Am 191. und 192. Hauptverhandlungstag beantragte die Verteidigung die Einstellung des Verfahrens aufgrund des Angriffs des türkischen Staates auf das kurdisch verwaltete nordsyrische Gebiet, ‚Rojava“. Damit sei eindeutig belegt, dass die erteilte Verfolgungsermächtigung der Bundesregierung – dabei handelt es sich um eine notwendige Bedingung des Verfahrens – evident willkürlich sei.

Zur Begründung hieß es u.a.:

„Denn spätestens jetzt ist die Aufrechterhaltung der Verfolgungsermächtigung als willkürlich anzusehen, weil es sich bei der Türkei nicht um ein geeignetes Schutzobjekt im Sinne des § 129b StGB handelt. Ein Staat, der in dem Zeitraum seit der hiesigen Anklageerhebung nicht nur die eigene kurdische Bevölkerung bombardiert und zwei völkerrechtswidrige Angriffskriege beginnt sondern auch die ethnische Säuberung des besetzten Gebietes anstrebt und vollzieht, stellt keine die Würde des Menschen achtenden staatlichen Ordnung im Sinne des § 129b StGB dar. Auch das friedliche Zusammenleben der Völker erfordert gerade, gegen diesen Staat Widerstand zu leisten.“

Im Anschluss gaben die Angeklagten Müslüm Elma, Sami Solmaz, Sinan Aydin und Seyit Ali Ugur jeweils ergänzende Begründungen zu den Anträgen ab. Sie thematisierten die Gräuel des Vorgehens der türkischen Armee gegen die Kurd*innen und insbesondere, dass die Türkei damit offen als Besatzer auftreten.

Müslüm Elma stellte dabei fest:

„Solange der deutsche Staat und die Gerichte Revolutionäre aus der Türkei und aus Kurdistan verfolgen und verurteilen, unterstützen sie faktisch nicht nur die konterrevolutionäre Politik des Mörders Erdogan, sie schwächen auch gleichzeitig die berechtigte und legitime Reaktion in Europa, im Nahen Osten und in vielen anderen Gebieten gegen diese Invasion.“

In seiner ergänzenden Begründung führte Sami Solmaz u.a. aus (sinngemäß):

„Wir haben hier also einen türkischen Staat, der unterstützt wird von islamistischen Banden. Diese islamistischen Banden führen weltweit ihr Werk – sie führen Massaker durch, und das ist weltweit der Fall. Und wir haben hier einen Staat, der nicht mal die kleinste Opposition duldet, der Oppositionelle in Haftanstalten steckt, der auch Bürgermeister verhaftet, der Abgeordnete verhaftet, der einen anderen Staat besetzt, d.h. eine konkretere Begründung als all das, was ich hier aufzähle, kann es nicht geben. Möge man auch noch so sehr mit Paragrafen argumentieren – die Sachlage ist ganz klar.
Kurzum, es ist so, dass der Widerstand gegen einen solchen Staat, der besetzt, der so handelt, wie beschrieben, legitim ist.“

Der Senat nahm sich für Befassung der Anträge eine verlängerte Mittagspause Zeit und lehnte die Anträge bereits am Nachmittag ab. Einmal mehr betonten die Münchner Richter*innen zwar in den Beschlussgründen, dass ihre Ablehnung keinesfalls als Billigung der Aktionen des Erdogan Regimes verstanden haben wollen.
Der außerhalb der Türkei derzeit wohl größte politische Strafprozess wird also auch nach der jüngsten Eskalation im Krieg gegen die kurdische und linke Opposition fortgeführt.