Solange das Kapital an der Macht bleibt, wird nicht nur der Grund und Boden, nicht nur die Arbeitskraft, nicht nur der menschliche Charakter, nicht nur das Gewissen, nicht nur die Liebe, nicht nur die Wissenschaft, sondern alles, alles wird unvermeidbar gekauft und verkauft werden“ 

V. İ. Lenin

Sehr geehrter Herr Vorsitzender, hohes Gericht, sehr geehrter Herr Staatsanwalt, 

wir sind am Ende eines jahrelang andauernden Prozesses angelangt und tragen unsere letzten Worte vor. Auch wenn das, was ich nun sage, teilweise Erwiderungen auf das Plädoyer des Herrn Staatsanwalt beinhaltet, gleicht es im Grunde den Erklärungen, die wir, bezogen auf die Situation in der wir uns befinden und die Anschuldigungen bei verschiedenen Gelegenheiten vorgetragen haben. Mit anderen Worten: “An der Westfront gibt es nichts Neues“!

Was die Bemühungen des Herrn Heise betrifft, uns als Terroristen darzustellen, so sind diese „ehrenvoll“ und „zu Tränen rührend“. Es begann am 15. April 2015 mit Verhaftungsszenen, wie wir sie aus den Filmen kennen, unter Beteiligung von Polizisten und Spezialeinheiten zur Bekämpfung von Terrorismus (GSG 9) und Einsatz von Hubschraubern. 

Die später in der Haftanstalt, bei den Vorführungen vor Gericht und vor Gericht ergriffenen besonderen Sicherheitsvorkehrungen waren selbstverständlich von Nöten, um die TKP/ML, die nunmehr seit 40 Jahren dem deutschen Staat und deren Sicherheitskräften bekannt ist und weder in Deutschland noch in Europa in irgendeiner Terrorliste gelistet ist, als terroristische Organisation, zu deren Zielen die Tötung von Menschen und Terroraktionen gehören, darzustellen. Daher führte kein Weg umhin, uns, “die der Mitgliedschaft und Führungstätigkeit” bezichtigt werden, entsprechend dieser Vorwürfe als gefährliche Terroristen zu präsentieren.

Das führt zu Fragen. Bei Gericht wurden angebliches Programm der TKP/ML, ihre Satzung und weitere Dokumente verlesen, die Dokumente, die nicht verlesen wurden, befinden sich in den Gerichtsakten. Wo steht, dass es zu den Zielen der TKP/ML gehört, Menschen zu töten? Gibt es überhaupt eine Vereinigung auf der Welt, die sagt, es gehöre zu ihren Zielen, Menschen zu töten? Es wäre naiv, auf diese Fragen eine Antwort zu erwarten, daher wende ich mich wieder dem eigentlichen Thema zu.

Sowohl unsere Anwälte als auch wir selbst haben schon oft in diesem Gerichtssaal auf die monatelange Isolation, die Maßnahmen, wie die Verletzung unserer Verteidigungsrechte, das Stattfinden der Anwaltsgespräche in Trennscheiben-Zellen sprechen, die Kontrolle der Verteidigerpost durch den Leserichter u.ä. hingewiesen. Das ist nichts Neues. Warum ich das erneut betone? Weil ich hervorheben will, dass allein diese Vorgehensweisen zeigen, dass es sich diesem Prozess um einen politischen Prozess handelt. 

Herr Heise hat zwar wiederholt das Gegenteil behauptet, also dass es sich hier um einen Strafprozess handelt und nicht um einen politischen Prozess, aber all diese Maßnahmen, denen wir ausgesetzt waren, zeigen das Gegenteil. Man sollte bedenken: Während ich in Isolation war und anderen besonderen Maßnahmen ausgesetzt war, musste Beate Zschäpe, Mitglied des rechtsextremen NSU und zu lebenslanger Haft mit der Feststellung besonderen Schwere der Schuld verurteilt, da sie 10 Menschen getötet, eine Bank ausgeraubt und Bombenanschläge geplant haben soll und somit des Mordversuchs angeklagt war, keine solchen besonderen Maßnahmen ertragen, wie sie mir auferlegt wurden. Gleiches gilt für den Angeklagten, dem Mitgliedschaft in der Neonazi-Vereinigung Old School Society vorgeworfen wird. 

Zwei Aspekte sind bedeutsam. Erstens haben die anderen Inhaftierten und das Gefängnispersonal, die mich monatelang beobachteten, die Dimension der Anschuldigungen, die gegen meine Person erhoben wurden, natürlich mit denen gegen die Neonazi-Frauen verglichen und zu bewerten versucht. Am Ende stand die Wahrnehmung einer „furchtbar schrecklichen Mörderin, Schwerverbrecherin“ oder es entstanden Gerüchte, wie, sie habe „20 Menschen getötet, Anschläge begangen, soundso viele Menschen getötet“. Mit anderen Worten: Mit der Inhaftierung wird man kriminalisiert, und durch die besagten Maßnahmen wurde die Kriminalisierung um ein Mehrfaches erhöht. 

Zweitens: die hartnäckige Behauptung, es handele sich hier um einen Strafprozess, und die Aussage des Herrn Heise, wir würden diesen Prozess ideologisieren und als Selbstzweck missbrauchen. Während einem Neonazi – der zu einer hohen Strafe verurteilt wurde – der angeklagt war, 10 Menschen getötet und Bombenanschläge verübt zu haben sowie an einem bewaffneten Raubüberfall beteiligt gewesen zu sein, die oben genannten Maßnahmen nicht auferlegt wurden, wurden sie uns in schwerer Form auferlegt. Das Treten der Menschenwürde mit Füßen war damit nicht beendet. Sie haben versucht, uns am ersten Tag der Verhandlung Fußfesseln anzulegen. Wir haben uns gewehrt. Es wurde Zwang angewendet. Man hat uns vor Gericht gezerrt. Und all das obwohl uns – im Gegensatz zu den Mitgliedern dieser faschistischen Banden – keine unmittelbare Beteiligung an Gewalttaten vorgeworfen wird; obwohl bekannt war, was wir alles für ein Leben führten, was für Menschen wir waren und unsere Adressen usw. bekannt waren und das über Jahre hinweg. 

Wie kann man die Unterschiede in der Vorgehensweise dieser beiden Fälle im Rahmen des angeblichen „Strafrechts“ erklären? Widerspricht nicht die Erklärung der Staatsanwaltschaft, dass wir nicht als Kommunisten, sondern als Mitglieder einer „terroristischen“ Vereinigung vor Gericht stehen sollten, den uns aufgezwungenen Maßnahmen? Gibt es hier wirklich keine ideologische Haltung, keinen politischen Prozess? 

Ich möchte nicht erneut in die Naivität verfallen eine Antwort zu erwarten. Der Unterschied in der Haltung gegenüber revolutionären Kommunisten im Gegensatz zu faschistischen Neonazis lässt deutlich erkennen, dass der deutsche Staat und der Staatsapparat und insbesondere das Rechtssystem hier antikommunistisch sind. Ich höre schon Sätze wie: „Das ist ein anderes Verfahren. Was hat es mit dem hiesigen Verfahren zu tun?“ Doch damit meinen wir weder diesen Prozess noch die Personen in diesem Prozess. Wir betrachten diesen Prozess als einen Prozess, denn der Deutsche Staat und sein Justizssystem entsprechend der Haltung der imperialistischen herrschenden Klassen gegen Kommunisten und Revolutionäre führen muss. Was wir während des gesamten Verfahrens und auch jetzt äußern, ist nicht gegen Ihre Person gerichtet.

Zur juristischen Dimension der gegen uns erhobenen Vorwürfe haben unsere Anwälte/Anwältinnen alle erforderlichen Erklärungen abgegeben und sie haben gegen alle Rechtswidrigkeiten gekämpft. Die Tatsache, dass dieser Fall eher aus politischen Gründen als im Rahmen universeller demokratischer Werte und universeller Rechtsregeln gestaltet wurde, wurde wiederholt betont. Dennoch wird auch in der jetzigen Phase dieses Prozesses immer noch unsere Bestrafung gefordert, trotz allem, was wir im Laufe des Verfahrens durchgemacht haben. Schließlich will man es so beenden, wie man begonnen hat und wie es seit Anbeginn geplant war. Das schließt man aus dem Plädoyer des Staatsanwalts, wenn man es in seiner Gesamtheit betrachtet. Beharrlich und trotzig folgt man einem Fahrplan, der nicht von Fakten, sondern von Fiktionen, nicht von universellen demokratischen Werten der Menschheit, sondern vom deutschen Staat/der deutschen Regierung festgelegt wird. Es ist regelrecht unmöglich, dass bei dem Denksystem der europäischen Weißen, die sich als die “Auserwählten” und “Überlegenen” der Welt und ja sogar als Herren der unanfechtbaren Richtigkeiten über das Leben und die Erlebnisse anderer betrachten, die “herablassend” sind, aber in einer sehr realitätsfremden “Traumwelt” leben, die zwar idealistisch sind aber in der Summe die Welt doch mit dem Bewusstsein, die Herrschende Klasse zu sein oder Dienste dieser zu sein, interpretieren, ein anderes Ergebnis rauskommen kann. Wer die Welt aus dieser Wahrnehmung heraus und mit diesen Kriterien betrachtet, unter diesen Bedingungen betrachtet, kann nichts anderes tun. Eine andere Haltung würde die Leugnung seiner Existenzgrundlage bedeuten. Um eine andere Haltung einzunehmen, ist eine gedankliche Ausrichtung vonnöten, die fortschrittlich ist, aufs Individuum ausgerichtet und nicht auf die Interessen einer bestimmten Klasse, die auf universellen Rechten und Freiheiten basiert, die den Menschen gehören sollten. Wenn dies nicht geschieht, ist alles, was gesagt oder getan wird, vergebens. Weil diejenigen, die die Welt durch das Fenster von Idealisten, bürgerlichen Klasseninteressen und Beamten betrachten, in keinem Bereich des Lebens versuchen, die Wahrheit zu suchen. Leider ist dies das Bild, mit dem wir uns konfrontiert sehen.

Bevor ich mit meiner allgemeinen Bewertung fortfahre, muss ich etwas über einige der Bemerkungen sagen, die der Herr Staatsanwalt zu Beginn seines Plädoyers geäußert hat, denn er hat von Anfang an auch außerhalb seiner Ausführungen persönliche Anschuldigungen gegen uns erhoben hat. Er erklärte, dass wir uns als „über dem deutschen Rechtssystem“ und als „von Geburt auserwählte Freiheitskämpfer“ sehen würden. Wir sind der Meinung, dass es richtig ist, sich für ein Rechtsverständnis einzusetzen, das in erster Linie aus universellen demokratischen Werten erwächst. Die Frage kann nicht im Zusammenhang damit diskutiert werden, ob wir uns über dem deutschen Rechtssystem oder dem eines anderen Landes sehen. Eine solche Diskussion und eine solche Frage in diesen Rahmen zu zwängen, würde uns nicht weiterbringen. 

Ich nehme nicht an, dass man von uns erwartet, dass wir das Rechtssystem und die Justizsystematik Deutschlands oder irgendeines anderen Landes „als von Gott über die Propheten an uns Geschöpfe übermittelten Befehle, die wir befolgen müssen“ auffassen sollen. Wir akzeptieren, was richtig ist, und wir lehnen ab, was falsch ist. Das ist wissenschaftlich. Schließlich leben wir nicht im Zeitalter des Aberglaubens. Die Feststellung, wir würden uns als „von Geburt auserwählte Freiheitskämpfer“ sehen, ist eine weitere Absurdität.

Wir betrachten die Geschichte der Menschheit aus dialektischer und historisch-materialistischer Sicht und sehen den Menschen als das Produkt seiner Lebensbedingungen. Aufgrund der Gegensätze, die in der Welt, in der wir leben, durch imperialistisch-kapitalistische Ausbeutung, Unterdrückung und Ungleichheit hervorgerufen wurden, und aufgrund unserer Suche nach einer Lösung dieser Gegensätze sind wir zu der Überzeugung gelangt, dass die Alternative in einer kommunistischen Gesellschaft liegt. Diese Realität bildet auch die Grundlage unserer Selbstbezeichnung als Kommunisten. 

