sind solche, deren Zweck es ist, den Staat, der sich vor der Freiheit fürchtet, gegen das Individuum zu schützen. 

Sehr geehrter Herr Vorsitzender, sehr geehrter Senat,

da ein solches Strafrechtsverständnis das Produkt einer Sichtweise ist, die sich innerhalb der von der Fixierung auf den Staat gesetzten Grenzen bewegt, liegt diesem Verständnis auch die Idee einer Begrenzung der staatlichen Macht fern. Die Tatsache, dass der Staat entscheidet, wer dessen Feind ist, eröffnet dem Staat eine enorme Machtquelle. Auf Grundlage der Annahme, dass eine Person die Rechtsordnung nicht anerkennt und mithin ihre Unschuld verliert, verlieren die Grundrechte ihre Gültigkeit; und mit Anerkennung einer vermeintlichen Gefährlichkeit nimmt die Einschränkung der Rechte noch fatalere Ausmaße an.“

Nach diesem Verständnis des Strafrechts ist der von der Bourgeoisie herausgeputzte Rechtsstaat bankrott gegangen und sein Anstrich der “Unabhängigkeit” abgeblättert.  Je nachdem, in der Hand welcher Macht der sich als Staat bezeichnende Mechanismus sich befindet, deren Lied wird er singen, sogar in der gewünschten Tonart. Dieses Feld stellt zugleich auch ein Schlachtfeld zwischen den Regierenden/Herrschenden dar. Zu welchen Folgen diese Art des Rechtsverständnisses führen kann, sehen wir in der jüngeren Geschichte der Türkei am Beispiel der Auseinandersetzung zwischen der Fethullah-Gülen-Gemeinde und der in Erdoğan personifizierten Gruppe. 

In einem System, in dem es Klassen und Staat gibt, wäre es ein unsinniges Unterfangen, von einer reinen, unabhängigen und unparteiischen Rechtsprechung zu reden. 

Jedoch könnte es als Folge der Errungenschaften der Unterdrückten wie auch der Rechtsverfassung der Menschenrechte bis zu einem gewissen Grade eine relative Tendenz in die Richtung dieser Utopie geben. Wäre eine solche Tendenz möglich? Die humanitären und freiheitlich orientierten Juristen würden diese Frage zweifellos mit einem “ja” beantworten. Jedoch nur bedingt… Wenn das Recht jedoch beginnt, im Kampf mit dem Feind innerhalb des Kriegsrechts zu fungieren, ist es die Waffe des Souveräns, dann ist es ganz und gar an den Staat gebunden. Die “Unschuldsvermutung” räumt ihren Platz für die “Schuldvermutung”. Nicht der/die Angeklagte wird Nutznießer bzw. Nutznießerin des Zweifels sein, sondern der Staat. Die Anti-Terror-Gesetze eröffnen diese Möglichkeit.  Der deutsche Staatsrechtler Carl Schmitt – der sich auch für das Hitler-Regime engagierte – formulierte, dass “deren Zweck es ist, das Recht von seinen Fesseln zu befreien…”. Der Zweck ist der Fortbestand der politischen Ordnung, die geltenden Normen wiederum stellen das Recht dar. Mit anderen Worten stellen die Tatsachen, vor denen wir stehen, die Normalisierung des Ausnahmezustands mit diversen rechtlichen Methoden dar. 

Sehr geehrter Herr Vorsitzender, sehr geehrter Senat,

dass die Exekutive bzw. politische Macht die Fäden der Rechtsprechung in die eigenen Hände nimmt, ist im bürgerlichem Sinne die Konkretisierung des Übergangs vom sogenannten “Rechtsstaat” zum “Recht des Staates”. 

Die Identität und die Inhaltliche Definition des “Feindes”, welche nicht anhand rechtlicher Kriterien und Massstäbe zu bestimmen sind, münden in einen relativen, politisch charakterisierten “Feindesentwurf”, der nach den Prioritäten, Strukturen und Positionen des politischen Sektors festgelegt wird. Aus dieser Perspektive wird das Terrorbekämpfungsrecht, das im Grunde ein seitens der Regierenden gegen die beherrschten Klassen gerichtetes Betrafungsrecht ist, mit seiner von politischen Entscheidungen und Krisen abhängigen fragilen Struktur, zugleich zu einem Bestrafungsinstrument, das die verschiedenen Bestandteile des herrschenden Blocks gegeneinander einsetzen können (so wie es am Beispiel des Ergenekon-Verfahrens und der Erdoğan-Fethullah-Auseinandersetzung zu sehen ist.)

