Erklärung der Verteidigung zur Vernehmung des Sachverständigen Prof. Dr. Neumann, zur Frage der Rechtsstaatlichkeit der Justiz und der Anti-Terror-Einheiten der Polizei in der Türkei.

“Heute wäre es ein Euphemismus, von einer Gefährdung des Rechtsstaates zu sprechen. Man muss von einer Aufhebung des Rechtsstaates reden.”

In der Strafsache

7 St 1/16

wird auf die Vernehmung des Sachverständigen Prof. Dr. Neumann im Hinblick auf dessen Angaben zur Frage der Rechtsstaatlichkeit der Justiz und der Anti-Terror-Einheiten der Polizei in der Türkei folgende Erklärung gem. § 257 Abs. 2 StPO abgegeben:

Der Sachverständige Prof. Neumann hat im Rahmen seiner Gutachtenerstattung u.a. Folgendes ausgeführt:

Allgemeine Ausführungen zum Justizapparat

Die Justiz sei in der Türkei nicht unabhängig. Es gebe trotz einiger formaler Regelungen nach wie vor vielfältige Möglichkeiten, die Justiz zu beeinflussen. Dies hänge u.a. auch mit dem Selbstverständnis der Angehörigen der Justiz zusammen, die sich nach dem Ergebnis eines Meinungsforschungsinstituts eher den Interessen des Staates als der Rechtsstaatlichkeit ihres Tuns verpflichtet fühlten. Die Richter und Staatsanwälte vertraten die Ansicht, dass Dinge, die im Interesse des Staates lägen, höherwertiger seien als allgemeine Rechtsprinzipien oder genaue Rechtsvorschriften. Das sei das Ergebnis einer etwas älteren Erhebung, wahrscheinlich zwischen 2007 und 2009. Dieses Selbstverständnis wirke sich im Wesentlichen so aus, dass die Richter und Staatsanwälte im vorauseilenden Gehorsam die Handlungen vornähmen, von denen sie vermuteten, dass sie im staatlichen Interesse lägen.

Insgesamt sei es so, dass wenn in der Türkei vom Staat die Rede ist, damit nicht ein vom Recht gesteuertes institutionelles Ganzes gemeint sei, sondern die Rede sei dann von denen, die im Staat die Macht haben.

Zur Frage der Rechtsstaatlichkeit politischer Verfahren in der Türkei gebe es ein umfangreiches Gutachten von Helmut Oberdiek über die Zeit zwischen 1999 und 2005. Dort werde am Ende ein vernichtendes Urteil gefällt. Kernaussage dieses Gutachtens sei, dass es eine organische Zusammenarbeit zwischen dem Geheimdienst und den Gerichten gebe. Hinsichtlich der Gerichte in der Form, dass die Gerichte das täten, was die Organe des Innenministeriums vorgäben. Insofern könne der Anspruch der türkischen Justiz, in den politischen Verfahren unabhängig zu sein, nicht gelten.

Dies gelte, so der Sachverständige, sowohl für die Zeit vor als auch für die Zeit nach dem Putschversuch im Juli 2016.

Es spreche viel dafür, dass die AKP Pläne zum Umbau des türkischen Staates bereits vor dem Putschversuch erstellt hat, die dann danach umgesetzt worden sind.

So hätten bereits wenige Tage nach dem Putsch Listen mit 1000enden Namen von Staatsbeamten, Staatsanwälten und Militärangehörigen bereit gelegen, die dann entlassen oder festgenommen worden seien. Es seien allein bei den Richtern Entlassungen sicher im Bereich von vielen tausend, wenn nicht zehntausend Fällen verfügt worden. Bereits im November 2015, also vor dem Putschversuch, habe der Hohe Rat der Richter und Staatsanwälte bereits 5000 Verfahren eingeleitet.

Zu keiner Zeit habe es einen durchgehend funktionierenden, gleichmäßig angewandten türkischen Rechtsstaat gegeben. Nur einen, wo größere Segmente rechtsstaatlicher waren als zuvor. Diese Verbesserungen gab es in den 2000-Jahren, in denen die AKP die Annäherung an Europa vorantreiben wollte. Nach der Wahl von 2011 habe Erdogan einen Politikwechsel vorgenommen, der wegführte von der Integration der Türkei in die EU. Damit sei die Phase, in der es diese gewissen Verbesserungen gegeben habe, auch beendet gewesen. Besonders deutlich wurde dies ab 2012/2013.