In dem Sinne, wie Sie versuchen, dem eine negative Bedeutung zuzuschreiben, haben wir persönlich nie versucht, uns selbst zu loben und würden das auch nie tun. Aber natürlich erfüllt es uns mit Stolz, dass wir für eine demokratische Welt, in der die Menschheit frei und unabhängig ist, beziehungsweise für die Erschaffung einer solchen Welt zu sind. Außerdem ist Freiheit ein wertvoller Begriff. Es ist die soziale Freiheit, nicht die „Freiheit“ einzelner Individuen, die wir mit Freiheit meinen. Das ist aber nur möglich, wenn wir die Welt, in der wir leben, aus wissenschaftlicher Sicht bewerten.

Der Marxismus bietet uns diese Möglichkeit, weil der Marxismus eine Synthese aus Philosophie, Ökonomie, Politik und allen Bereichen des Klassenkampfes ist. Er basiert auf der Untersuchung des historischen Verlaufs der Philosophie und der Grundlagen, die Entwicklungen in jeder Phase der Menschheitsgeschichte ermöglichten, sowie auf Wissenschaft und ihren Schlussfolgerungen. Er muss sich Hand in Hand mit allen Wissenschaftszweigen entwickeln. Da er wissenschaftlich ist, befasst er sich nicht mit Aberglauben. Er befreit die Philosophie aus der Hand der Eliten und gibt sie den unterdrückten und ausgebeuteten Massen als Methode, um die Welt wahrzunehmen und Widersprüche zu lösen. Er sieht im Produktionsprozess, auf dem alle anderen Aktivitäten von Menschen gründen und Gestalt annehmen, den Hauptgrund für alle Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten, die auf der Welt in der Vergangenheit und in der Gegenwart erlebt wurden und werden. Die Gesamtschlussfolgerung, die er zieht, berührt daher die Tatsache, dass die Geschichte der Menschheit die Geschichte des Klassenkampfes ist und dass es auch der Klassenkampf ist, der die Menschheit von diesen faulen, veralteten Herrschaftssystemen befreit, die auf Ungerechtigkeit und Benachteiligung beruhen. In einer Zeit, die wir als Zeitalter des Imperialismus und der proletarischen Revolutionen bezeichnen, basiert der Wandel der Welt auf dem Proletariat als Schlüsselkraft einer vorherrschenden politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ordnung, die auf Menschen und nicht auf Kapital beruht.

Als Frau sehe ich die Befreiung meines eigenen Geschlechts in diesen Prinzipien. Dass Frauen in der Welt, in der wir seit Tausenden von Jahren leben, die Unterdrückten der Unterdrückten sind, hängt mit der Tatsache zusammen, dass die männliche Herrschaft eine der wichtigsten Komponenten ist, die die Kultur und die Werte der Kapitalordnung stützen. Es ist offenkundig, dass sich diese Ordnung ändern muss, wenn man bedenkt, dass Frauen, die die Hälfte der Welt ausmachen, mit Ausnahme einer sehr kleinen Minderheit in allen Lebensbereichen den Folgen der männlichen Herrschaft ausgesetzt sind.

Im Plädoyer der Staatsanwaltschaft gibt es eine ambitionierte Einführung. Da auch ich mit dem Plädoyer des Staatsanwalts, der neben der Zusammenfassung des seit vielen Jahren andauernden Prozesses Anspielungen enthält, angesprochen war, muss ich auf einige Punkte eingehen. Es gibt folgenden Abschnitt im Plädoyer der Staatsanwaltschaft:

Der Prozess hat – seinem Zweck folgend – alleine Tatsachen auf ihrer strafrechtlichen Relevanz zu überprüfen, ihm ist das Moralisieren und Ideologisieren, und insbesondere sich selbst überhöhen als Selbstzweck, fremd. Die Angeklagten haben sich in diesem Strafverfahren allein für ihr Verhalten zu verantworten, mit dem sie sich aus Überzeugung heraus über die Gesetzte der BRD gestellt haben. Ihre ideologische Verortung ist dabei für sich genommen entscheidungsirrelevant.

Um mit einer Formulierung des Herrn Staatsanwalt aus seinem Plädoyer zu beginnen: Das waren „gewaltige“ und „ehrenvolle“ Worte der Staatsanwaltschaft! Alle diese Wertungen sind tatsächlich Ausdruck eines psychischen Zustandes, der dadurch entstanden ist, dass man unter schrecklichem Druck steht und sich außerhalb der Staatsmacht nirgendwo anlehnen kann, keine unterstützende Basis hat. Es ist nicht so einfach, eine Diktatur wie den des türkischen Staates zu verteidigen, dessen gesamten Phasen auf unmenschliche Vorgehensweisen basieren. Die Staatsanwaltschaft hat es wirklich nicht leicht. Wie wir von Anfang an gesagt haben: Gäbe es nicht die Staatsmacht, die von den Interessen des deutschen Staates geprägt ist, so hätte es die Staatsanwaltschaft es nicht nur schwer, sondern ihr Unterfangen wäre aussichtslos. Die Staatsanwaltschaft ist sich dessen bewusst. Um als Jurist das Recht “für den Zweck zu instrumentalisieren” und ein Verfahren betreiben zu können, das ein Schutzschild für die unmenschliche Natur einer faschistischen Diktatur sein könnte, ist die Staatsmacht und Instrumentalisierung des Rechts erforderlich.

Es gibt eine einzige einfache Seite: In jeder Phase der Menschheitsgeschichte gab es Menschen, die sich Verfolgung und unmenschlichen Praktiken widersetzt haben, aber auch solche, die in diesen Phasen den Unterdrückerstaat verteidigt und sich eingesetzt haben. In jeder Phase der Geschichte gab es in jedem Beruf und in jeder Position Menschen, die mit ihrem Verstand und ihrer beruflichen Position dafür gesorgt haben, dass die Taten der herrschenden Klassen als legitim betrachtet wurden oder Spagate gemacht haben, um sie zu legitimieren. Dies ist eine sehr profitable Seite. Solange diese Ordnung besteht, werden sie sich sicher fühlen. Je mehr sie die Politik des menschenopfernden Staates verteidigen, desto schneller werden sie beruflich aufsteigen, sie werden in diesen Kreisen über den grünen Klee gelobt, sie werden „Prestige“ haben. Was will man mehr!

Die Menschen fragen: „Wie können diese Menschen ein reines Gewissen haben, wenn sie alle Arten unmenschlicher Praktiken verteidigen und legitimieren?“ Oder: „Wie können sie ruhig schlafen?“ Ich denke, sie schlafen richtig gut. Denn Gewissen, Werte, Moral usw., die Urteile der Innenwelt des Menschen, sind nicht losgelöst von unserer Haltung im materiellen Leben. Menschliche Emotionen werden geformt, geschaffen. Was sagt man? „Du denkst, wie du lebst.“ Das ist die Wahrheit. 

Da die Staatsanwaltschaft von staatlicher Meinung, staatlicher Macht und staatlichen Interessen lebt, werden sie alles sagen und legitimieren, was die „hohen Interessen“ des deutschen Staates erfordern. Und genau das machen sie. Die Fakten sind also für sie nicht von Interesse. Es ist ihre eigene Wahrheit, die sie interessiert. Um nicht missverstanden zu werden, mit eigener Wahrheit meinen wir Realitäten wie Rheinmetall, BMW, BAYER, Mercedes und alle Monopole. Das Kapital hat kein Gewissen, Menschenrechte und Freiheiten sind nur ein Spleen, so fremd wie Außerirdische. Die Aussage, wir würden versuchen, den Prozess zu ideologisieren, verdient es, ein paar Sätze darüber zu verlieren. Ja, der Prozess ist ideologisch. Wir unternehmen keine besonderen Anstrengungen, um den Prozess zu ideologisieren. Ein solcher Prozess bestimmt von Anbeginn an seine eigene Eigenschaft. Um das Ziel der TKP/ML zu beschreiben (natürlich indem eine negative Bedeutung auferlegt wird) sagt die Staatsanwaltschaft, dass sie eine demokratische Volksrevolution, den Sozialismus und dann den Kommunismus zum Ziel habe. Stimmt diese Behauptung? Stimmt. Aber bedeutete es nicht eine ideologische Betrachtungsweise, diesen Zielen eine negative Bedeutung zuzuweisen? Ganz klar. Es gibt nichts Natürlicheres, als diesen Prozess als einen ideologischen Angriff zu betrachten, der auch physische Angriffe auf uns beinhaltet. Zusammenfassend ist der Angriff zunächst ideologisch und die materielle Realität, die wir die Interessen des deutschen Kapitals nennen, ist verflochten mit dem ideologischen Geist der deutschen monopolistischen Bourgeoisie. Es ist das Klassendenken, seine Überlegungen, sein Handeln, das letztendlich rund um die bourgeoise Ideologie Gestalt annimmt. Angesichts dessen muss auch unsere Haltung ideologisch sein. Es geht hier nicht um irgendein Strafverfahren, um einen Diebstahls- oder Verkehrsprozess. Mächte, die gegen Imperialismus, Faschismus und alle Arten von Rückständigkeit kämpfen, stehen vor Gericht. Jede Begegnung von Vertretern zweier Klassen, die von Natur aus zwei gegensätzliche und unvereinbare Interessen vertreten, bedeutet unabhängig ihrer Absichten auch eine ideologische Auseinandersetzung sein. Genau das ist passiert.

Wenn ich das von der Staatsanwaltschaft vorbereitete Plädoyer in eigenen Worten zusammenfasse: Man unterstellt uns, zu versuchen, dem Prozess den strafrechtlichen Aspekt zu nehmen und ihn zu ideologisieren, ihm eine moralische Dimension zu verleihen mit dem Ziel, die eigentliche Angelegenheit, eine Straftat begangen zu haben, zu verschleiern; wir würden eine Art „Show“ und den Gerichtssaal für diese „Show“ gebrauchen. Zunächst ist anzumerken, dass wir versuchen, Angelegenheiten so weit wie möglich wissenschaftlich zu betrachten. Deshalb nennen wir uns Kommunisten. Betrachten wir Angelegenheiten ideologisch? Jeder in diesem Saal hat eine Ideologie, ob er sich dessen bewusst ist oder nicht. Warum ziehen wir sonst unterschiedliche Schlussfolgerungen, wenn wir über dieselben Ereignisse und Erfahrungen sprechen? Wie würden wir sonst den Umstand erklären, dass so viele widersprüchliche Gedanken und Perspektiven existieren, wo die Menschen hier eigentlich psychisch gesund sind und dieser Saal keine psychiatrische Klinik ist? Oder wenn wir Folgendes sagen würden, wäre die Angelegenheit dann geklärt und würden wir dann nicht mehr ideologisieren: „Die Worte des Staatsanwalts sind vom Punkt bis zu den Kommas richtig. Wir sind eigentlich sehr schlechte Leute. Menschliches Leben ist für uns nicht wichtig. Der Tod von Kindern und unschuldigen Menschen ist für uns unwichtig, das sind wertlose Dinge. Besonders Menschen, die in Ländern wie den unseren leben, leben in einem Paradies auf Erden, in Demokratie und Wohlstand! …“ Würden wir so reden, würden wir sicher zur Kategorie „klug“, „rationell“, „vernünftiger Bürger“ gehören und als „reumütig“ geschätzt werden. Anschließend würden wir, mit den Worten eines türkischen Musikstücks: „Wir sind alle Brüder, warum diese Feindseligkeit?“, „unseren Geist befreit“ haben und in Ruhe, Sicherheit und Glück leben. Schauen Sie, dann wäre dieser Gerichtssaal wirklich zu einer Schauveranstaltung geworden, basierend auf Lügen, Manipulationen und Träumen. Aber wir brauchen das nicht, weil wir keine Entertainer sind. Weil das Leben auf Fakten basiert. 

Wir möchten die Aufmerksamkeit auf Tatsachen lenken, das heißt, auf das imperialistisch-kapitalistische Ausbeutungssystem, das wir erleben, auf die Widersprüche, die auf der Welt durch Unterdrückung und Ungleichheit entstehen, und darauf, dass die Lösung dieser Widersprüche in einer kommunistischen Gesellschaft besteht, die durch Klassenkampf und Revolutionen erreicht wird.

