Kurz vor der Sommerpause beantragte die Verteidigung von Frau Dr. Banu Büyükavici die Aufhebung des Haftbefehls. Dabei wurde begründet, dass zum einen durch die 2 ½ Jahre dauernde Untersuchungshaft ein so großer Teil einer für den Fall der Verurteilung zu erwartenden Strafe verbüsst wäre, dass ein weiteres Aufrechterhalten der Untersuchungshaft unverhältnismäßig wäre (Bereits verbüßte U-Haft ist auf eine mögliche Freiheitsstrafe anzurechnen). Als Vergleichsmaßstab für ein für den Falle einer Verurteilung in Betracht kommendes Strafmaß wurden Urteile gegen PKK-Aktivist*innen herangezogen, denen ähnliche lange Mitgliedschaft vorgeworfen wurde, wie Frau Dr. Büyükavci in der TKP/ML.

Die lange Haftdauer wiegt umso schwerer, weil in dem Verfahren nach Meinung der Verteidigung der Grundsatz beschleunigter Behandlung nicht ausreichend beachtet wird: Es wird an zu wenigen Verhandlungstagen und zu kurz bzw. nur lückenhaft verhandelt.

Viele der ständigen Unterbrechungen hat der Senat zu verantworten. Dazu zähl(t)en insbesondere die erheblichen Verzögerungen wegen der katastrophalen Gerichtsdolmetscher zu Beginn des Verfahrens. Die Verteidigung hatte dies wiederholt beanstandet.Außerdem führte der (hier bereits thematisierte) Umgang mit dem Gesundheitszustand des Angeklagten Herrn Yeşilçalı dazu, dass nun – da er trotz massiver Beeinträchtigung seiner Gesundheit inhaftiert bleibt – ständig Erholungspausen eingelegt werden müssen.

Es ist dementsprechend bislang auch noch kein „Kapitel“ der Beweisaufnahme abgeschlossen.

Einige Tage vor der heutigen Hauptverhandlung, mit der der Prozess nach der Sommerpause fortgesetzt wurde, ging der Verteidigung von Frau Dr. Büyükavci die Ablehnung des Antrags zu.

Einige der Formulierungen boten Grund dazu, in der Hauptverhandlung die Richter_innen (einmal mehr) wegen Befangenheit abzulehnen. Solche Anträge sind umgehend zu stellen und – bislang – auch zu begründen. Üblicherweise hätte der Senat auf den Befangenheitsantrag hin 1 – 2 Stunden unterbrochen, um Gelegenheit zur Begründung zu geben.

Doch der Gesetzgeber hat im August den Gerichten ein neues Spielzeug an die Hand gegeben, das der 7. Münchner Strafsenat offenbar unbedingt ausprobieren wollte – praktischer Nutzen hin oder her. Seit dem 24. August existiert nämlich die Möglichkeit, dass Gerichte bei Befangenheitsanträgen die Begründung schriftlich auf eine gesetzte Frist hin verlangen können. Dies hat zur Folge, dass die Begründung von Befangenheitsanträgen nicht mehr in der Hauptverhandlung öffentlich vorgetragen werden können, sondern nur in einem schriftlichen Verfahren abgehandelt werden. Die Argumente der Verteidigung, dass und warum ein Angeklagter davon ausgeht, dass Richter ihm gegenüber Vorurteile haben, sich ihr Urteil über ihn schon in unzulässiger Weise gebildet haben und er sie als gesetzliche Richter nicht mehr akzeptiert sollen der Öffentlichkeit entzogen werden und nur noch im stillen Kämmerlein behandelt werden.

Diese Möglichkeit wurde ausweislich der Gesetzesbegründung geschaffen, um einen Umgang mit Befangenheitsanträgen, die „missbräuchlich“ und mit dem Ziel der „reinen Verfahrensverzögerung“ gestellt werden, zu finden. Nun zeigt sich ein mal mehr, dass solche Gesetzesbegründungen wohlfeile Camouflage für den fortschreitenden Abbau von Beschuldigtenrechten sind. Natürlich zielt der Gesetzgeber genau darauf, Angeklagten ihre Verteidigung zu erschweren, schnellere Verurteilungen zu ermöglichen und dem Gericht peinliche öffentliche Kritik zu ersparen.

Im Münchner Verfahren ist keinerlei Verschleppungsabsicht zu erkennen, doch der Senat nutzte allemal freudig das neue prozessuale Spielzeug, um unliebsames Prozessgeschehen aus der Hauptverhandlung und damit der Öffentlichkeit herauszuhalten. Offensichtlich ist es den Richtern inzwischen selbst peinlich, vor einer Öffentlichkeit, die jeden Tag vorgeführt bekommt, wie die türkische Regierung nach Belieben Menschen festnimmt, einsperrt und verurteilt, zu rechtfertigen, warum Menschen, die genau gegen diese undemokratische, mörderische Regierung kämpfen in deutsche Gefängnisse zu sperren.

Dass das Vorgehen des Senats mitnichten Zeit spart, da es weitere Befangenheitsanträge der Verteidigung nötig machte, interessiert den siebten Münchner Strafsenat nicht – Disziplinierung der Verteidigung und eine möglichst „störungsfreie“ Verurteilung, möglichst unter Ausschluss der Öffentlichkeit, scheinen wichtiger. So wurde anschließend ein Großteil des Tages mit der Behandlung des prozessualen Geschehens rund um die Befangenheit des Senats aufgewandt.