Die nachfolgende Erklärung gab der Angeklagte Müslüm Elma in der Hauptverhandlung vom 02.06.2017  im Rahmen eines Befangenheitsantrages gegen die Richter des OLG München wegen deren Umgang mit der gesundheitlichen Situation des Mitangeklagten Mehmet Yeşilçali ab.

 

Sehr geehrter Senat,

ich möchte zu meinem Befangenheitsantrag noch persönlich, ergänzend zu der Begründung meiner sehr verehrten Rechtsanwälte, Folgendes ausführen:

Seit geraumer Zeit ist die gesundheitliche Verfassung unseres Freundes, Mehmet Yeşilçali, Thema der Gerichtsverhandlungen. Es ist sogar so, dass die Verhandlungen aufgrund der Einschätzungen der Ärzte teilweise erst gar nicht stattfanden oder früher beendet wurden. Es ist abzusehen, dass diese Praxis weiterhin andauern wird, wenn man sich nicht ernsthaft mit dem Problem auseinandersetzt. Schließlich ist es so, dass die gesundheitlichen Beschwerden unseres Freundes nach wie vor vorhanden sind.

Der Antrag der geehrten Rechtsanwälte des Herrn Yesilcali auf Haftverschonung wurde seitens Ihres Senates abgelehnt. Es ist so, dass jegliche  Themen, die eine rechtliche Dimension haben, sich unserem Kompetenzbereich entziehen. Wir haben keinerlei Zweifel daran, dass die entsprechenden Erwiderungen seitens unserer geehrten Rechtsanwälte erfolgen werden. Doch ist es so, dass wir von Gesprächsinhalten, die während dieser Diskussionsphase auf der Seite der Justizinstituion geführt wurden und der “Lösung” des Problems dienen sollten, Kenntnis erlangt haben. Hinzukommt, dass wir mittlerweile, den während der Gesprächsphase angefertigten Vermerk gelesen haben. Deshalb haben wir auch zu dem Punkt etwas zu sagen.

 

Sehr geehrter Senat,

dass unser Freund krank ist, wird von den Ärzten angenommen. Zudem ist es so, dass dieser Umstand nicht neu ist. Die Rechtsanwälte unseres Freundes haben vorgetragen, dass er in der Schweiz, wo er lebte,  bereits vor seiner Inhaftierung wegen ähnlicher Beschwerden behandelt wurde wobei die Bedingungen, die den Weg für diese  Beschwerden ebnen, erörtert wurden.

Menschliche Probleme erfordern menschliche Lösungen.

Zuallererst müssen wir hier die Realität einräumen, dass wir mit einem menschlichen Problem konfrontiert sind.  Menschliche Probleme sind weitläufig und man muss mit menschlichen Lösungsansätzen an diese herangehen. Bedauerlicherweise liegt hier kein derartiger Ansatz vor. Wie auch aus dem vorgelegten Informationsvermerk ersichtlich, ist hier der Ausgangspunkt der, wie man man aus den aufgetretenen gesundheitlichen Problemen profitieren könnte.

Gesprächsinhalte wie: “Wenn Mehmet Yesilcali gesteht, könnte eine dreijährige Haftstrafe verhängt werden” sind der konkreteste Beweis hierfür. Zusammenfassend versucht man Folgendes zu vermitteln: “Hilf du uns, dann helfen wir dir.” Wie ersichtlich, ging man hier nicht mit menschlichen Erwägungen an die Situation heran, sondern mit dem Geist der herrschenden Klasse. Man verfiel dem Eifer, “neue Beweismittel” zu finden, die unserer Bestrafung dienen sollen, das ist nicht hinzunehmen.

Die Aufgabe der Justiz ist es, unter Berücksichtigung der von den Ärzten zur Verfügung gestellten Informationen, eine objektivere und menschlichere Entscheidung zu fällen. Die Gerichte haben derartige Befugnisse. Seyit Ali Ugur, Sami Solmaz und ich, die sich heute in diesem Saal befinden, wurden aus diesen Gründen aus der Haft entlassen. Hinzukommt, dass es sich bei den anderen Freunden – abgesehen von meiner Person – um solche politische Inhaftierte handelte, die gemäß der türkischen Gesetzgebung zur Todesstrafe verurteilt worden waren. Selbst, wenn Sie den Weg, den der türkische Staat geöffnet hat, verschließen, in dem Sie uns wieder inhaftiert haben, kann diese existierende Realität nicht ignoriert werden.

Folgendes muss hier noch in Klammern angemerkt werden:  Diese Entlassungen waren das Ergebnis objektiver Entwicklungen.  Auch ist es so,  dass hier nicht der Gedanke entstehen darf, dass kranke Inhaftierte in der Türkei unverzüglich entlassen werden würden. Heute ringen in den türkischen Haftanstalten inhaftierte  Revolutionäre mit ernsthaften Erkrankungen. Zur Durchsetzung ihrer  Haftentlassungen betreiben Menschensrechtsinstitutionen Kampagnen.