Als Frau sehe ich die Befreiung meines eigenen Geschlechts auf diesen Prinzipien basierend. In der Welt, in der wir seit Tausenden von Jahren leben, kann die Tatsache, dass Frauen die Unterdrückten der Unterdrückten sind, nicht unabhängig von der Tatsache betrachtet werden, dass die männliche Vorherrschaft einer der wichtigsten Faktoren ist, die die Kultur und die Werte der Kapitalordnung stützen. Es ist klar, dass sich diese Ordnung ändern muss, wenn man sich ansieht, dass Frauen die Hälfte der Weltbevölkerung ausmachen und mit Ausnahme einer sehr kleinen Minderheit in allen Lebensbereichen den Folgen der männlichen Vorherrschaft ausgesetzt sind.

So wie es Clara Zetkin gesagt hat: „Wir kämpfen nicht – ohne Berücksichtigung von Klassenunterschieden – gemeinsam mit bürgerlichen Frauen gegen die beherrschende Stellung der Männer. Im Gegenteil, wir kämpfen – ohne zwischen dem Geschlecht zu unterscheiden – für Alle Ausgebeuteten, für die Rechtlosen gegen alle Ausbeuter und Herrschenden

Es gibt keinen anderen Lösungsweg. Ein Ende dieser barbarischen Ordnung ist hauptsächlich zum Nutzen von Frauen, von Frauen, die unterdrückt und ausgebeutet werden. Während die Frauen auf der einen Seite die wuchtige Last der Ausbeutung, Unterdrückung und Ausgrenzung durch das System tragen müssen, sind sie auf der anderen Seite mit der männerdominierten Kultur, den Sitten, Traditionen und den moralischen Regeln konfrontiert. Aus diesen Gründen wird bei der Beschreibung der Frau der Ausdruck „Unterdrückte der Unterdrückten“ gebraucht. Solange die Hauptursache für die Unterdrückung der Frau, insbesondere der doppelten Unterdrückung der Arbeiterinnen und Werktätige, der doppelten Ausbeutung nicht behoben ist, kann keine Emanzipation der Frau erfolgen. Kein politisches, wirtschaftliches und gesellschaftliches System, das auf Ausbeutung und Ungleichheit aufgebaut wurde, hat Frauen die Möglichkeit gegeben, sich zu befreien und sich von den gesellschaftlichen Bindungen, die sie sie in allen Bereichen einengen, loszusagen.

Ich möchte mit den Worten von Clara Zetkin fortfahren, da ich glaube, dass sie das Bild vervollständigen: 

“Die Arbeiterinnen sind der sicheren Überzeugung, dass die Freiheit der Frau kein gesondertes Problem, sondern ein Teil des großen gesellschaftlichen Problems ist.” Sie sind sich bewusst, dass dieses Problem in der heutigen Gesellschaft niemals gelöst werden kann, sondern dass dies erst nach einem radikalen Wandel der Gesellschaft möglich ist. Die Emanzipation der Frau wird, wie die Freiheit der gesamten Menschheit nur durch die Befreiung der Arbeit vom Joch des Kapitals kommen. Nur in der sozialistischen Gesellschaft ist es möglich, dass Frauen wie Arbeiter volle Rechte bekommen“ (Clara Zetkin).

Warum werden Frauen unterdrückt? Warum gibt es Ausgrenzung, Diskriminierung, Sexismus, Feindseligkeit gegenüber LGBTI+, Rassismus und Nationalismus, in welchem Bezug stehen sie zum System? Ohne Antworten auf diese Fragen zu suchen, und ohne die Ursache für die Unterdrückung von Frauen zu kennen, wissen wir auch nicht, wer oder was geändert werden muss. Das kann nur verwirklicht werden, wenn wir uns von den von den Herrschern verfassten Seiten der Geschichte lossagen, insbesondere vom Aberglauben. Wir wissen, dass jede Klasse, jede Gemeinschaft und sogar jeder Einzelne einen anderen Ansatz verfolgt. Jeder schaut durch sein eigenes Fenster auf die Welt und die Probleme und versucht, sie zu erklären. Und wir betrachten die Welt, die Entwicklungen und die Probleme von Frauen mittels der dialektisch-materialistischen Methode.

Wir glauben nicht, dass Adam von Gott erschaffen wurde, dass Eva aus Adams Rippen hervorgegangen ist und die ganze Menschheit von ihnen abstammt. Wir haben die Evolutionstheorie und eine Menge wissenschaftlicher Fakten. Wir fühlen uns gezwungen, uns auf ihre verifizierten Daten zu verlassen. Mit anderen Worten: Wir suchen nach der Ursache der Problemen von Frauen, der Ungleichheit von Frau und Mann, der Unterdrückung von Frauen, suchen sie aber nicht in biologischen Unterschieden zwischen Männern und Frauen oder im Schicksal der Vorsehung oder in der Gewalt, die bei Männern im genetischen Code steckt.

Karl Marx und Friedrich Engels verorten den Ursprung der Unterdrückung von Frauen in der Zeit, in der Klassengesellschaften entstanden. Engels hat eine historische Analyse entwickelt, die die Ursache der Unterdrückung von Frauen aufzeigt. So entwickelte er eine Strategie, um diese Unterdrückung zu beenden.

Der Philosoph, Historiker und Sozialwissenschaftler Engels, der sich seinerzeit eingehend mit Wissenschaftsfeldern wie Anthropologie, Archäologie, Soziologie und Wirtschaft beschäftigt hat, entwickelte eine Theorie, die den Aufstieg von Klassengesellschaften erklärte und aufzeigte, wie beim Klassenkampf der Staat die Interessen der herrschenden Klassen vertritt und wie die Familie als Werkzeug entstand, das bewirkte, dass die ersten Herrscherklassen Privateigentum erlangten und es übertragen konnten. Mit anderen Worten: Der zweite Platz der Frau ist kein universelles ewiges Phänomen, wie heute immer noch gern behauptet wird, sondern eine historisch-soziale Angelegenheit, die innerhalb der komplexen Bildung von Produktionsbeziehungen geprägt wurde. Die Entstehung von Privateigentum und die sexistische Arbeitsteilung sperrten die Frau zuhause ein und machten sie wieder für die Fortpflanzung, das heißt für Kinderbetreuung und Hausarbeit, verantwortlich. Engels argumentierte: 

Die Herabsetzung des Rechts auf Mutterschaft war die historische Niederlage des weiblichen Geschlechts weltweit. Der Mann nahm zu Hause die Zügel in die Hand und die Frau wurde zur Knechtschaft erniedrigt, wurde ein Sklave der Lust des Mannes und ein einfaches Werkzeug für die Erschaffung von Kindern. Die Frau war bedingungslos der Macht des Mannes untergeordnet, um die Loyalität der Frau und das Recht des Mannes auf Vaterschaft über die Kinder zu gewährleisten; wenn der Mann die Frau tötete, war das sein Recht.“

Kurz zusammengefasst: In Verbindung mit Privateigentum und dem Recht auf Erbschaft sind Klassenunterschiede und Klassenwidersprüche entstanden, als erste wurde die Frau versklavt. Im Laufe der Zeit haben sich die Vermögenden gegen die Vermögenslosen verbündet. Die Reichen wollten die Führung in der Gesellschaft innehaben und sie durch Erbschaft weitergeben. In der viel komplexeren neuen Ordnung war das schriftliche Recht eine der wichtigsten Anforderungen, und es wurden spezielle Organe benötigt, um es anzuwenden. Als das Rechtsverhältnis jedoch komplexer wurde, bildete sich eine besondere Klasse von Menschen heraus, die die Aufgabe hatte, die Rechtsregeln zu lernen, und letztendlich ein besonderes Interesse daran hatte, sie weiter zu komplizieren. Aufgrund der Bedeutung des geschaffenen Gesetzes für die gesamte Gesellschaft sind Rechtswissenschaftler und Juristen in Erscheinung getreten, die zur effizientesten Klasse geworden sind. Die Staatsordnung ist also ein notwendiges Ergebnis einer Gesellschaft, die in viele Berufe mit unterschiedlichen Interessen, die sich gegenüberstehen und miteinander in Konflikt stehen, gespalten ist. Es war daher notwendig, die Schwächeren zu unterdrücken. Die Führung fiel natürlich in die Hände derer, die das größte Interesse daran hatten, dies zu etablieren, und die dank ihrer gesellschaftlichen Macht den größten Einfluss hatten – die Reichen. Den Charakter des Staates gibt es seit seiner Gründung. Ganz gleich, ob er sich auf bürgerliche Demokratie stützt oder wie die Republik Türkei auf Faschismus beruht, im Wesentlichen sind die Ideologien aller Staaten gleich: die unterdrückten Klassen weiter zu unterdrücken, etwas derber ausgedrückt zum Wohle der Bosse zu funktionieren, wie es heute der Fall ist.

Zum Beispiel wurde von Seiten der Staaten und ihrer Gesetzgebungssysteme zuallererst das Subunternehmertum, das einen der größten Angriffe auf die Arbeiterklasse darstellt, sowie weitere Einschränkungen der Rechte sichergestellt und entsprechende Gesetze erlassen. Die Kämpfe der Arbeiterklasse dagegen wurden wie bei den Protesten der Gelbwesten in Frankreich von Staats- und Regierungsbeamten als „Terrorismus“ gebrandmarkt, die Polizei griff die Demonstrationen barbarisch an und es kam zu Festnahmen. Geschieht bei diesem Prozess nicht dasselbe? Wir sagen: „Die Republik Türkei setzt offenen Faschismus um, Menschen werden auf der Straße ermordet, in vielen Teilen des Landes kommen Massengräber zum Vorschein, es gibt Morde unbekannter Täter im Land. Hier möchte ich eine Klammer öffnen: Man nennt sie mittlerweile Morde mit bekannten Tätern, weil selbst der taube Sultan gehört hat, dass der Staat selbst der Täter ist. Folter ist mittlerweile eine natürliche Verhörmethode, Menschen werden nach unfairen Gerichtsverfahren schwer bestraft, Belästigung und Vergewaltigung von Frauen und Kindern sind fast von Bestrafung ausgenommen. Die Juristen des Landes werden festgenommen, weil sie Gerechtigkeit fordern, die Anwälte treten für Gerechtigkeit in den Hungerstreik.“ 

Herr Heise sagt nur: „Das hier ist ein Strafverfahren.“ So ist der Staat, so ist sein neutrales und faires Rechtssystem. Was ich sagen will: Der vor Jahrhunderten entstandene staatliche Mechanismus, der sich mit Institutionen wie Militär, Polizei, Rechtssystem und Gefängnissen organisiert, ist heute immer noch am Werk. Wir sagen, dass die Geschichte der Menschheit die Geschichte der Klassenkämpfe der Unterdrückten ist. Die herrschende Klasse und ihre Staaten bieten dagegen alle Arten von Kriegsmethoden auf und betrachten sie als legitim; auch führen sie bis ins kleinste Detail einen ideologischen Kampf und bedienen sich der Institutionen, die wir die ideologischen Apparate des Staates nennen, oder begründen neue, um die Fortsetzung ihrer Systeme zu sichern. Und das wäre? Religion, Familienstruktur, Bildungssystem, Kultur, Medien, Wissenschaft usw. Ihr Ziel ist eins, den Menschen glauben machen, dass das System, das die Welt in einen unbewohnbaren Zustand verwandelt hat und für die unterdrückten Massen Hunger, Armut, Repression und Krieg bedeutet, auf immer und ewig bestehen und sich nicht verändern wird und aus der Menschheit eine hörige Gesellschaft zu machen und diese zu betäuben.

Zum Beispiel haben Religionen in Klassengesellschaften historisch betrachtet funktioniert, um eine Ideologie durchzusetzen, die bestehende Ungleichheiten in der gesellschaftlichen Ordnung stärkt. Zum Beispiel gelten die zehn Gebote in der Thora nur für Männer. Im neunten Gebot wird die Frau zusammen mit Dienern und Haustieren erwähnt. 