Die Denkform, auf deren Grundlage das Recht gegen die Gegner des herrschenden Rechts und der herrschenden Ordnung eingesetzt wird und diese bekämpft werden, ist seit frühen Zeitaltern gültig und existiert bis heute kontinuierlich fort. Sie bildet die Grundlage der an die Unterscheidung von Freund und Feind angelehnten Denkweise. 

Das 20. Jahrhundert ist eine Epoche, in dem nahezu in allen Formen politischer Regime sich dieses Verständnis vom Bestrafungsrecht gegen jene, die als Feinde der geltenden Ordnung angeprangert wurden, als herrschende Denkweise verbreitet hat. In diesem Jahrhundert ist dies in allen Formen bürgerlicher Staaten deutlich zu sehen. In liberalen Staaten wurden die Strafen für viele Straftaten politischer Natur verschärft; auch wenn diese keine Gefahr darstellen und folgenlos bleiben, es ist ein Bestrafungsregime vorgesehen, dass sogar einfache Vorbereitungshandlungen unter Strafe stellt.  

İn Epochen des Faschismus wurde das Verständnis von der „Feindbekämpfung“, auf härteste Weise umgesetzt. Für Täter wurde eine Sonderjustiz gebildet, deren Behörden im Hinblick auf die Ernennung der Richter, die Form des Verfahrens und die prozessualen Verfahrensweisen vom gängigen Rechtssystem entkoppelt wurden. 

Analysiert man die historischen und gesellschaftlichen Prozesse, so gehen die herrschenden Klassen gegen die von ihnen beherrschten Klassen sowie gegen eine andere Schicht, die um die Herrschaft kämpft, kontinuierlich und systematisch in Methode und Denkweise gleich vor. 

Die Erklärung zum Feind bedeutet, dass „in einer entscheidenden Situation von der Entscheidungsbefugnis“ Gebrauch gemacht wird. Mit dieser „Entscheidung“ wird der „Feindbekämpfung“, einschließlich des Tatausmaßes, innerhalb des „Rechtssystems“ Sinn gegeben. Hierbei handelt es sich um ein Verständnis, das in der Feindbekämpfung das normative Recht nicht ablehnt, mehr noch die Rechtsnormen innerhalb dieser Bekämpfung funktionalisiert, aber falls erforderlich auch „faktische“ Kampfformen als legitim betrachtet. Dieses Verständnis konkretisiert sich schließlich in Begriffen wie „Ausnahme“ und „Ausnahmezustand“. Der Souverän und die Herrschaft sind heilig, folgerichtig entscheidet der Souverän über den Ausnahmezustand!

Sehr geehrter Herr Vorsitzender, sehr geehrter Senat,

das feindorientierte Strafrecht wurde, im Unterschied zum Ausnahmezustand, der in sogenannten „Notstandssituationen“ als legitim erachtet wird, im modernen Strafrecht als dauerhafter Teil eine Ganzen formuliert. Damit, dass über die Identität des Feindes die Polizei, bzw. die Legislative, entscheidet, ein ganzes Rechtsprechungssystem funktionalisiert bzw. gesteuert wird, ist die „politische Entscheidung“ in einer spezifischen Form in das geltende Rechtssystem eingegangen, mit diesem verschmolzen und erlangte damit die charakteristische Fähigkeit, sich mit jedem weiteren Schritt reproduzieren zu können. Die Regulierungen, die zuvor eigens für Ausnahmesituationen als Ausnahme gedacht waren, werden nunmehr zu dauerhaften und fundamentalen Elementen des Rechtssystems transformiert. Die heißt, dass in ihm eine neue Rechtsordnung geschaffen wurde. 

Die Antiterrorgesetze und Strukturierung des Strafrechts in der hier dargestellten Form sind nunmehr zu dauerhaften, festen und gültigen Bestandteilen des geltenden Rechts geworden. Die scheinbaren Ausnahmemaßnahmen wurden normalisiert und zum Teil des Systems. 

Sehr geehrter Herr Vorsitzender, sehr geehrte Senatsmitglieder,

stellt die rechtliche Perspektive die richtige Methode dar, Lösungen für die zu Tage tretenden Widersprüche und Konflikte, die in der Welt durchlebt werden, zu finden?  Ist das Recht ein Gebiet, das in Selbstgewissheit für sich selbst sprechen kann?