Heute wäre es ein Euphemismus, von einer Gefährdung des Rechtsstaates zu sprechen. Man müsse von einer Aufhebung des Rechtsstaates reden. Der Zugriff der Regierung auf juristische Prozesse und Abläufe sei so groß und werde so intensiv genutzt, dass tatsächlich von einer de facto Unabhängigkeit der Justiz in der Türkei unter den heutigen Umständen keine Rede sein könne. Die Bedingungen nach dem Putschversuch und die außergewöhnliche persönliche Stellung und Macht des Präsidenten Erdoğan seien so ausgeweitet, dass tatsächlich vom Verschwinden des Rechtsstaats die Rede sein müsse.

Ausführungen zu den Anti-Terror-Abteilungen bzw. Dezernaten der Polizei

Die zu beobachtende Willkür in politischen Verfahren werde durch die Strukturen der Anti-Terror-Polizei gestützt und verstärkt.

Hinsichtlich der Sicherheitskräfte sei das unkontrollierte Zusammenspiel mit wirtschaftlichen Entscheidungsträgern und mit Politikern zu beobachten.

Die Struktur der mit der Terrorbekämpfung befassten Polizei ginge auf 1980 zurück, falle also in eine Zeit des Übergangs nach dem Militärputsch, in dem das Ausnahme- und Kriegsrecht galt. Damals habe es eine Reorganisation der Polizeikräfte gegeben. Seit 1986 werden diese speziellen Abteilungen als „Anti-Terror-Abteilungen“ bezeichnet. Derartige Abteilungen bestünden sowohl bei der Generalsicherheitsdirektion in Ankara als auch in den einzelnen Provinzen. Daneben sei 1992 oder 1993 eine weitere Abteilung aus dem allgemeinen Terrorbekämpfungsdirektorium herausgelöst worden, die Abteilung für Sondereinsätze (Özel Harekat), welche ebenfalls auf der Ebene der Generalsicherheitsdirektion als auch bei den Polizeibehörden auf Provinzebene angesiedelt sei. Diese beiden Abteilungen arbeiteten häufig zusammen. Daneben gebe es noch den Istihbarat, also den Geheimdienst der Polizei, für verdeckte Ermittlungen. Auch dieser polizeiliche Apparat stelle eine eigene Abteilung der Polizei dar.

Regelmäßig sei es zu einer gezielten Unterwanderung des Polizei- und Sicherheitsapparates gekommen. Bis Anfang der 2000er-Jahre sei die Polizei maßgeblich von Anhängern der nationalistischen MHP geprägt worden. Später durch das Netzwerk Gülens, welches gezielt polizeiliche Schlüsselstellungen besetzt habe.

Die Frage der Gülenisten sei ganz zentral, wenn man die türkische Polizei der 2000er Jahre verstehen wolle.

Ausführungen zu Erkenntnissen zu Beweismittelfälschungen

Im Zusammenhang mit der Frage, ob es in der Türkei in politischen Verfahren zu Beweismittelfälschungen komme, hat Prof. Neumann folgende Erkenntnisse vorgetragen:

Sowohl in dem sog. „Ergenekon-Verfahren“ als auch in dem „Balyoz-Verfahren“, zwei Großverfahren gegen jeweils viele hundert Angeklagte, in denen es im Wesentlichen um den Vorwurf der Verschwörung gegen die AKP-Regierungen ging, seien definitiv Beweismittel gefälscht worden. Diese Fälschungen seien später einer Verschwörung der Gülenisten zugeschrieben worden. Dies sei damit in Zusammenhang gebracht worden, dass in der frühen und mittleren Phase der Regierungszeit Erdoğans die Polizeikräfte von Gülen-Anhängern dominiert wurden.

Sowohl das Ergenekon- als auch das Balyoz-Verfahren seien außergewöhnliche und untypische Verfahren, ganz große Staatsschutz- und Hochverratsverfahren. Dass Beweise – wie es in diesen beiden Verfahren nachgewiesen worden ist – verfälscht werden, sei eher die Ausnahme. Aber das sei immer nur so eine anekdotische Evidenz und insgesamt schwer zu beurteilen. Sonst sei es eher so, dass Beweismittel verdunkelt oder illegal erlangt würden. Etwa die durch Folter erlangten Beweise. Diese beiden Formen der Manipulation seien in der Justiz allenthalben vorzufinden. Die Erfindung von Beweismitteln gebe es natürlich aber auch.