Mit anderen Worten: Wenn sich eine Frau im Besitz eines anderen befindet, ist sie ein Gegenstand, eine Ware, die ein Mann nicht begehren sollte. Dieselbe Anschauung kann man auch im Christentum finden, das später entstanden ist. Zunächst verkörperte Jesus den Kampf gegen die Sklaverei im Römischen Reich, repräsentierte den Aufstand gegen die Verachtung und Unterdrückung der Massen. Als sich die Religion der Armen im Kampf gegen Ungerechtigkeit zu einer Institution der christlichen Kirche entwickelte und das vom Römische Reich als Staatsreligion angenommen wurde, verbanden sich die Interessen des Adels mit ihren Interessen. Beginnend mit dem sechsten Jahrhundert begann die Kirche, in eigenem Namen Steuern zu erheben. „So“, sagt Rosa Luxemburg, „haben die Armen nicht nur die Unterstützung und Hilfe der Kirche verloren, sondern mussten auch erleben, wie Priester Verbündete der Ausbeuter, nämlich Verbündete von Fürsten, Adligen und Wucherern wurden. Während die Arbeiter im Mittelalter durch Leibeigenschaft immer ärmer wurden, wurde die Kirche immer reicher.“ 

Der Islam hat wie seine Vorgänger, das Judentum und das Christentum, der fortschreitenden Unterdrückung von Frauen in der neuen Gesellschaftsordnung zugestimmt. Es ist ein Produkt sowohl der christlichen als auch der islamischen Klassengesellschaft, und ihre Ideologie hat sich weiterentwickelt, um die Klassenausbeutung im Mittelalter und Formen der Unterdrückung von Frauen zu rechtfertigen. Diese Ideologien existieren in modernen Klassengesellschaften in verschiedenen Formen weiter und werden ihre Gültigkeit bewahren, solange die Klassenausbeutung und die Unterdrückung von Frauen anhalten. Lenin war in Bezug auf diese beiden Dimensionen der Religion sehr deutlich: „Der Marxismus sah in allen modernen Religionen und Kirchen, in jeder religiösen Institution ein Werkzeug, das von der bürgerlichen Reaktion benutzt wurde, um die Arbeiterklasse auszubeuten und ihren Verstand zu betäuben.“ Basierend auf Marx führt er weiter aus: 

Alle, die sich Zeit ihres Lebens abmühen und in Armut leben, haben von der Religion gelernt, in dieser Welt gehorsam zu sein, geduldig zu sein und Trost in der Hoffnung zu finden, im Paradies belohnt zu werden.“

Genau das erwartet die konservative, faschistische, frauenfeindliche Regierung der Türkei von Frauen, die täglich Gewalt und Verbrechen ausgesetzt sind, nämlich Gehorsam und Geduld. Wenn der Islam, der in der Türkei seit Gründung der Republik offiziell als einzige Religion anerkannt ist, sagt: „Ihr dürft eure Frauen schlagen“, und im täglichen Leben angewendet wird, was der Koran sagt: „Ermahnt zuerst eure Frauen, die ihr eines Ungehorsams verdächtigt, und wenn sie nicht auf euch hören, dann schlagt sie“, dann wird das unweigerlich zu Gewalttaten führen, die uns an die Grenze unseres Verstandes bringen. Natürlich gab es den Islam hier schon vor der AKP. Tatsächlich existiert die falsche Vorstellung und Schlussfolgerung, dass die Islamisierung der Gesellschaft und die Verschlechterung des Status von Frauen mit der AKP begann. Dass es im letzten Jahrzehnt sichtbarer und rücksichtsloser geworden ist, ändert nichts an dieser Tatsache. 

Die bürgerliche Revolution in der Türkei hat noch nicht stattgefunden, feudale Werte herrschen immer noch vor. Die Rechte von Frauen, die nur auf dem Papier existieren, wurden im Rahmen der Europäisierungsbemühungen nach der Gründung der Republik Türkei von oben nach unten verordnet, sie sind nicht Folge von mutigen Kämpfen wie im Westen. Zweifellos wurden im Kampf für Frauenrechte bedeutende Fortschritte erzielt, sie fingen an, sich im Rahmen des Kampfes zu organisieren, aber sie haben keinen Befreiungskampf entwickelt, wie Frauen, die im Kampf um die Weltrevolution Geschichte geschrieben haben und bereit waren, die Guillotine zu besteigen. Die gegründeten Frauenorganisationen wurden von der kemalistischen Regierung unterdrückt, entweder geschlossen oder blieben regierungsnahe Institutionen, die sich nicht primär mit der Frage der Frauen befassten. Der Grund dafür ist natürlich in der Geschichte der faschistisch-kemalistischen Republik Türkei zu suchen. Der Kemalismus hat für keine Vorkehrungen gesorgt, die es ermöglichen würden, eine Frauenrechtsrevolution umzusetzen und zu verbreiten. Der Kemalismus hat diese Revolution nur dem Schein nach durchgeführt, während er behauptete Säkularisierung und Entislamisierung zu betreiben. Es hieß: „Lasst Frauen ins Berufsleben gehen“ – währenddessen versäumte man Vorkehrungen zu treffen, die die Belastung der Frauen in der Familie verringern (Kinderkrippen am Arbeitsplatz, Sozialisierungsprozess, der dafür sorgt, dass sich auch Männer an der Hausarbeit beteiligen usw.). Es hieß: „Frauen sollen Zugang zu Bildung erhalten“ – währenddessen versäumte man Vorkehrungen zu treffen, Frauen außerhalb von Istanbul und Ankara zu ermöglichen, ihr Bildungsniveau über das der Grundschulbildung hinaus zu erhöhen. Es hieß, Frauen sollen das Recht haben, zu wählen und gewählt zu werden, aber unabhängige Organisationen, die die Rechte von Frauen vertreten und Frauen auf die Politik vorbereiten, wurden nicht zugelassen, und bestehende Organisationen wurden ab 1934 geschlossen, in dem Jahr, in dem, wie schon erwähnt, Frauen politische Rechte gewährt wurden. 

In all den Jahren seither hat sich nichts geändert. Die Frauenvereinigung Rosa (Rosa Kadın Derneği), die am 29. Dezember 2018 gegründet wurde, um alle Arten von Gewalt gegen Frauen zu bekämpfen und Maßnahmen zur Beseitigung aller Arten von Diskriminierung von Frauen zu ergreifen, und die im Rahmen ihres Gründungszwecks Frauen, die Gewalt ausgesetzt sind, kontinuierlich berät und unterstützt, und Kampagnen und Aktionen durchführt, wurde im Mai 2020 gegen Morgen von der Polizei durchsucht und ihre Vertreter wurden festgenommen. Bitter, nicht wahr? Im Kampf gegen Gewalt wurden Frauen gewaltsam festgenommen und staatlicher Gewalt ausgesetzt. Den Inhaftierten wird vorgeworfen, Pressemitteilungen verfasst zu haben und zu verschiedenen Zeiten an Aktionen und Veranstaltungen wie Protesten gegen Treuhänder teilgenommen zu haben und bei Beerdigungen von vom Staat getöteten zivilen Kurden anwesend gewesen zu sein, um deren Familien beizustehen.

Unter ihnen sind ältere Samstagsmütter, die von der Polizei angegriffen, geschlagen, an den Haaren gezogen und festgenommen worden sind, dabei besteht der einzige Wunsch darin, etwas über den Verbleib ihrer Kinder, die vor Jahren in Gewahrsam verschwunden sind, etwas in Erfahrung zu bringen oder die Gebeine dieser zu bekommen, um diese der Erde zu übergeben. Diese Samstagsmütter treffen sich seit 1995 jeden Samstag in Istanbul, um nach dem Verbleib ihrer Kinder zu fragen. In der Geschichte der Republik Türkei wurden 17 000 Morde unbekannter Täter begangen. Jeder weiß nur zu gut, dass die Sicherheitskräfte des Staates oder Angehörige paramilitärische Einheiten die Täter waren. Wie oft haben Angehörige der Sicherheitskräfte Jahre später Erklärungen abgegeben, wie sie Zivilisten ermordet haben. Im Land wurden viele Massengräber aufgedeckt. Vor Gericht ging es häufig um zivile Tote. Herr Heise behauptet in seinem Plädoyer, die TKP/ML sei eine Organisation, die Zivilisten tötet. Was sagt man dazu? Diese Zahl, 17 000, betrifft nur die ungelösten Fälle. Dazu kommen noch diejenigen, die mitten auf der Straße ermordet wurden, die Kinder, die in Kurdistan von Panzern niedergewalzt wurden, diejenigen, die in den Kellern von Cizre verbrannt wurden, der Mord an 33 Studenten in Suruç, die syrischen Kindern Spielsachen bringen wollten, 110 Zivilisten, die bei einer Friedensdemonstration getötet wurden, das unter dem Motto stand „Die Kriege sollen Enden“, und die 34 Menschen, die in Şırnak-Roboski durch Bomben getötet wurden, die von Flugzeugen der türkischen Streitkräfte über Dorfbewohnern abgeworfen wurden, die die Grenze überquerten. Neunzehn der Getöteten waren jünger als 18 Jahre. Das sind diejenigen, die mir gerade in den Sinn kommen. Wenn es um die Tötung von Zivilisten geht, ist die erste Adresse, an die man sich wenden sollte, die faschistische Republik Türkei.

Die Gründe für diese faschistische, mörderische Struktur der Republik Türkei müssen in ihrer Beziehung zum Imperialismus gesucht werden. Angeblich unabhängige, jedoch wirtschaftlich abgehängte Länder wie die Republik Türkei, werden durch den Export des Kapitals dominiert und durch eine Halbkolonialisierung abhängig gemacht. Der Imperialismus sieht diese Länder, die Kolonien/Halbkolonien und halbfeudal sind, als Marktgebiete, in denen noch mehr ausgebeutet und Gewinn erwirtschaftet werden kann, als Rohstoffquellen, Gebiete für Kapitalanlagen und Reserven für günstige Arbeitskräfte. Um dies zu gewährleisten, macht er sie einerseits mit Schulden und Darlehen abhängig und andererseits erwirtschaftet er mit seinen Kapitalinvestitionen große Gewinne.

Je nach seinem Vorteil verflechtet er kapitalistische Beziehungen mit feudalen Beziehungen; während er hier und da die feudalen Beziehungen auflöst, bewahrt er diese da und dort, um sie für noch mehr Ausbeutung auszunutzen. Während die Imperialisten dies tun, gehen sie mit den rückschrittlichsten herrschenden Klassen dieser Länder Bündnisse ein. Die Untersuchung der Geschichte der Osmanisch-Deutschen Beziehungen liefert uns Belege zu diesem Thema. Der deutsche Imperialismus, der seine imperialistische Expansion mit seiner Politik des Ostens konkretisierte und versuchte, Länder wie Indien, Ägypten über das Osmanische Reich zu erreichen, formte seine auf die Wirtschaft gründenden Beziehungen mit den Osmanen und dieser Prozess dauert auch heute noch an. In vielen geschichtlichen Quellen wird aufgeführt, dass die Deutschen ihre Generäle beauftragten, um das Osmanische Heer zu schulen. Auch dass der Genozid an den Armeniern im Jahr 1915 mit der Kenntnis dieser Generäle und mit deren Unterstützung erfolgte. Der Grund für den Genozid ist sehr offensichtlich: die Jungtürken, die den Traum einer nationalen Bourgeoisie hegten, wollten die Ersparnisse und das Vermögen der Nicht-Muslime, allen voran der Armenier, rauben. 

Das ist der Charakter des Imperialismus, die Kollaboration mit den Tätern an dem Völkermord, ja sogar die geleistete Unterstützung an dem einer von beschämensten Vorkommnissen des letzten Jahrhunderts. Jedoch war es damit nicht getan, diese Kollaboration dauerte in der faschistischen kemalistischen Zeit der Republik Türkei an, die ihre Politik der Vernichtung und Leugnung des kurdischen Volkes anwendete und Massaker verübte. Gegen die Sowjetunion oder den sozialistischen Kampf, oder gegen islamistische Bewegungen durch die Bedeutung der geostrategischen Lage als Puffergebiet, würde ein türkischer Staat, der wirtschaftlich abhängig ist, ihnen sehr in den Kram passen. Während wirtschaftliche Abhängigkeit dafür sorgt, dass die bürgerliche Revolution sich nicht entwickelt, die Wirtschaft naturgemäß militarisiert wird und Kriege hervorruft, bringt der Faschismus mit sich, dass nationaler Druck, Diskriminierung von Rasse, Religion und Geschlecht u.ä. in großem Maße erstarken. Deswegen kann die Vernichtungs- und Verleugnungspolitik der Republik Türkei im Hinblick auf das kurdische Volk, die Massaker an Kurden und Aleviten, die Assimilationspolitik, der Druck auf die übrigen Minderheiten und Konfessionen, sowie die Schärfe des Frauenproblems nicht nur mit den politischen Interessen der aktuell Herrschenden erklärt werden. Wie wir oben versucht haben darzulegen, kann es nur mit der sozialen und wirtschaftlichen Struktur, der Beziehung mit dem Imperialismus, dem Charakter der herrschenden Klassen und der Struktur ihrer politischen Vertreter verstanden werden.