Die Bewegung, Veränderung, die unterschiedliche Entwicklung, der Menschen, der Gesellschaften, der Ökonomie, der Politik, der Kultur, der Sitten und Gebräuche, der Gewohnheiten, der Wissenschaft, der Gesetze, des Rechtsverständnisses … kurz, von allem, was uns in den Sinn kommen mag, hat stattgefunden und findet immer noch statt. Was gestern heilig war, ist heute auf dem Müllhaufen der Geschichte. Auch Recht und Gesetz sind nicht unabhängig von diesem dialektischen Kontext, vom Prozess des Wandels. Dieser dialektische Kontext muss zwingend hergestellt werden. Genau so, wie die bürgerliche Politische Ökonomie die Begriffe „Wert und Mehrwert“ unkenntlich macht, so verschleiert das herrschende Verständnis die materiellen Wurzeln, das gesellschaftliche Wesen von Staat und Recht. 

Das bürgerliche Rechtsverständnis ist von Kopf bis Fuß metaphysisch. Denn es lässt einen ungeheuer langen historischen Prozess erstarren, leugnet Wandel und gesellschaftliche Veränderungen; und betrachtet die Dynamik der Widersprüche zwischen den sozialen Klassen als nichtexistent; es macht die den Produktionsverhältnissen entsprechenden Rechtskategorien zu Götzen als seien sie überhistorische Gesetze, gänzlich losgelöst vom ökonomischen Unterbau, der materiellen Basis. 

Es scheint, als seien in dieser Art Rechtsauffassung sämtliche gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse auf einen anderen Planeten befördert worden. Als sei die Welt, in der man lebt, einzig eine aus rechtlichen Regularien, Institutionen und Begriffen bestehende Szenerie. So als sei es beinahe ausschließlich dem Recht zu verdanken, dass die Menschen dieser Welt  miteinander leben können, wobei sie produzieren und das Produzierte untereinander auf gerechte Weise aufteilten. Auf den Punkt gebracht, dieses Rechtsverständnis ist unwissenschaftlich. Denn es ignoriert konkrete sozioökonomische Realitäten und Klasseninteressen. Es ist angeblich objektiv, aber seine Objektivität ist vorgegaukelt. Aber das eigentlich Wichtige und Gefährliche hieran ist jedoch, dass dieses Rechtsverständnis den in der Gesellschaft vorherrschenden Klassenverhältnissen den Anschein der Natürlichkeit und einer ewig währenden Ordnung gibt und hierdurch zur „Theorie der Legitimation“ der bestehenden Ordnung wird- 

Sehr geehrter Herr Vorsitzender, sehr geehrter Senat,

wenn die Rede vom Recht ist, so ist es erforderlich, von der fortwährenden Reproduktion des materiellen Lebens, von den auf diesem Gebiet gelebten Klassenverhältnissen und auch der Widerspiegelung dieser Verhältnisse auf dem Gebiet des Rechts als einer Institution des Überbaus im Staatsgefüge, dem formalen Charakter, den die herrschende Klasse ihrem bestehenden Herrschaftsverhältnis gibt, sowie der Rolle, die das Recht für die Akzeptanz dieser Formalisierung spielt, zu reden. In der oben wiedergegebenen Gesetzesbestimmung heißt es, es sei auf die „außenpolitischen Interessen Bezug zu nehmen“ und das Rechtssystem in eine hiermit zu vereinbarende Form zu bringen. Dies besagt also, dass das, was als Recht bezeichnet wird, mit den Interessen des Staates gleichzusetzen ist und die Vertreter*innen des Rechts sich auf diese Interessen als Grundlage ihres Handelns zu beziehen haben. Daher sehen wir uns gezwungen, uns einem anderen Verhältnis, einer anderen Realität zuzuwenden. Diese Hinterfragung bedingt, den Staat, die herrschenden Klassen und die bestehende Ökonomie, die politische Ordnung zu bewerten. 

Wenn wir dies nicht tun, können wir angesichts dessen, dass nach dem Rechtsverständnis im Zeitalter der Sklaverei diese als richtig betrachtet worden war, so wie im Feudalismus die Leibeigenschaft als eine andere Form der Sklaverei als mit dem Recht vereinbar erachtet wurde, nicht verstehen, weshalb mit der Entwicklung des Kapitalismus Gleichheit und Freiheit als rechtens verteidigt und die Sklaverei wie auch die Leibeigenschaft verurteilt wurde. 