Bei diesen beiden Verfahren sei es um die Gültigkeit von digitalen Beweismitteln gegangen, um Daten auf CDs. Diese konnten nicht so alt gewesen sein, wie vorgegeben worden sei, weil der verwandt Schrifttyp erst Jahre nach der angeblichen Erstellung des Beweismittels von Windows entworfen worden sei.

Das andere, was es in diesen beiden Verfahren gegeben habe, seien Aussagen von Angehörigen der Polizei und des türkischen Geheimdienstes MIT, die berichtet hätten, wie solch eine falsche Evidenz hergestellt und in Umlauf gebracht werde.

Diese beiden großen Prozesse hätten zunächst in erster Linie dazu gedient, gegen das Militär vorzugehen. Die Verfahren seien durch Sonderstaatsanwälte betrieben worden und es habe eine ganz eindeutige politische Einflussnahme gegeben. Dabei hätten auch die Gerichte mitgemacht. Dass diese Urteile später wieder aufgehoben worden seien, sei eigentlich ein klares Zeichen dafür, dass die Regierung mit der Justiz machen könne was sie möchte.

Die hochrangigen Polizeioffiziere Yurt Atayünund Ömer Kösewürden als polizeiliche Architekten des Ergenekon- und des Balyoz-Verfahrens gelten.

Yurt Atayüns Verurteilung stütze sich auf drei Delikte: Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation, Fälschung von Dokumenten und Verleumdung.

Bei Ömer Köse seien es wohl nur die Vorwürfe der Mitgliedschaft der terroristischen Vereinigung FETÖ und der Fälschung von Dokumenten gewesen.

Insgesamt gebe es in den FETÖ-Verfahrenimmer wieder den Anklagevorwurf, dass von den Angeklagten in der Vergangenheit Beweismittel gefälscht worden seien.

Auch in dem Verfahren gegen den Polizeipräsidenten HanefıAvcısei es um gefälschte Beweismittel im Zusammenhang mit dem Prozess und dem Wiederaufnahmeverfahren gegangen.

In dem Fall des ehemaligen Istanbuler Polizeipräsidenten Serdar Bayraktutangebe es umfangreiche Berichte, die sich u.a. auch auf den Vorwurf der Urkundenfälschung und der illegalen Anfertigung von Unterlagen für andere, etwa für Mitglieder der DHKP/C, bezögen. Mit Hilfe dieser gefälschten oder illegal angefertigten Dokumente solle Bayraktutan versucht haben, Mitglieder der DHKP/C dazu anzuhalten, Recep Tayyip Erdoğan zu ermorden, um anschließend in der Lage zu sein, die Mitglieder der DHKP/C selbst zu erledigen.

Bei den forensischen Fragen werde insbesondere in den großen Verfahren von der Verteidigung internationale Hilfe angefordert, man finde Gutachter außerhalb der Türkei.

Die Frage sei nur, ob diese Gutachten von den Gerichten dann auch angenommen würden. Nach den Ereignissen vom 17. Dezember 2013, wo Telefongespräche auftauchten, in denen deutlich angesprochen wurde, dass Erdoğan seinen Kindern Anweisungen gab, Gelder verschwinden zu lassen, sei es erst gar nicht zu einem Verfahren gekommen. Erdoğan habe einfach vorgebracht, dass es sich um Montagen handeln würde und es diese Gespräche nie gegeben habe. Die Gutachten von den internationalen Software- und Spracherkennungsfirmen seien von den Strafverfolgungsbehörden dann gar nicht erst herangezogen worden.

In den sogenannten KCK-Verfahrenhabe es auch hunderte von Beschuldigten gegeben. Die von der Stiftung für Menschenrechte angegebene Zahl von 2892 Beschuldigten in diesen Verfahren sei glaubhaft. Wenn gegen den zeitweilig in diesem Komplex tätigen Richter Mehmet Ekinci nun auch wegen des Vorwurfs der Beweismittelfälschung ermittelt werde, so kenne er diesen Fall zwar nicht. Er glaube aber, dass wir hier alle inzwischen wüssten, dass sowohl die Beweismittelfälschung als auch der unrichtige Vorwurf der Beweismittelfälschung möglich sei.