Neben dem intensiven Hunger, der Armut, der Knappheit, der Arbeitslosigkeit, der Zerstörung, dem Faschismus und den massenhaften Todesfällen, die auf die Völker dieser halbkolonialistischen, halbfeudalen Länder entfallen, die die Hälfte der Weltbevölkerung ausmachen und von einem faschistischen Staat geleitet werden, ist die Situation der Frauen noch viel schlimmer. Sie erleben den Hunger, die Armut, die Arbeitslosigkeit, die das gesamte Volk erlebt, noch um ein Vielfaches mehr und zu diesen Dingen gesellen sich noch in intensivem Maße Tatsachen wie Gewalt, Druck, national-konfessioneller Druck, Prostitution, sexuelle Belästigung-Vergewaltigung und Frauenhandel. Während die Frau einerseits durch die Ausbeutung der wirtschaftlichen, kulturellen Beziehungen unterdrückt wird, in der die Frau durch das kapitalistisch-imperialistische System zu einer Ware gemacht und als billige Arbeitskraft gesehen wird, ist sie andererseits dem Joch der feudalen Produktionsweise und Werturteile unterworfen, die die Frau als Ware-Gegenstand ansehen. Während besonders in ländlichen Gebieten die „geschlossene“ Struktur des Feudalismus wirksam wird, füllen diejenigen, die Zerstörung erfahren und in die Städte ausgewandert sind, die illegal gebauten Stadtteile mit ihren Häusern und machen dort Bekanntschaft mit der bezahlten Arbeit des Kapitalismus in Hunger und Armut. Aus diesem Grund ist die Teilnahme der Frau am Arbeitsmarkt im Vergleich zu kapitalistischen Ländern in solchen Ländern niedriger. Diejenigen, die am Arbeitsmarkt teilnehmen, haben unqualifizierte und schlecht bezahlte Arbeitsverhältnisse unter schlechten Bedingungen, ohne Arbeitssicherheit und soziale Sicherung, sogar unterhalb des Mindestlohns, in Teilzeit, als Fortsetzung der Hausarbeit, hauptsächlich in häuslichen Umgebungen und in Hausdiensten (als Putzfrau etc.) oder als Arbeiterinnen in der Landwirtschaft. Zusammen mit der feudalen Kultur und dem Einfluss der Religion wird die häusliche Sklaverei viel heftiger erlebt. In diesen Ländern haben die Frauen auch noch nicht die Gleichheit der Rechte vor den Gesetzen vollständig erlangt oder können sie nicht nutzen. Die Frau ist angefangen bei der Familie, bis in die Gesellschaft, das öffentliche Leben und deren Institutionen, also in sämtlichen Lebensbereichen, von der patriarchalischen Denkweise und dem patriarchalischen System umringt. Die Keuschheit der Frau ist mit der „Ehre der Familie“ verflochten und diese sind sehr wichtige Begriffe. In derartigen Gesellschaften, in denen die Begriffe „Stolz, Ehre und Scham“ am meisten angewendet werden, wird der Stolz eher vom Mann vertreten, Ehre und Scham, die mehr zu den Frauen gehören, sind Eigenschaften, die den Stolz der Männer vermehren oder herabsetzen. Aus diesem Grund ist aus Sicht der Männer die Tatsache, die Frauen unter Kontrolle zu halten, sehr wichtig für die Bestimmung ihrer eigenen Ehre. Aus diesem Grund wird Ehre, die mit der Sexualität der Frau in Einklang gebracht wird, vornehmlich durch die Frau vertreten. Innerhalb des Ehrbegriffs ist es sehr wichtig, dass die Frau ihre Jungfräulichkeit vor der Ehe bewahrt. Mancherorts bedeutet die Tatsache, dass eine Frau eine außereheliche Beziehung hat oder ein außereheliches Kind, geschieden ist oder gar arbeitet, dass die Ehre der Frau beschmutzt ist. In patriarchalischen Strukturen ist die Frau ein Objekt, das die Ehre, den Ruf und den Stolz des Ehemannes, des Vaters, des Sohnes und des Bruders beschützen muss und ihnen gehört, und eine Frau, deren Ehre beschmutzt ist und den Ruf der Familie beschädigt hat, verdient gemäß den Sitten den Tod. Wir können sagen, dass die Gründe für Morde im Namen der Ehre nicht nur die oben von uns genannten sind. Außerdem können laut durchgeführten Frauenforschungen manche Verhaltensweisen von Frauen, die ohne Wissen und Erlaubnis der Männer in der Familie an den Tag gelegt werden, auch ein Grund für einen Mord sein. Diese Verhaltensweisen können beispielsweise das Fehlverhalten der Frau gegenüber ihrem Mann beim Bedienen, das Zeigen einer Gegenreaktion auf die Gewalt in der Familie, laut sprechen, lachen und sich schminken, aufgrund von Gewalt durch den Ehemann die Scheidung verlangen oder ohne Erlaubnis nach draußen gehen oder sich nicht in dem vorgegebenen Rahmen kleiden sein.

Die Frau, deren Körper und Sexualität mit Füßen getreten wird, wird als Eigentum des Mannes, das Mittel für Lust und Kindergebären angesehen. Mit Dutzenden verschiedenen Methoden wie Brautpreis, “berdel”, also das gegenseitige Verheiraten von Geschwisterkindern zweier Familien, das Zweitfrauendasein, weibliche Beschneidung in manchen Ländern, mit der Ausrede des religiösen Glaubens der Zwang ein langes Gewand oder eine Burka zu tragen, etc. etc. werden der Körper und die Sexualität der Frau verboten und dominiert. Wenn die Frau dann auch noch einem unterdrückten Volk angehört, wird all dem auch noch der Druck auf das Volk durch den Staat hinzugefügt.

In der Gesellschaft der Türkei ist das heterosexistische Familienoberhaupt der Mann.

Die Frau wird als sekundäre/abhängige Art angesehen. Hier und da wird sie nicht einmal als Mensch betrachtet. Sie wird als “fehlender Rock” (also ohne männliches Geschlechtsteil) bezeichnet, sie ist diejenige, die in der Reihenfolge “nach den Ochsen kommt”, “sie hat lange Haare, jedoch einen kurzen Verstand”. Sie kann sich nicht in die Entscheidungen in der Familie einmischen. „Sie muss eine gute Mutter, und eine keusche Ehefrau sein“. Sie muss alle Bedürfnisse ihres Mannes, Sexualität eingeschlossen, erfüllen, eine gegenteilige Situation würde sowohl aus Sicht der allgemeinen Normen der Gesellschaft, als auch für die Religion eine Sünde darstellen. Für die Fortführung der heiligen Familie ist die Frau verantwortlich. Auch wenn es gesetzlich das Recht auf Scheidung gibt, gibt es dieses in der Praxis nicht. Auch wenn sie Gewalt erfährt, betrogen wird, muss sie diese Ehe fortsetzen. Es ist eine Sünde und ungehörig sich scheiden zu lassen, eine geschiedene Frau kann ihre Ehre nicht bewahren und hat somit ihre Keuschheit verloren, weil ihr kein Mann vorsteht. Weil sie dies selbst bevorzugt hat, verdient sie es genötigt und vergewaltigt zu werden. Dieses Verständnis herrschte etwa nicht in der Zeit des osmanischen Reiches vor, sondern dauert bis in die Türkei des 21. Jahrhunderts fort. Wie bekannt ist, haben Gewalt gegen Frauen und Frauenmorde seit Beginn der AKP Regierung bis heute um 1400 % zugenommen. Mehr als die Hälfte der Morde an Frauen werden von den Ehemännern der Frauen, die sich scheiden lassen möchten, begangen. Und das obwohl die meisten dieser Frauen ihre Ehemänner, von denen sie geschieden werden möchten, bei der Polizei oder Staatsanwaltschaft angezeigt haben, weil sie von ihnen bedroht wurden. Da leider die Polizisten, die Staatsanwälte und Richter die gleiche Denkweise haben, sehen auch sie diese Frauen als „unkeusch“ an und sehen keine Notwendigkeit darin sie zu schützen. Eine Meldung, die in den Medien Wiederklang gefunden hat, ist lediglich ein Beispiel von Hunderten für diese Denkweise, die im Alltagsleben vorkommt.

Die Meldung mit der Überschrift „Ihr habt Sex und danach müssen wir uns damit herumschlagen“ lautet folgendermaßen: N.K., die in İskenderun seit 3 Jahren von ihrem Ex-Geliebten Y.D. genötigt und bedroht wird, erstattete mehrfach bei der Polizei und Staatsanwaltschaft Anzeige. In dem wegen “schwerem sexuellen Missbrauch” geführten Gerichtsverfahren, in dem sie viel kämpfen musste, lautete die Antwort des Staatsanwalts auf den Haftantrag: “Warum gehst du mit ihm ins Bett? Danach müssen wir uns damit herumschlagen”. Gegen den Übergriffigen wird ohne Untersuchungshaft verhandelt.

Im Jahr 2019 wurden in der Türkei laut der Plattform „wir werden die Frauenmorde stoppen“ 474 Frauen getötet. Diese Zahl wurde als höchste der letzten zehn Jahre vermerkt.

-Emine wurde, nachdem sie sich von ihrem Mann getrennt hatte, als sie einerseits an der Universität studierte, und andererseits arbeitete und ihr Kind versorgte, von ihrem Exmann vor den Augen ihrer zehnjährigen Tochter brutal getötet.

-Fatma war erst 31 Jahre alt, als ihr Mann starb und sie mit ihren drei Kindern alleine dastand. Sie arbeitete in zwei Jobs, um ihre Kinder versorgen zu können. Selbst der Krebs hat ihr Lachen nicht vernichten können. Sie wurde dann von ihrem Freund getötet.

-Als Rabia heiratete und schwanger wurde, brach sie die Schule ab. Sie war 17 Jahre alt, als sie geheiratet hat. Sie wurde von ihrem geschiedenen Ehemann umgebracht.

Emine Bulut, Fatma Şengül, Rabia Tümkaya sind nur drei der im Jahr 2019 in der Türkei getöteten Frauen.

Wenn man nur die Zeitungsmeldungen in der Türkei anschaut, dann weiß man über den Ernst der Lage Bescheid. Wenn man die Onlineseiten der Zeitung namens Rastgele Siyasi Haber anschaut, dann lauten die ersten Meldungen der Reihe nach wie folgt:

-Frauenmord: Çilem wurde von ihrem Mann getötet.

-Er tötete die Frau, mit der er eine religiöse Ehe geschlossen hatte und die Mutter von drei Kindern war.

– Merve Konukoğlu, die im Kreis Ergani in Diyarbakır zusammen mit ihrer Mutter lebt, wurde in Elazığ, wohin sie sich zu einer Prüfung begeben hatte, von ihrem Vater Mikail K. ermordet.

-Frauen sterben und es wird Selbstmord genannt: in Ağrı bereits der sechste verdächtige Frauentod innerhalb von 35 Tagen.

-In İstanbul innerhalb einer Woche vier Frauenmorde.

– In Manisa wurde die 22-jährige Gülnur Kocabaş von ihrem Freund mit einem Luftgewehr getötet. 

-In Rize wurde die AKP Leiterin Gamze Pala von dem Mann, den sie zurückgewiesen hat, getötet.

-Im Kreis Çubuk in Ankara wurde die Leiche der Gymnasiastin Şeyma Yıldız am Straßenrand gefunden. Es wurde angeführt, dass ihr Vater H. Yıldız, der sich der Polizei stellte, seine Tochter getötet hatte, weil er herausfand, dass sie einen Freund hat.

-Es wurde gemeldet, dass die 23-jährige Frau namens Zeliha Armağan nicht akzeptiert hatte eine Kuma (Zweitfrau) zu werden und sie daher von einem Abgrund heruntergeworfen und getötet wurde, indem man ihren Kopf zermalmte. (Kuma ist die zweite Frau eines verheirateten Mannes).

