Zurück im Justizgebäude Nymphenburgerstraße und: Kampf um Dokumente

Der heutige 23. Hauptverhandlungstag fandwieder im Justizgebäude in der Nymphenburger Straße statt. Natürlich wies der Vorsitzenden ganz ausdrücklich darauf hin, dass die Rückverlegung „ausschließlich nur deswegen (erfolgte), um die baulichen Unzulänglichkeiten im Bereich der Haftzellen in der Stettnerstr. überprüfen zu können.“

Ferner teilte er mit, dass die mögliche Überwachung der Verteidigung durch Kameras für das Gericht keinerlei Beeinträchtigung der Verteidigung darstelle weil das Gericht kein Interesse daran habe „in ihre Laptops oder sonstige Unterlagen zu schauen“.

Sehr bezeichnend für das Selbstverständnis des Vorsitzenden, der regelmäßig mündlich sehr nachdenklich, kritisch und emphatisch auftritt, dann aber knallharte Beschlüsse verkündet, die Einwände der Verteidigung ohne inhaltliche Auseinandersetzung vom Tisch wischen, war eine persönliche Anmerkung. Er sei von einigen Bemerkungen der Verteidiger persönlich betroffen bis verletzt gewesen. Offensichtlich wünscht sich der Vorsitzende, die Angeklagten in freundlicher Atmosphäre aburteilen zu dürfen.

Im Anschluss ging das Ringen um die Einführung zentraler Beweisstücke voran, das den Prozess sicherlich bis Ende des Jahres dominieren wird. Diese Auseinandersetzung ist für die Zuschauer besonders schwierig nachzuvollziehen, da überwiegend rechtliche Gesichtspunkte und langwierige Beanstandungen vorgebracht werden müssen. Zum Verständnis daher folgendes: die Bundesanwaltschaft hat mit der Anklage zahlreiche Dokumente als Beweismittel benannt, die den Charakter der TKP/ML , die Struktur der Partei, der Jugendorganisation TMLGB und der Guerillaorganisation TIKKO sowie deren Verhältnis zur TKP/ML deutlich machen sollen. Ziel der Anklage ist die Kriminalisierung aller TKP/ML-Unterstützer. Nach der Anklage ist jede Unterstützung der TKP/ML, auch eine rein politische, gleichzeitig eine Unterstützung bewaffneter Aktionen. Zu der Beweisführung sollen daher grundlegende angebliche Dokumente der Organisationen dienen. Diese Unterlagen sollen teilweise von Datenträgern stammen, die bei den Angeklagten oder bei anderen Beschuldigten sichergestellt wurden. Zum Teil wurden sie aber auch von türkischen Behörden übermittelt. Bei vielen dieser Dokumente ist überhaupt nicht klar, ob es sich um Originale handelt, ob daran Änderungen vorgenommen wurden, ob die Texte in der vorliegenden Form überhaupt Verbreitung gefunden haben. Die zu den Tatvorwürfen schweigenden Angeklagten müssen keine Angaben dazu machen, ob die Text authentisch sind.

Die Bundesanwaltschaft hat dem Gericht Ermittlungsakten vorgelegt, in denen ausschließlich Kopien von Dokumenten enthalten sind und stellt sich auf den Standpunkt, die Originale der Urkunden müssten nicht vorgelegt werden. Vermutlich liegen der BAW selbst nur Kopien vor, soweit diese von türkischen Behörden angeliefert wurden. Die Verteidigung moniert hierbei, dass auf diese Weise eine Überprüfbarkeit der Echtheit nicht möglich ist. In der Vergangenheit haben türkische Behörden in Staatsschutzverfahren bereits Unterlagen gefälscht, um Verurteilungen zu ermöglichen. Bei digitalen Dokumenten, die beispielsweise bei Hausdurchsuchungen gegen einzelne hier Angeklagte in Frankreich sichergestellt worden sein sollen, ist überhaupt nicht klar, ob diese von den damals gefundenen Datenträgern stammen, weil die französische Polizei die grundlegendsten Grundsätze der Datensicherung nicht eingehalten hat. Dem Gericht liegt lediglich eine aus Frankreich übersandte CD mit einer Sammlung von Dokumenten vor.

Alle die sich hieraus aus Sicht der Verteidigung ergebenden Probleme, die bereits einer Einführung der Dokumente in den Prozess, auf jeden Fall aber einer Beweisverwertung für das Urteil entgegenstehen, hat das Gericht bislang vom Tisch gefegt, ohne sich mit den Argumenten der Verteidigung ernsthaft auseinanderzusetzen. Die Verteidigung muss aber bei jedem einzelnen Dokument sowohl der Beweiserhebung als auch der Beweisverwertung widersprechen, um Verfahrensfehler gegebenenfalls in der Revision angreifen zu können.

Dazu kommt ein weiteres Problem: in den Prozess werden – durch Verlesung – nicht die vorliegenden türkischsprachigen Dokumente eingeführt, sondern die von BKA-Dolmetschern gefertigten Übersetzungen. Diese sind teilweise völlig sinnentstellend übersetzt, teilweise wurden auch Abkürzungen willkürlich durch ganze Worte (unzutreffend) ausgeführt. Auch diese Fehler müssen jeweils im Einzelfall gerügt werden. Das Gericht lässt dann ein Gutachten eines Gerichtsdolmetschers erstellen, dass diese Übersetzung überprüft. Dieses Gutachten muss ebenfalls von der Verteidigung im Detail geprüft werden.

Die zermürbende Gegenwehr, gegen die Einführung dieser Dokumente wird die kommenden Verhandlungstage prägen. Wir werden darauf immer wieder hinweisen, das Geschehen aber nicht in jedem Fall detailliert wiedergeben.