Auch stimme die Evidenz der vorgeführten Beweismittel nicht immer. Im Fall der Soziologin Pinar Seleketwa sei es so gewesen, dass der ihr vorgeworfene Bombenanschlag auf untergeschobener Evidenz beruhe. Da sei es um eine Bombe gegangen, die gar keine war. Man möchte eigentlich meinen, dass sich die Existenz einer Bombe feststellen ließe, so der Sachverständige. Das sei eigentlich keine weiche Evidenz. Das hätte nach vielen Jahren des Prozesses auch bewiesen werden können. Das Besondere an diesem Fall sei, dass dieser aufgrund der Popularität der Angeklagten in Europa gut bekannt geworden sei. Frau Selek stamme aus einer hochangesehenen Istanbuler Familie, die zur elitären Klasse gehöre. Die intensive Verflechtung ihrer Familie mit Schichten, die sehr eng mit dem türkischen Staat verbunden seien, habe es Frau Selek ermöglicht, eine Öffentlichkeit in den Medien zu mobilisieren. Dennoch werde sie weiter verfolgt.

Der Sachverständige hat weiter dargelegt, dass es natürlich eine Vielzahl von politischen Strafverfahren in der Türkei gebe. Aber im Kontext mit Erkenntnissen zu Beweismittelfälschungen gebe es keine ähnlichen Großverfahren wie das Ergenekon- und das Balyozverfahren. Bei dem Verfahren gegen Ahmet Şıketwa, wo es um sein Buch über die Unterwanderung der türkischen Polizei durch die gülenistische Bewegung ging (als diese noch Teil der AKP war), sei es um die Frage gegangen, woher er die Beweise habe. Es sei nicht darum gegangen, dass die Staatsanwaltschaft eigenes entscheidendes Material beibrachte.

Bedeutung der Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. Neumann zu Justiz und Anti-Terror-Polizei für das hiesige Verfahren

Die Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. Neumann zur bestimmenden Einflussnahme der türkischen Regierungspolitik auf die Justiz, der zu beobachtenden Willkür in den politischen Verfahren sowie der Belege für konkrete Beweismittelfälschung sind für das hiesige Verfahren von besonderer Relevanz.

Allein die Anordnung des Vorsitzenden vom 26.01.2018 (Protokollanlage 97.3) enthält insgesamt 9 Urkunden, bei denen es sich um polizeiliche oder staatsanwaltschaftliche Dokumente im Zusammenhang mit politischen Strafverfahren handelt.

Wesentliche Erkenntnisse zu den in den Anklageschriften vom 4. Januar 2016 sowie 31. März 2016 aufgeführten Bezugstaten entstammen türkischen Ermittlungsakten oder wurden auf sonstige Weise im Rahmen der deutsch-türkischen Rechtshilfe von den türkischen Behörden an die deutschen Behörden übergeben.

Angesichts der Erkenntnisse aus der Erstattung des Sachverständigengutachtens durch Prof. Dr. Neumann bieten diese Dokumente keinerlei Gewähr von Authentizität. Im Gegenteil muss angesichts der Erkenntnisse zu der besonderen Brutalität und der besonderen Willkür, mit der der türkische Staat gegen die revolutionäre Linke vorgeht, davon ausgegangen werden, dass auch vorliegend Beweismittel gefälscht und oder entlastendes Beweismaterial unterdrückt worden ist bzw. Beweise mit Hilfe verbotener Ermittlungs- und Vernehmungsmethoden zustande gekommen sind.

Die Ausführungen des Sachverständigen haben insgesamt verdeutlicht, dass Ermittlungsbehörden und Justiz in der Türkei Instrumente der Herrschaftssicherung und Unterdrückung des politischen Gegners darstellen und keinerlei rechtsstaatlichen Standards entsprechen.