Sehr geehrter Vorsitzender,

Sie haben am Ende des letzten Verhandlungstags mein letztes Wort kommentiert und mich gebeten, die weiteren Ausführungen zu überdenken. Das hat mich ein bisschen irritiert bzw. gestört. Ich denke, im letzten Wort des Angeklagten ist eine solche Intervention des Gerichts nicht angebracht. Insbesondere finde ich es befremdlich, dass meine Ausführungen mit Informationen zum Schicksal der Frauen in der Republik Türkei zum Anlass genommen werden, diese als lang und unnötig zu qualifizieren. Vier jahre lang wurden hier zahlreiche Dokumente und Urkunden, die miteinander Ähnlichkeit darstellten, verlesen, bei denen sich vieles wiederholt hat. Ich mache meine Ausführungen und gebe diese Informationen weiter, weil sie Teil unserer Einschätzung der Lebensbedingugnen in der Republik Türkei sind. In unserem Land gibt es viele Probleme, die das Leben der Menschen dort – das auch mein Leben war – massiv beeinflussen. Wenn Sie das, Herr Vorsitzender, nicht interessiert, gut. Ich bin aber der Meinung, dass in einem solchen politischen Prozess die gesellschaftlichen Hintergründe erforscht werden müssen. Wenn eine juristische Denkweise die Hintergründe ausblenden will und es als gerecht erachtet wird, dass ein Urteil allein anhand der Ergebnssie gefält wird, so muss ich sagen, dass eine solche Denkweise und ein solches Rechtsverständnis verhängnisvoll sind. 

Ich fahre nun fort.

Der Staatspräsident dieses Landes, Erdogan, kann unverblümt sagen, dass das mit der Gewalt gegen Frauen übertrieben wird, dass er nicht an die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau glaube, dass die Jungfräulichkeit der angegriffenen Frauen hinterfragt werden müsste und der damalige Vizepremier Bülent Arinc kann offen sagen, dass eine Frau tugendhaft sein müsste, dass sie in der Öffentlichkeit nicht laut lachen sollte, und dass sie mit ihrer Kleidung und ihrem Verhalten nicht verführerisch wirken dürfte.

Obwohl die oben von mir geschilderten Zustände in den vergangenen Jahren noch sichtbarer geworden sind, können diese nicht lediglich mit der AKP-Regierung und der Persönlichkeit des Herrn Erdogan erklärt werden. Das sind nur die Folgen und allein von den Folgen ausgehend kann man nicht zu einem richtigen Urteil gelangen. Der Grund für den heutigen türkischen „Konservatismus“ ist die faschistische kemalistische Ideologie, auf der die Republik Türkei seit ihrer Gründung basiert. Diese Ideologie setzt sich aus den Komponenten Religion, Familie und Chauvinismus zusammen. Die faschistische kemalistische Diktatur stützt sich dabei auf die Türkisch-Sunnitische gesellschaftliche Basis, welche in der multinationalen und multikonfessionellen Gesellschaftsstruktur den gesellschaftlichen Schwerpunkt bildet, sodass daraus resultierend es in der gesellschaftlichen Basis einen Stützpfeiler für den Faschismus gibt. Sämtliche familiäre sowie kulturell-gesellschaftliche Werte und die politische Gestaltung sind entsprechend der türkisch-sunnitischen Herrschaftsform genormt und gestaltet. Aufgrund dieses Umstandes werden die Konfessionen und Kulturen anderer Nationen verleugnet werden und alles, was diese Nationen haben, assimiliert. Das Bildungssystem, das Rechtssystem, das Mediensystem, die Religionsangelegenheiten und Beziehungen, die polizeilichen und militärischen Strukturen, die Gestaltung der Justiz und Behörden, die Gestaltung der wirtschaftlichen Beziehungen und politischen Geschichte fußen auf diesen ideologischen Fundamenten. Welche Regierung an der Macht ist, ist dabei nicht ausschlaggebend. Die eine Regierung stellt das Argument des Türkentum in den Vordergrund, die nächste die des sunnitischen Islams, doch beide Argumente dienen lediglich der Verfestigung der Herrschaft. 

Diese aktuelle chauvinistische Welle ist nichts anderes als der existente Nationalismus, der im Zuge der politischen Erfordernisse in Form von Kampagnen sichtbar wird. Diese Art des gesteigerten Chauvinismus ist in der Geschichte der Türkei eine beständige Tradition. Aus Sicht der Frauen kann dieser Zeitabschnitt mit Hitler-Deutschland verglichen werden. Faschismus macht die Frau zu etwas gewöhnlichem, zwingt sie dazu, für den Staat Soldaten zu gebären und erziehen, setzt die Frau zu einem Produktionsorgan herab.

Für den Faschismus stellt die Frau das Fundament des patriarchalischen Systems dar. Sie muss entsprechend der von diesem System festgelegten Regeln Kinder gebären, erziehen und sie muss für ihr Vaterland segenbringend und mit ihrem Staat verbunden sein. Eine solche Frau ist der „Stolz der Nation“ und der Grundstein dieser. Der Faschismus, der das Patriarchat als Kraft, Macht, Stärke, naturgegeben anerkennt, untermauert und belegt diese Ansichten dem Kern nach mit religiösen Argumenten. Der Frau wird auferlegt, diesen Umstand zu akzeptieren, ja, sogar vorausgesetzt. Die türkischen Frauen müssen diese gegenüber „separatistischen“ Kurden, gegen die fremden „großen Mächte“ und „alle Vaterlandsverräter“ umsetzen. Die Frauen im 3. Reich hatten sich die als 3 K bezeichnete Formel, Kirche, Küche, Kinder, zu eigen gemacht. Dabei handelt es sich nicht um eine zufällige Gemeinsamkeit des damaligen Deutschlands und der Republik Türkei, es ist vielmehr der Charakter des Faschismus und die Frauen werden über die heilige Familie, heiliges Muttersein für die faschistische Politik instrumentalisiert. 

Der Staat Republik Türkei und dessen Justizsystem, die die Begriffe “heilige Familie, göttliche Mutterschaft, Ehre und Keuschheit, Sittsamkeit, Religion und Kinder” immerzu verwenden, haben in Bezug auf das Thema Kindesmissbrauch und -vergewaltigung eine haarsträubende Haltung. In den Heimen, die angeblich zur Ensar-Stiftung gehören sollen, wurde der Skandal des Missbrauchs an Kindern aufgedeckt, darauf folgten einige weitere Vorfälle über Kindesmissbrauch in Heimen, die anderen Gemeinden angegliedert sind. Die Antwort des Ministeriums für Familien- und Sozialpolitik auf diese Vorkommnisse, gegen die viele Einrichtungen, Organisationen und Parteien protestierten, war: “Als in Karaman der erste Fall auftrat, hat sich unser Ministerium sofort rechtlich eingesetzt, aber ein einmaliges Vorkommnis kann keine Begründung für Verunglimpfung sein.” Was sie damit sagen wollte, war: “Ein Fall der Vergewaltigung bedeutet nichts, bauscht es also nicht auf”.

Dass ein Ministerium für Familie und Sozialpolitik eine solche Haltung einnimmt, legt offen, dass die verbreitete und systematische Begehung von sexuellem Missbrauch von Kindern und sexuelle Übergriffe mit dem Charakter des Staates Republik Türkei und dessen Regierung zusammenhängen. Die Folgend sind haarsträubend, neben dem Umstand, dass 46% der Sexualstraftaten zu Lasten von Kindern begangen werden, beträgt die Anzahl der sexuell missbrauchten monatlich mehr als 650. In einem Land, in dem ein Ministerium für Religionsangelegenheiten sagt, dass Mädchen mit 9 Jahren schwanger werden können, dass sie auch ohne Anwesenheit von Erziehungsberechtigten heiraten können sollten und es religiös nicht tabu ist, wenn ein Vater bei dem Gedanken an seine Tochter Begierde empfindet, sollte man sich über solche Folgen nicht wundern. 

Wir sind hier mit einem Staat und seinem Rechtssystem konfrontiert, in dem Vergewaltigung eines 14-jährigen Kindes durch 23 Personen dahingehend kommentiert wird, dass die geistige Reife des Kindes unzureichend entwickelt gewesen sei oder bei Vergewaltigungen gesagt wird „viele dieser Beziehungen waren einvernehmlich“ oder der viele der Sexualtäter freilässt oder Strafen verhängt, die man nur als lächerlich bezeichnen kann oder in dem ein Staatsminister ohne weiteres sagt: „Wenn die vergewaltigte Frau dabei schwanger wird, soll sie es entbinden, wozu eine Abtreibung, warum soll der Säugling sterben, die Mutter soll sterben.“ 

Wer sich gegen diese ekligen Haltungen positioniert, gegen Gewalt an Frauen und Kindern, sexuellen Missbrauch protestieren möchte, der wird Polizeigewalt ausgesetzt, geschlagen, wird unter Drangsalierung in die Internierungszelle geschleift, ja sogar in Untersuchungshaft genommen. Ich spreche von einem Land, in dem Homosexualität, Transsexualität, also andere sexuelle Neigungen als Perversion angesehen werden. Von einem Verständnis, das daran glaubt, dass sie “pervers” sind und deswegen Nötigung, Gewalt, Vergewaltigung verdienen, und das dies, wie bei den anderen Beispielen von Staatsbediensteten und dem Rechtssystem akzeptiert wird. Es gibt so viele vergewaltigte, durch Folter und Prügel brutal getötete Körper von Transsexuellen, die in den Wäldern, in den Nebenstraßen gefunden wurden. Sie waren ja keine Menschen, daher war eine Ermittlung nicht nötig. So viele brutale Morde, Angriffe wurden so vertuscht. Es ist ohnehin so, dass die Polizisten, die die Ermittlungen führen sollen, die internierten Homosexuellen, Transsexuellen vergewaltigen und foltern, und die Staatsanwälte und Richter sind schon von vorneherein überzeugt, dass sie pervers und daher schuldig sind. In den Institutionen des türkischen Staates lassen sich alle widerlichen, eines Menschen unwürdigen Eigenschaften, die aus den geschichtlichen Erfahrungen des Faschismus gefiltert wurden, finden. Rassismus, Chauvinismus, Frauenfeindlichkeit, Homophobie, ja sogar zeitweise Pädophilie und Nekrophilie. Die Republik Türkei hat ein Heer, in dem Soldaten die Leichname von Guerillas vergewaltigen und sich damit rühmen und dies auf Internetseiten einstellen. 

Hier, der Staat Republik Türkei, seine Polizei, sein Militär, seine Staatsanwälte, seine Richter. Dokumente, darunter auch solche, die mit großer Wahrscheinlichkeit durch Folterverhöre erlangt wurden und von Staatsanwälten erstellt wurden, gegen die wegen Urkundenfälschungen und Beteiligung an Morddelikten Haftbefehle erlassen wurden oder die in der Türkei zu Haftstrafen verurteilt wurden, erstellt wurden, sind Bestandteil der Akte des hiesigen Verfahrens. Es sind Dokumente, die von Staatsanwälten eines Staates ausgestellt wurden, in dem bedauerlicherweise viele Straftaten, die Gegenstand von Strafverfahren sein müssten, zum Bestandteil des Alltags und zur Gepflogenheit geworden sind. Das Spannende daran ist, dass die Staatsanwälte, Richter, Polizisten und Soldaten die seinerzeit dazu im Stande waren, sich jetzt darüber laut empören, dass sie schlecht behandelt werden und man zu ihren Lasten gefälschte Dokumente erstellt hätte. Sie haben recht, mit dem was sie sagen. Das, was sie gestern für die Staatsräson als Dienst erwiesen haben, wird heute von den jetzigen Zuständigen für die gleiche Staatsräson umgesetzt, auch wenn das auf Kosten ihrer Vorgänger geht. Kurz gesagt, die Kontinuität im Staat bleibt bestehend und wird fortgesetzt. Was jedoch unveränderlich bleibt ist der Umstand, dass die Demokraten, Fortschrittlichen, Revolutionäre und Kommunisten in jeder Lage der Folter und Verschwörung ausgesetzt sind und bei jeder Forderung nach Rechten mit Repressionen und Gewalt überzogen werden. Das ist ein Umstand, der in der 97-jährigen Geschichte der Republik Türkei unverändert geblieben ist.