Die Realität, auf die wir hier aufmerksam machen wollen, ist die,  dass die Institutionen der Justiz über solche Befugnisse verfügen. Aber hier ist es so, dass man versucht hat, von diesen Befugnissen in schlimmster Art und Weise Gebrauch zu machen. Was heißt hier Ablegen eines Geständnisses? Was soll gestanden werden? Unser Freund lebt seit langer Zeit in der Schweiz. Wurde seitens der schweizerischen Polizei oder einer sonstigen schweizerischen Justizeinrichtung ein Dokument zur Verfügung gestellt, das eine “Straftat” beinhaltet? Wir haben davon weder gehört noch gelesen.

Auch ist der Kampf gegen den faschistischen türkischen Staat gerechtfertigt und legitim. Einige unserer hier anwesenden Freunde, gegen die Sie prozessieren, mussten, weil sie Teil dieses gerechten Kampfes waren, einen beachtlichen Teil ihres Lebens in den Gefängnissen verbringen und große Opfer erbringen.

Denken Sie, dass wir aus Angst vor Ihren Strafandrohungen unsere Freunde, mit denen wir Jahre lang unser Leid und unsere Freuden teilten, denunzieren würden? Was sollen wir machen, die faschistische türkische Republik als eine demokratische Republik bezeichnen, oder was? Sollen wir aufhören, Diebe und Schamlose beim Namen zu nennen? Sollen wir sagen, dass die Imperialisten brave Kinder sind, dass alle illegitimen Kriege, die sie angefangen, alle Massaker, die sie verursacht haben, für die freie Zukunft der Menschheit sind?

Sie träumen! Selbstverständlich haben Sie das Recht zu träumen. Vergessen Sie aber nicht, dass auch wir den unterdrückten Völkern der Welt, dem internationalen Proletariat gegenüber eine historische Verantwortung haben. Und diese Verantwortung beinhaltet auch, dass wir Sie mit Ihren Träumen alleine lassen. Also träumen Sie ruhig weiter. Wir wünschen Ihnen schöne Träume.

Es ist klar, dass die Gedankengymnastik, die Sie über die gerechtfertigte Forderung nach einer Haftverschonung während des Verfahrens betrieben haben, nicht nur unseren Freund, sondern uns alle verletzte. Das ist ein politischer Angriff. Unsere Antwort ist klar: Wir werden weder unsere Köpfe beugen noch uns hinknien vor Ihnen. Also hören Sie auf, solche Träume zu haben. Hier gibt es nicht mich oder ihn. Es gibt uns. Wir sehen es sowohl aus Gewissens- als auch aus ethischen Aspekten als unsere Pflicht an, gegen Ungerechtigkeiten, die uns widerfahren, unsere Stimme zu erheben.

 

Sehr geehrter Senat,

von diesem konkreten Problem ausgehend könnte man von folgender Hypothese ausgehen: In solchen Situationen könnte die Person, die aus der Haft entlassen wird, fliehen. Ja, das ist theoretisch möglich. Aber es könnte auch sein, dass diese nicht flieht. Das bedeutet also, dass die Analysen auf konkreten Tatsachen basieren sollten. Also: Könnten Personen, die ein geordnetes Familienleben haben, wegen ein paar Jahren Gefängnisaufenthalt all das in Kauf nehmen? Was diesen Fall betrifft, sollte man das Problem so angehen. Das Auswendiggelernte sollte aufgegeben werden.

Außerdem waren wir Zeugen von Fällen, welche in den Gefängnissen aufgrund „psychischer Probleme“ ein bitteres Ende nahmen, auch lasen wir darüber in der Presse. Also könnte kein Arzt diesbezüglich eine definitive Prognose vornehmen bzw. eine definitive Entscheidung fällen. Er kann nur seine Meinung darüber kundtun, was geschehen könnte. Bevor wir mit unrevidierbaren Konsequenzen konfrontiert werden, lassen wir doch eine Gefängniszelle leer.

Aus allen diesen Gründen sollte das Problem ernsthaft angegangen werden. Wie man eindeutig sehen kann, ist dieses Problem durch provisorische Maßnahmen nicht zu lösen. Die richtige Herangehensweise zwingt uns dazu, die gegebenen Bedingungen zu ändern. Wir denken, dass eine solche Veränderung eine positive Wirkung auf unseren Freund hätte, und fordern, dass unsere Überlegungen berücksichtigt werden.

Diese Art und Weise, wie der Freund Mehmet Yesilcali zu einem “Geständnis” gebracht werden soll, und die darin zum Ausdruck kommende Haltung, zeigen mir erneut, dass das Gericht auch uns gegenüber nicht unvoreingenommen ist.
Vielen Dank