Als Institution des Überbaus ist das Recht ein Gebiet, dass durch die ökonomisch-politischen Verhältnisse geschaffen wurde, die herrschenden gesellschaftlichen, politischen Formationen der jeweiligen Zeit widerspiegelt und dessen Aufgabe es ist, diese Strukturen zu schützen. 

Sehr geehrter Herr Vorsitzender, sehr geehrter Senat,

die verschiedenen Politiken der Strafe sind als mit der historischen Entwicklung des Kapitalismus verwoben zu betrachten. Zu behaupten, dass angesichts der nach dem 11. September legitimierten Neustrukturierung  der Gesetze in den Zeiten davor die Funktionsweise der Staaten bzw. herrschenden Strukturen  auf rechtlichem Gebiet unproblematisch und ein wahrhaft gerechtes Rechtssystem besessen hätten, heißt, nicht imstande zu sein, den auf der Klassenherrschaft beruhenden Staat zu verstehen, die wahren Ursachen dieser Neustrukturierungen zu sehen. 

In den dem 11. September vorangehenden gesetzlichen Regelungen wird bereits dem Irrglauben von den wahrhaft „gerechten“ Strafgesetzen die Tür einen Spalt breit geöffnet. 

In allen Staaten innerhalb des kapitalistisch-imperialistischen Systems ist der Gebrauch „außerordentlicher Befugnisse“ nicht etwa eine Ausnahme oder anomal, sondern eine Maßnahme, die jederzeit je nach Bedarf für das politische Regime verfügbar ist. Gemäß der Erfordernisse der jeweiligen Zeit und der Bedingungen gewinnen diese Maßnahmen an Härte oder werden auf ein „akzeptableres“ Niveau gebracht. Den Gebrauch dieser Befugnisse als die Außerkraftsetzung von Recht zu kritisieren, führt zu der fehlerhaften Ansicht, der Regelzustand und der Ausnahmezustand sowie das Recht und die staatliche Gewalt würden zueinander im Gegensatz stehen. Das Recht als eine unabhängige und autarke Realität zu betrachten bedeutet, die der Klassenherrschaft und Ausbeutung unterliegenden Wurzeln des Rechts hinter einer liberalen ideologischen Maske zu verschleiern. Die Mehrzahl der als Terrorbekämpfung bezeichneten Gesetze existierten auch vor der letzten Terrorbekämpfungswelle in den bereits vorhandenen Regelungen. Diese Phase hat diesen Maßnahmen lediglich eine offenere, systematischere und gefestigtere Form gegeben. Um den den kapitalistischen Gesellschaften immanenten permanenten Krisenzustand steuern zu können, muss das Rechtssystem kontinuierlich erneuert werden. Die relativen Veränderungen, die die Strafgesetze durchlaufen, spiegeln den Geist der Zeit wider; ja, sie müssen dies sogar! 

Die Strategie der Terrorbekämpfung erfordert gesetzliche Regelungen, die sowohl die effektiven Instrumentarien der einem jeden Staat eigenen Gewalttradition neu strukturiert und auch die Unterdrückung und Bestrafung der gesellschaftlichen und politischen Gegner des herrschenden Systems sicherstellt. Meine Betonungen der heutigen Bestrafungspolitiken bedeuten nicht, dass das Recht in der Vergangenheit objektiv und unabhängig von Klassenverhältnissen war. Das Recht fungierte im gesamten Verlauf der Geschichte der Gesellschaften als Repressionsinstrument der herrschenden Klassen und tut es immer noch. Das „Neue“ ist die Fortsetzung des „Alten“, deren Verbindung dialektisch ist und ihrem Gegenstand entspricht. Das Problem der „Terrorbekämpfungsgesetze“ besteht nicht darin, einzelne Personen zu bestrafen. Jede Bestrafung ist zugleich eine Warnung an die Anderen. Die Bestrafungspraktiken der jüngsten Zeit zeigen den dem Strafrecht eigenen Charakter auf, der der im Kontext der realen gesellschaftlich-politischen Bedingungen seitens der Staaten entwickelten herrschenden politisch-praktischen Linie entspricht. Und zudem fungieren diese Bestrafungspraktiken als wichtiger Bestandteil der Neuformierung der politischen Regime. 