Natürlich wäre es naiv hierüber erstaunt zu sein. Man braucht dies, um die gegen den faschistischen Türkischen Staat kämpfenden Kräfte als “Terroristen” zu bewerten. Wenn die Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte gegen die Türkei, die Berichte von Amnesty International und der Folterpräventionskomissionen gegen die Republik Türkei, den Bericht, den der vom Gericht berufene Sachverständige und Turkologe Prof. Neumann, der lange Jahre seines Lebens in der Türkei verbracht hat, verfasste und in seiner Vernehmung erweiterte, als Grundlage genommen worden wären, dann hätte der türkische Staat als Terrorist verurteilt werden müssen. 

Sehr geehrter Vorsitzender und sehr geehrter Senat,

seit dem Prozessbeginn im Juni 2016 bis heute haben wir über 220 Sitzungstage in diesem Saal verbracht. Ich denke vor allem, dass Sie als Entscheidungsinstanz in diesem Verfahren während dem Prozess Beobachtungen gemacht haben. Außerdem haben Sie über unsere Leben viele Informationen in der Hand, Sie werden uns immerhin ein wenig kennengelernt haben. Haben Sie bei uns Anzeichen für Sado-Masochismus oder Schizophrenie festgestellt? Sollten Sie fragen: ja, sind wir etwa Psychiater? Dann kann man sagen, dass selbst die gewöhnlichen Menschen auf der Straße grobes Wissen über diese Krankheiten haben, ich habe keinerlei Zweifel daran, dass Sie noch mehr darüber wissen. Im Grunde genommen herrscht auf der Welt und in der Türkei Friede, Freude, Eierkuchen. Ist die Türkei vielleicht ein demokratischer Staat, in dem die Menschen glücklich in Frieden, Gleichheit und Wohlstand leben und wir uns im Delirium befinden und haben Halluzinationen, weil wir schizophren sind oder laufen all diese Dinge vielleicht in einer imaginären, von der Realität losgelösten, von uns erschaffenen Welt oder in unserem Unterbewusstsein ab? Oder behaupten wir einfach das Gegenteil, weil wir masochistisch sind, weil wir Schmerzen erleiden wollen, weil wir große Freude daran haben, unsere Jahre im Gefängnis zu verbringen? 

Sehr geehrter Vorsitzender und sehr geehrter Senat,

Nein, wir sind weder schizophren, noch sind wir masochistisch. Wir sind Menschen, die sich bemühen, die Welt zu erkennen. Im Grunde genommen bedarf es auch keiner großen Anstrengungen mehr. Wir haben alle den größten Teil unseres Lebens in der Türkei verbracht. Die Wurzeln mancher von uns reichen bis zu dem unschuldigen armenischen Volk, das massakriert wurde, zurück. Mancher von uns gehört zu den Kurden, die der Verleugnungs- und Vernichtungspolitik ausgesetzt waren. Manche von uns gehören zu den Aleviten, die man in Maraş und Çorum massakriert und in Sivas verbrannt hat. Manche von uns haben für ihre politischen Anschauungen und revolutionären Ideale schwerste Folter erlitten und viele Jahre in den Gefängnissen verbracht. Das heißt also, wir haben selbst erlebt, was es bedeutet, in einem faschistischen Land zu leben, besonders haben wir erfahren, was es bedeutet, Revolutionär zu sein und Frau zu sein. Bei der Erklärung zu meiner Person hatte ich erzählt, was ich an der Universität und später in meinem Berufsleben erlebt und gesehen habe. Ich hatte verstanden, dass das Verschließen der Augen vor der Realität und dass die Leugnung dieser Wahrheit nichts anderes bedeutete, als sie zu akzeptieren. Ich hatte Ihnen das alles erklärt und dargelegt. Heute bin ich selbstverständlich der gleichen Meinung wie damals. 

Wissen bedeutet gleichzeitig, dass man verändert. Denn ich glaube an die Wissenschaftlichkeit von Marxismus, Leninismus und Maoismus und an deren Weitsicht, und daran, dass die Welt, das heißt die Natur und das Gesetz des Fortschritts der Gesellschaften, mit dem dialektischen Materialismus herausgearbeitet und geändert werden kann. Die Geschichte der Menschheit ist die Geschichte des Kampfes der Unterdrückten, sagt Marxismus, Leninismus und Maoismus und erzählt vom Klassenkampf. Wenn wir die Welt anschauen, sehen wir die Bestätigung davon. Eine zweigeteilte Welt; die Unterdrückten und die Unterdrücker. 

Was gibt es auf der Seite der Unterdrückten: Kriege, Kinder, die jeden Morgen durch Explosionsgeräusche der Bomben aufwachen; Menschen, die zur Emigration gezwungen sind und auf der Flucht in den Meeren ertrinken, in die Hände von Menschenhändlern geraten, Frauen, die in den Flüchtlingslagern vergewaltigt oder zur Prostitution gezwungen werden; Hunger, Armut, Elend; Menschen die ihre Arbeitskraft im Gegenzug für nur eine Mahlzeit zur Verfügung stellen müssen; Tod durch Epidemien; Massenvergewaltigungen in den Kriegen; Frauen, die entführt und auf den Sklavenmärkten feilgeboten werden; Menschen, die wegen ihrer dunklen Hautfarbe getötet werden; Kurden, auf die die Bomben herabregnen, deren Häuser niedergebrannt und zerstört werden, die in den Kellern verbrannt werden; Frauen, die von ihrem geschiedenen Mann umgebracht werden; Frauen, deren Gesichter mit Säure verätzt wird und die mit der gleichen Ignoranz gewaltsam trotz der Schmerzensschreie beschnitten werden; Frauen, die lebendig begraben und gesteinigt werden; Menschen, die Polizeigewahrsam verschwinden; Mütter und Frauen, die auf der Suche nach ihren verschollenen Kinder und Männer oder deren Gebeine sind; Massengräber; Arbeiter die mangels Arbeitssicherheitsvorkehrungen jeden Tag zu Dutzenden sterben; Bauern, die der Ertragsausbeutung ausgesetzt sind; eine Armee von Arbeitslosen, der man das Recht auf Arbeit entrissen hat; unterdrückte Nationen, die man ihrer Identität und ihres Ichs berauben will; unterdrückte Glaubensgemeinschaften, die wegen ihres Glaubens der Unterdrückung ausgesetzt sind.

Was gibt es auf der anderen Seite? Die Imperialisten, die Ausbeuter, mit der Mühe der unterdrückten Völker angehäuftes Kapital, Waffenindustrie, die die Welt mit Blut und Feuer überzieht, die blutsaugende internationale Monopolisten, die Armeen, die die Zivilisten ermorden, die paramilitärische Einheiten, die dafür ausgebildet und ausgerüstet werden, zu foltern und zu morden. Es gibt die NATO und Gladio. Nach der Scharia strebende und faschistische Organisationen, Rassismus, Frauenhass, Sexismus, Homophobie, Zerstörung der Natur und Umwelt sowie des historischen Erbes. Ein Verteilungssystem, das die Einkommensungleichheit vertieft, eine Produktionsweise die die Zunahme dieser Ungleichheit und des Verteilungssystems fördert und erfordert. Darüber hinaus bedienen sie sich ihrer Manipulationswaffen, um die Menschheit zu betäuben. Sie suggerieren den Menschen ihren bürgerlichen Egoismus. Während sie einerseits die Produktion vergesellschaftlichen, versuchen sie die die Werktätigen nach dem Motto „Jeder ist seines Glückes Schmied“ einander zu entfremden und Individualisten zu erschaffen. Es existiert ein Staatsmechanismus, das vermittelt, wenn du gegen Ungerechtigkeiten, gegen Ausbeutung, Unrecht und Unterdrückung nicht aufbegehrst, wenn du all das nicht siehst, rühre ich dich nicht an. Es besteht ein Staatsapparat, der von Kopf bis Fuß hochgerüstet einem die Botschaft vermittelt, wie das eigene Ende aussehen wird, wenn man gegen den Staat aufbegehrt. Diejenigen, die sich für den einfachen Weg, also die eigene Haut retten, entscheiden, schließen die Augen vor der Realität. Um sich für die Wahrheit einzusetzen, bedarf es eines anderen Bewusstseins und eines Mutes der von einer ethischen und gewissenhaften Verantwortung herrührt und dessen Basis eben dieses andere Bewusstsein ist. Man erkennt aber auch, dass dieser Mut einen Preis fordern wird. Ebenso wie man die Realität des Lebens und die Widersprüche begreift, begreift man auch, was einem widerfahren könnte, wenn man dagegen aufbegehrt. Heute sind wir genau mit dem, was wir im Falle des Aufbegehrens haben kommen sehen, konfrontiert.

Entgegen der Behauptung des Herrn Staatsanwalts erachten wir uns keinesfalls als auserwählte und dafür geborene Freiheitskämpfer. Wir denken jedoch, dass wir das Bewusstsein haben, die Wahrheit zu sehen und den Mut haben, diese Wahrheit auszusprechen und aus moralischen und Gewissensgründen Verantwortungen haben. Hierbei verfolgen wir keine persönliche und berufliche Karriere oder eine gesellschaftliche Stellung oder gar materielle Interessen. Wir streben auch keine Karriere an, ganz im Gegenteil. Entgegen der Behauptungen setzen wir uns für eine Welt ein, in der man lebt und leben lässt und das in einem System, in dem Gleichheit und Gerechtigkeit herrschen, in der es nur so von Freiheiten sprudelt, in der sich eine klassen- und grenzenlose Gesellschaft formiert. Wir glauben daran, dass dieses System der Sozialismus und natürlich der Kommunismus ist. Denn der Sozialismus ist eine Gesellschaftsordnung, in der es keine Ausbeutung von Menschen durch Menschen gibt. Denn der Sozialismus hat sich – ohne zwischen Religion, Sprache, Ethnie oder Geschlecht zu unterscheiden- die Rettung der gesamten Menschheit auf seine Fahne geschrieben. 

Damit beginnt der Sozialismus mit der Aufgabe, das Privateigentum über die Produktionsmittel zu beenden und diese zum gesellschaftlichen Eigentum umwandeln, dessen Eigentümer die Produzierenden selbst sind. Der Sozialismus ist der erste Etappe des Kommunismus, bei dem es keinen Staat und keine Klassen gibt, wobei die Ausbeutung der Menschen durch Menschen vollständig beseitig wird und der Grundsatz “jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen‘‘ gültig ist. In der sozialistischen Gesellschaft wird nicht produziert, um Gewinn zu erzielen, sondern für die Bedürfnisse der Bevölkerung. Weil auch die Reichtümer für den Wohlstand der Bevölkerung verwendet werden, ist er eine Methode der Planwirtschaft. Die Bourgeoisie predigt Demokratie und heuchelt Gleichheit vor, was sich gut anhört, aber eine hohle Rede ist. Eigentlich vermengt sie gesellschaftliche Ungleichheit mit der formalen Gleichheit und Demokratie und betrügt die Bevölkerung. Der Sozialismus dagegen sagt, dass es zwischen den Unterdrückten und den Unterdrückern, zwischen den Ausgebeuteten und den Ausbeuter keine Gleichheit geben kann. Mit diesem Verständnis realisiert der Sozialismus das Verständnis des Marxismus von Gleichheit und Demokratie. Die allererste Aufgabe des Sozialismus ist es, das bürgerliche Recht auf den Müllhaufen der Geschichte zu werfen, die Gleichheit der Rechte von Mann und Frau, von unterdrückten Geschlechtern und Völkern gesetzlich sicherzustellen. 