Mit Schreiben vom 29.01.2018 haben die Unterzeichner bereits der Verwertung der verlesenen Dokumente aus der Verfügung des Vorsitzenden vom 26.01.2018 mit den Bezeichnungen

Protokoll der Oberstaatsanwaltschaft Hozat vom 21.07.2015 (SA I Bd. 2.2.5 (= N 10) Bl. 287
Protokoll der Kommandantur der Gendarmerie des Provinzbezirks Hozat vom 17. Juli 2015 (SA I Bd. 2.2.5 (= N 10) Bl. 285)

widersprochen und dabei Ausführungen zur Frage des Beweiswertes dieser Dokumente getätigt (vgl. Protokollanlage 98.11). Dabei wurde insbesondere auch auf die konkreten Anhaltspunkte verwiesen, die hinsichtlich der Problematik von Beweismittelfälschungen in politischen Verfahren in der Türkei vorliegen. Insbesondere wurde unter Beweisantritt vorgetragen, dass das Protokoll der Oberstaatsanwaltschaft Hozat vom 21. Juli 2015 von dem Staatsanwalt Tuncay Demir unterzeichnet worden ist, dessen Name sich auf einer Namensliste türkischer Richter und Staatsanwälte findet, die unmittelbar nach dem Putschversuch vom 16. Juli 2016 inhaftiert worden sind.

Insofern stellt diese Erklärung zugleich eine ergänzende Begründung des Widerspruchs vom 29.01.2018 dar.

Im Zusammenhang mit den Erkenntnissen zu Beweismittelfälschungen in politischen Strafverfahren in der Türkei wird weiter beantragt,

Herrn Can Dündar, zu laden über Correctiv – Verlag und Vertrieb, Huyssenallee 11,

45128 Essen, als Zeugen zu laden und zu vernehmen.

Bei dem genannten Zeugen handelt es sich um den ehemaligen Chefredakteur der türkischen Zeitung „Cumhuriyet“. Heute ist Can Dündar in Deutschland als Chefredakteur der zweisprachigen journalistischen Plattform „Özgürüz“ („Wir sind frei“) tätig und arbeitet mit dem Recherchezentrum „Correctiv“ zusammen.

Der Zeuge wird bekunden, dass ihm aus seiner Zeit als Journalist für die „Cumhuriyet“ (also ab 2013) aus eigenen Recherchen sowie aus seiner verantwortlichen Position als Chefredakteur (2015-2016) bekannt ist, dass es im Zusammenhang mit politischen Strafverfahren in der Türkei regelmäßig zu Beweismittelfälschungen kommt.

Der Zeuge Dündar wird in diesem Zusammenhang angeben, dass der „Cumhuriyet“ aus Justizkreisen immer wieder authentische Dokumente zugespielt worden sind, welche eindeutig den Nachweis der Fälschung von Beweismitteln erbracht haben.

Beispielhaft wird der genannte Zeuge ausführen, dass sich etwa aus den der „Cumhuriyet“ zur Verfügung gestellten Unterlagen aus dem Verfahren gegen den ehemaligen Polizeidirektor der Abteilung für Terrorbekämpfung in Istanbul Yurt Atayün eindeutig ergibt, dass dieser und weitere führende Polizeibeamte aus den Anti-Terror-Abteilungen im Ergenekon-Verfahren verfälschte Beweismittel und wahrheitswidrige Berichte und Polizeiprotokolle gefertigt haben. So sind etwa anonyme und einzelne Angeklagte des Ergenekon-Verfahrens belastende Beweismittel auf Datenträgern enthalten gewesen, bei denen festgestellt werden konnte, dass diese durch die Sicherheitsbehörden nachträglich gefälscht worden sind. Hierüber hat die „Cumhuriyet“ auch berichtet.

Der Zeuge Dündar wird weiter bekunden, dass er aufgrund seiner eigenen konkreten Erfahrungen und Kenntnisse als Journalist in der Türkei in den Jahren von 1996 bis 2016 angeben kann, dass derartige spezifische Hinweise auf Beweismittelfälschungen nicht allein in den besonders aufwändigen und beobachteten politischen Großverfahren wie dem „Ergenekon“- oder dem „Balyozverfahren“ vorlagen sondern auch in kleineren, von der Öffentlichkeit nicht so beachteten, politischen Strafverfahren, regelmäßig zu beobachten waren.

Damit, so wird der Zeuge Dündar ausführen, entsprach es – insbesondere auch in den Jahren 2012 bis 2015 – nicht den publizistischen Grundsätzen (Pressekodex), die von Sicherheitsbehörden oder den Strafverfolgungsbehörden und Gerichten aus der Türkei erlangten Erkenntnisse als korrekte, also wahre Wiedergabe von Geschehnissen zu publizieren.

Die beantragte Beweiserhebung ist damit geeignet, den Beweiswert der im hiesigen Verfahren verlesenen Dokumente aus politischen Ermittlungsverfahren in der Türkei in Zweifel zu ziehen.