Sehr geehrter Herr Vorsitzender, sehr geehrte Senatsmitglieder,

nun habe ich seitenlange Ausführungen zu den Zuständen, aus denen wir kommen und in denen wir uns befinden, gemacht. Wie der Herr Staatsanwalt richtigerweise bemerkt hat, setze ich mich, ohne irgendwelche persönliche Erwartungen, ohne eigene Interessen und ohne gegen irgendjemanden Feindseligkeiten zu hegen, dafür ein, dass die Menschheit ein gerechteres,  gleicheres und würdigeres Leben erlangt. Die Welt, in der wir leben, die Sichtweisen, die  diese Welt beherrschen, haben der Menschheit in ihrer Gänze, der Natur und selbst den Tieren keine Zukunft anzubieten. 

Wenn Sie Ihre Blicke von den relativ entwickelten bürgerlichen Demokratien der entwickelten Volkswirtschaften Europas hin zu den zurückgebliebenen wenden, werden sie sehen können, dass ein erdrückend großer Teil der Menschheit ein Leben unter Bedingungen zu führen gezwungen ist, die die Barbareien des Mittelalters nicht missen lassen: Hunger, Armut, nicht enden wollende ungerechte Kriege; die tagtägliche Ermordung von Frauen, wegen Regeln, die dem herrschenden männlichen Denken und den entsprechenden gesellschaftlichen Normen entspringen; Millionen Menschen, die nicht einmal über sauberes Trinkwasser verfügen; flüchtende Menschen, die ihren Tod in kauf nehmen, um ein menschlicheres Leben zu erlangen; Millionen Kinder, die sich nicht ausreichend ernähren können, von einer vernünftigen Bildung gar nicht zu reden; jene Menschen, die, wie es in Libyen und Syrien geschieht, in diesem Zeitalter gekauft und verkauft werden; Millionen Frauen, die gezwungen werden, auf dem Prostitutionsmarkt zu arbeiten, die in jeder Sekunde zerstörte Natur …; auf der anderen Seite jene, die auf der Grundlage all dieser Gräuel, der Ungerechtigkeit, der brutalen Ausbeutung, des Schweißes ihre Macht gebaut haben und in Wohlstand leben. 

In der Türkei und in Türkısch-Kurdistan wird ein Vielfaches von dem erlitten. Immer noch werden Gräber zerstört, Menschen getötet, weil sie ihre eigene Sprache sprechen; die Menschen sind gezwungen, ganz zu schweigen für eine bessere Welt, für ein faires Gerichtsverfahren zu sterben. 

Ein furchterregender türkischer Rassismus und die Ideologie der Scharia wird seitens der Repräsentanten des Staates zu jeder Sekunde der Gesellschaft eingetrichtert, die Pädophilie wird anhand der Propheten und Mohammeds Leben legitimiert. Wir stehen vor einem mit Übel und Aggression gefüllten Gebäude der Herrschaft, das alles Unmenschliche, das es in den eigenen Ländern verübt, den Geist der Scharia und des Faschismus, die Feindseligkeit gegenüber den Völkern …, über seine eigenen Grenzen hinaus trägt, die Völker anderer Länder dazu zwingt, in Blut und Tränen zu leben; die Reichtümer dieser Länder an seine eigenen Töchter, Söhne, Schwiegersöhne und sein schmarotzendes Umfeld verteilt. 

Unsere Gesellschaft ist mit all dem zu jeder Sekunde Lebens konfrontiert. Weder unser Volk noch irgendein Volk dieser Welt hat es verdient, in einer solchen Ordnung zu leben. Dies ist der eigentliche Terror und die eigentliche Gefahr für die Menschheit. Und sie sind der Ursprung des Übels, das es zu beseitigen gilt.  

 Wie ich anfangs schon sagte, wird dieses Gericht ein wie auch immer lautendes Urteil verkünden. 

In jeder Phase der Geschichte, in jedem Augenblick des Lebens haben Menschen jedes Berufes den Geist gezeigt, dem Unrecht zu widerstehen und wurden zu Suchern und Verfechtern der Wahrheit. Dies ist meine Erwartung an diesen Senat!

Das zu erlassende Urteil sollte mit den demokratischen Werten, dem  Gerechtigkeitsverständnis und selbstverständlich mit der vom Gewissen geleiteten Verantwortung einer jeden Richterin, eines jeden Richters dieses Senats in Einklang sein. 

Ich danke all jenen, die mir Gehör geschenkt haben!