Aus der Perspektive der Frau betrachtet, wird die materielle Grundlage der Sklaverei abgeschafft. Alle gesetzlichen Regelungen, die die Frau zum Mündel machen, werden niedergerissen und es wird absolute undGleichheit zwischen Frau und Mann herstellt. Die Frau nimmt Anteil an der gesellschaftlichen Produktion, bekommt wirtschaftliche Unabhängigkeit und kann auf eigenen Füssen stehen. Für die Abschaffung der Haussklaverei wird die stupide Hausarbeit beseitigt, dafür Gemeinschaftsküchen und zentrale Wäschereien errichtet und dadurch werden sie zu Gemeinschaftsaufgaben. Die Aufgabe als Mutter ist für die Frau eine Last. Sie wird ihr abgenommen, indem die Aufgabe eine gesellschaftliche Verantwortung wird. Kostenfreie Geburtshäuser, Mutter-Baby Heime, Einrichtungen für die Gesundheit der Babys und Mütter werden errichtet. Babyhäuser und Kindergärten werden errichtet, die Erziehung und Bildung der Kinder gehören zu den Aufgaben des sozialistischen Staates. Um die Wohnungs- und Unterkunftsprobleme lösen zu können, werden kommunale Einrichtungen geschaffen. Der sozialistische Staat schafft Mechanismen und Möglichkeiten, damit die Frau am gesellschaftlichen und politischen Leben teilnehmen kann. Bevor die Bourgeoisie in diesen Ländern die Macht erlangt hat, waren die Die UdSSR und die Volksrepublik China historisch betrachtet exemplarisch. Schon in den ersten Tagen der Oktoberrevolution wurden Gesetze und Dekrete „für gleiche Arbeit gleicher Lohn“, 8-Stunden-Arbeitstag, Schutz der Arbeit der Frau, Schutz der Mütter und Babys beschlossen und bekanntgemacht. Im Jahr 1954 waren 70 – 80% der Frauen berufstätig und davon mehr als die Hälfte als Fachkräfte mit Hochschulabschluss. Der Umstand, dass die allerhöchsten Staatsorgane mit Tausenden von Ministerinnen besetzt sind und es gewählte Sowjet Ministerinnen und Vizeministerinnen usw. gibt, dass es wissenschaftlich tätige Akademikerinnen gibt und nahezu die Hälfte des Lehrpersonals an den Universitäten aus Frauen besteht, zeigt, welche Entwicklung und welchen Fortschritt es gibt.

Und all das wurde binnen kürzester Zeit in einem Land, in dem Frauen kaum Zugang zur Bildung hatten, realisiert. All das wurde in einer Zeit realisiert, in der in den imperialistisch-kapitalistischen Ländern der Welt man sich mit Themen, wie das aktive und passive Wahlrecht für Frauen, die Freiheit zu Arbeiten, die finanzielle Unabhängigkeit, die Durchsetzung des Rechts auf Scheidung auseinandergesetzt und befasst hat. Ob man es nun einräumt oder nicht, fakt ist, dass die sozialistischen Systeme bei der Erlangung der Frauenrechte und der diesbezüglichen Fortschritte eine ausschlaggebende Stufe darstellten. Diese gewaltigen Errungenschaften, die Erfolge der arbeitenden und werktätigen Frauen wurden nach hundert Jahren selbst in den sogenannten entwickeltesten Ländern immer noch nicht erreicht. Eben ein System, das menschlich ist, in dem die Gleichheit und Gerechtigkeit herrscht, die Menschheit und auch die Frauen von der Unterdrückung befreit sind und dagegen das von mir bereits oben erwähnte imperialistisch-kapitalistische System, bei dem die Widerlichkeiten tagtäglich reproduziert werden. Aber gewiss sage ich, dass der Sozialismus das beste System für die Menschheit ist, nicht nur, weil ich alleine meine eigene Befreiung denke, gewiss nicht, ich sage es deshalb, weil ich denke, dass alle Unterdrückten diese verdienen. 

Diese Haltung wird von Herrn Heise als „Terrorismus“ bezeichnet, was für eine Weisheit! Ich will keine Welt, in der die Menschen ausgebeutet und Zivilisten ermordet werden und die TKP/ML wird als eine terroristische Vereinigung bezeichnet, deren Ziel die Tötung von Menschen sei, die in ihrer Praxis Zivilisten töten würde, die die Tötung von Kindern in Kauf nimmt. Diese Bezeichnung und damit das Verbrechen wird auch auf mich umgemünzt, weil ich angeblich ein Mitglied der TKP/ML sei. Es wurde keine Mühe gescheut, um das alles beweisen zu können. Trotz des hier als Erklärung der TKP/ML verlesenen Dokuments, mit der der türkischen und kurdischen Nation und den anderen verschiedenen Völkern der Türkei gegenüber eine Selbstkritik vorgenommen und erklärt wurde, dass man sie absolut gegen die Tötung von Zivilisten ist, wird entgegen der Fakten, an dieser Behauptung festgehalten. Bezüglich der Person, die wegen des Vorwurfs der Kollaboration durch die TKP/ML verhört worden sein soll, haben wir uns hier eine Erklärung angehört, der zu entnehmen ist, dass er an einem Herzinfarkt verstorben ist. Ohne, dass von den türkischen Behörden eine Information oder ein Obduktionsbericht angefordert wurde, wird hier die Behauptung aufgestellt, er sei von der TKP/ML getötet worden. Funktioniert Wahrheitsfindung und Gerechtigkeit auf diese Art und Weise?

Dann, wenn es Ihnen passt, werden die angeblichen Erklärungen der TKP/ML zugrunde gelegt, allerdings in verzerrter Art und Weise und wenn es Ihnen nicht passt können ohne weiteres Dokumente und Belege des faschistischen türkischen Staates, von dem die ganze Weltöffentlichkeit weiß, wie sein Rechtssystem funktioniert und wie dessen Polizei arbeitet, zugrunde gelegt werden. Ich kann auf keinen Fall diese Behauptungen bestätigen, denn das wäre eine Lüge. Dadurch würde ich nämlich diejenigen entlasten, die die Zivilisten töten, die Mörder, die Folterer und die Vergewaltiger entlasten. Mein Verstand, mein Bewusstsein und mein Gewissen erlauben es mir nicht. Suchen sie aber Kindesmörder oder Mörder von Zivilisten? Dann müssen Sie unter den Soldaten, den Polizisten, unter den ins Leben gerufenen und geschützten Banden und unter der Konterguerilla des türkischen Staates suchen. Dann müssen Sie die barbarischen ISIS-Mitglieder sehen, die Menschen enthaupten und verstümmeln, indem sie ihnen die Ohren abschneiden, die die Getöteten vergewaltigen, die sich aus den Zähnen der Getöteten eine Halskette machen. Es bedarf auch keiner großen Suche. Sie fotografieren ihre ekelhaften Taten und verbreiten die Fotos in sozialen Netzwerken. Denn ihre Staaten sind stolz auf sie. Und sie wissen, dass sie nicht bestraft werden. Noch dazu werden sie ausgezeichnet, in ihren Berufen steigen sie auf.

Es ist die Rede davon, dass Zivilisten massakriert werden und Feindschaft zwischen den Völkern gesät wird. Zu diesem Thema gibt es unzählige Beispiele. Schauen Sie sich die jüngsten Ereignisse an, die gegen das Abholzen der Bäume im Gezipark begannen und die das ganze Land erfassten. In dieser Zeit wurden 8 Personen durch Polizeischüsse getötet oder gelyncht, darunter ein 14-jähriges Kind. Erdoğan prahlte damit, dass er den Befehl gegeben habe. Nach offiziellen Angaben wurden achttausend Menschen verletzt. Schauen Sie sich das Jahr 2015 an. In dieser Zeit erklärte der türkische Staat den Kurden den Krieg, ging mit zehntausenden Sondereinheiten der Polizei und Gendarmerie sowie mit vielen islamischen Banden gegen sie vor, setzte Kampfhubschrauber, Panzer und alle nur erdenklichen militärischen Waffen ein. Wochen- und monatelang war Ausgangsperre in vielen Städten und Dörfern. Hunderte von Zivilisten wurden ermordet, auch Kinder waren darunter. Die Städte und Dörfer wurden mit Bomben niedergeschossen und mit Panzern niedergewalzt.

Die kurdische Frau Taybet İnan wurde in diesem Krieg mit Scharfschützen vor ihrer Haustür angeschossen. Ihr Mann und ihre Kinder konnten ihr nicht helfen, weil weiterhin geschossen wurde. Tagelang blieb sie vor ihrer Haustür liegen und verblutete. Die Kinder mussten aus dem Fenster dem Sterben ihrer Mutter zusehen. In diesem Krieg wurde auch die 10-jährige Cemile Çağırga barbarisch ermordet. Weil der Staat nicht erlaubte, dass jemand auf die Straße ging, so wurde das tote Kind von der Familie zehn Tage im Kühlschrank aufbewahrt, damit es nicht stinkt. So wie diese wurden hunderte von Säuglingen und Kindern durch die Republik Türkei grausam und kaltblütig getötet. Man legte sogar Kalaschnikows neben die getöteten 12-14-jährigen Kinder, fotografierte sie, spielte die Fotos den Medien zu und behauptete, dass man „Terroristen“ getötet hätte. Das sind nur einige von tausenden Beispielen. Wenn ich alles aufzählen wollte, bräuchte ich Tage und Monate dafür. Der Terror, das Massaker an Zivilisten, die Morde an Kindern und die Feindseligkeiten zwischen den Völkern sind der Alltag in diesem Land.

Sehr geehrter Vorsitzender und sehr geehrter Senat,

das Bild, welches ich von der Welt und insbesondere von der Türkei darzulegen versuchte, ist nicht erfreulich, nicht wahr? Wir sind aber für eine Welt ohne Klassen und ohne Ausbeutung. Wie haben die Hoffnung nicht aufgegeben, dass die Menschheit das System mit ihren eigenen Händen niederreißt und eine gerechte Welt schafft, in der Frieden herrscht. Wir reden nicht von Utopien und leeren Träumereien. Die Erkenntnis erlangten wir aus der Geschichte der Menschheit. Der historische Materialismus weist darauf hin, dass jedes unzeitgemäße System niedergeht und ein neues entsteht. Die Geschichte läuft immer vorwärts, es gibt keine Rückkehr. Es war immer der Kampf der unterdruckten Klassen, der die Geschichte vorangetrieben hat. Wäre das nicht so, wären wir immer noch Sklaven. Oder man hätte uns jetzt in der mittelalterlichen Finsternis vor den Inquisitionsgerichten angeklagt. Der Klassenkampf der Unterdrückten aber wurde durch die von ihnen geschaffenen Revolutionen und die würdige, unnachgiebige und beharrliche Haltung der Menschen vorangetrieben. Das haben wir von ihnen geerbt und versuchen, unserer historischen Verantwortung gerecht zu werden. Diese Verantwortung gibt uns zur Aufgabe, dass wir Widerstand leisten, wo Despotie, Unterdrückung und Ausbeutung herrschen. Es ist ein Recht, gegen Ausbeutung, Despotie und Unterdrückung Widerstand zu leisten und das kann man nicht verurteilen. Die Revolution und der Kampf für den Kommunismus können nicht verurteilt werden. Uns zu verurteilen bedeutet eine Verurteilung der Mühe und der Arbeit der gesamten Weltbevölkerung. Uns zu verurteilen bedeutet die Verurteilung der aufständischen Sklaven, des Spartakus, der besitzlosen Massen, die die Französische Revolution vollbrachten und die Verurteilung der ermordeten Geschwister Scholl, weil sie gegen Nazi-Deutschland kämpften, und eine Verurteilung der Sowjetbevölkerung, die den Hitlerfaschismus besiegte.

Ja, hier wird es natürlich ein Urteil geben. Es gibt zwei Wahrscheinlichkeiten, wie das Urteil aussehen könnte. Entweder Sie verurteilen uns zu Strafen, doch in so einem Fall wird es nicht um uns gehen, sondern um die Staatsräson und den Schutz der bürgerlichen Ordnung, egal welche Grausamkeiten sie produziert. Fazit ist, dass unsere Verurteilung den Schutz eines faschistischen Staates und die Billigung und Unterstützung der von diesem begangenen Massaker und Verbrechen an der Menschlichkeit bedeuten würde.

Die Alternative wäre eine Haltung, die sich bemüht, universelle Gerechtigkeit, fortschrittliche Rechtsphilosophie und Ethischen Grundsätzen gerecht zu werden. Sie stünde in einer Linie mit Akademikern und Wissenschaftler, die sich den Befehlen des Staates nicht beugen, die Wahrheit verteidigen und die Courage haben, sich gegen die Ungerechtigkeit aufzulehnen. Es gibt auch Juristen, die diese Haltung annehmen. Unsere Erwartung ist, dass Sie den zweiten Weg bevorzugen und dieser beschämenden Verfahrensakte mit einem Abschlusssiegel ein Ende setzen.

Danke, dass Sie mir zugehört haben.