Bayerische Justiz ermöglicht türkischem Staat Zugriff auf vertrauliche Post zwischen Angeklagtem und Verteidigern

Der 16. Hauptverhandlungstag begann damit, dass die Verteidigung Elma den Antrag stellte, die Hauptverhandlung zu unterbrechen bis geklärt ist, durch welche Übersetzer die Verteidigerpost der Verteidigung Elma übersetzt worden ist und insbesondere, ob es sich dabei um in der Türkei ansässige Übersetzer handelt.

Hintergrund dieses Antrages ist folgendes: Wie berichtet, unterliegen in diesem § 129b-Verfahren die Mandanten und die Verteidiger_innen erheblichen Einschränkungen. Die Mandanten und ihre Verteidiger_innen sind bei Gesprächen durch eine Glasscheibe getrennt und es wird sämtliche Verteidigerpost – also alle zwischen den Mandanten und den Verteidigern gewechselten Schriftstücke – durch einen sogenannten Kontrollrichter gelesen. Die Anordnung solch einer Kontrolle unterstellt den Verteidigern, sie würden sich mit dem Mandanten schriftlich über andere Themen als die der Verteidigung austauschen. Dieser Kontrollrichter gehört nicht dem erkennenden Senat des OLG München an, sondern sind jeweils in dem für die JVA zuständigen Bezirk ansässig. Soweit die Schreiben der Mandanten und Verteidiger auf Türkisch verfasst sind – was bei fast allen Schreiben der Fall ist –, leitet der Kontrollrichter diese an einen Übersetzer, der sie übersetzt, damit der Kontrollrichter sie anschließend auf Deutsch lesen und „kontrollieren“ kann. Diese Kontrolle führt dazu, dass die gesamte mit dem Mandanten schriftlich geführte Diskussion über Verteidigungsziele und -strategien diesem Richter und dem von ihm beauftragten Übersetzer bekannt werden. Dies ist ein massiver Eingriff in das geschützte Verhältnis zwischen Mandant und Verteidiger, den die Verteidigung mehrfach, neben dem Problem das Briefe dadurch 2-4 Wochen unterwegs sind, gerügt hat.

Zunächst ein vager Verdacht, es könnte aus Kostengründen Verteidigerpost zu Übersetzern in die Türkei gelangt sein, brachte die Verteidigung Elma dazu nachzuforschen, wie der Kontrollrichter die Übersetzungen der Verteidigerpost konkret umgesetzt hatte. Der Senat hatte bereits in der letzten Hauptverhandlung zugesagt, diesen Umstand aufzuklären. Dieser Zusage war der Senat auch nachgekommen, aber es fehlte zu Beginn der heutigen Verhandlung noch die Auskunft des Kontrollrichters des Amtsgerichts Kempten, weshalb die Verteidigung – wie oben geschildert – gleich zu Beginn die Unterbrechung der Hauptverhandlung beantragte. Der Senat lehnte diesen Unterbrechungsantrag mit der Begründung ab, es sei für die Verteidigungsstrategie unerheblich, in welche Hände die Verteidigerpost gelangt sei, die Verteidigung Elma müsse gleichwohl weiterverhandeln und abwarten, bis die Auskünfte eingetroffen seien, die der Senat angemahnt habe.

Anschließend ging der Senat dazu über, Anträge der Verteidigung u.a. auf Ablösung dreier Gerichtsdolmetscher abzulehnen. Der Senat behauptet in den Beschlüssen entgegen der offensichtlichen Probleme der Gerichtsdolmetscher mit der Übersetzung, diese seien für das Verfahren ausreichend qualifiziert. Trotz dieser Behauptung verpflichtet der Senat allerdings ständig zusätzlich neue Gerichtsdolmetscher und bestätigt damit die Berechtigung der Rügen der Verteidigung.

Es folgte – nach 15. Hauptverhandlungstagen – der Einstieg in die Beweisaufnahme. Diese Beweisaufnahme begann mit der Verlesung einer Übersetzung der Satzung der TKP/ML.

Die Verteidigung widersprach aus rechtlichen Gründen der Verwertung dieser Urkunde.

In einer auf diese Verlesung folgende Verhandlungspause, erfuhr sodann die Verteidigung Elma, dass inzwischen die Antwort des Kontrollrichters eingegangen war und sich die schlimmsten Befürchtungen bewahrheitet hatten: Das von dem Kontrollrichter beauftragte Übersetzungsbüro hatte nach möglichst billigen Übersetzern gesucht mindestens ein Schreiben – also sensible Verteidigerpost – an Übersetzer in der Türkei abgegeben. Gleichzeitig teilt das Übersetzungsbüro mit, dass ihm von dem Kontrollrichter keinerlei Einschränkungen bzgl. der Weitergabe der Verteidigerpost gemacht worden waren und es weigert sich, die dort noch vorhandenen Kopien dieser Verteidigerpost zu vernichten.

Das bedeutet, dass die ansonsten absolut geschützte schriftliche Kommunikation zwischen Angeklagten und ihren Verteidigern per Post oder womöglich unverschlüsselt per Email an nicht weiter überprüfte Dolmetscher geschickt wurde, die nicht einmal zur Verschwiegenheit verpflichtet wurden.

Ganz abgesehen von dem Problem, dass unter solchen Umständen keinerlei vertrauliche Kommunikation zwischen der Verteidigung und den Angeklagten mehr möglich ist, schließlich könnte diese Verteidigerpost ja auch an die Staatsanwaltschaft oder die Polizei gelangen, besteht vorliegend ja wegen des erklärten Strafverfolgungsinteresse des türkischen Staat ein besonderes Problem.

Die Weitergabe an nicht überprüfte und nicht zur Verschwiegenheit verpflichtete Dolmetscher ist vor diesem Hintergrund bereits innerhalb der Bundesrepublik ein Problem.Es ist bekannt, dass der türkische Staat mittels seiner Geheimdienste sowie tausender bewusster oder unbewusster Informant_innen in der Bundesrepublik insbesondere Oppositionelle überwacht. Dieses Netz an Informanten des türkischen Regimes ist innerhalb der Türkei deutlich besser ausgebaut. Doch bereits die Tatsache, dass die Briefe per unverschlüsselter E-Mail in die Türkei geschickt wurden, ist vor dem Hintergrund der Totalüberwachung der elektronischen Auslandskommunikation durch die türkische Polizei und den Geheimdienst ein Skandal. Jede Mail und jeder Brief werden – spätestens seit Verhängung des Ausnahmezustandes und der Suspendierung der Selbstverpflichtung zu Einhaltung der europäischen Menschenrechtskonvention durch das Erdorgan-Regime gespeichert und kontrolliert. Unabhängig von dem Übertragungsweg befindet sich nun Verteidigerpost in den Händen von Übersetzern in der Türkei, ohne jegliche Möglichkeit des Einflusses des Senats oder deutscher Behörden. Auch die Frage welche Informationen möglicherweise über den bekannten Austausch des deutschen und türkischen Geheimdienstes bzw. der deutschen und der türkischen Polizei zurück an deutsche Sicherheitsbehörden fliest, ist nicht bekannt und kaum aufzuklären.

Indem der Kontrollrichter die Übersetzungen an ein Übersetzerbüro zu einem sehr niedrigen Preis gegeben hat und dem Büro keine Vorgaben zu dem Umgang mit der Verteidigerpost gemacht hat, hat die bayerische Justiz dem türkischen Staat eine Möglichkeit zum Zugriff auf die vertrauliche Post zwischen dem Angeklagten Elma und seinen Verteidigern gegeben. Damit ist ein faires Verfahren nicht mehr möglich.

Die Verteidigung Elma beantragte daher, die Hauptverhandlung für heute abzubrechen, damit zunächst einmal mit dem Mandanten besprochen werden kann, was diese neue Erkenntnis bedeutet und welche Konsequenzen hieraus zu ziehen sind. Der Senat gab diesem zweiten Unterbrechungsantrag der Verteidigung Elma nun nach.

Die übrigen Verteidigerteams forderten den Senat auf, bei den weiteren Kontrollrichtern anzufragen, wo die Übersetzungen ihrer Verteidigerpost in Auftrag gegeben wurden, und wer diese Übersetzungen vorgenommen hat. Unter Umständen sind auch andere Angeklagte von dieser Praxis der bayerischen Justiz betroffen.

Mit diesem Skandal kann von einem fairen Prozess nicht mehr gesprochen werden.